Friedberger Allgemeine

Die moralische Katastroph­e verfolgt Franziskus

Die katholisch­e Kirche will diese Woche groß ihren Weltfamili­entag feiern. Doch neue Missbrauch­sskandale überschatt­en den Papstauftr­itt

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom In Dublin beginnt am morgigen Mittwoch der katholisch­e Weltfamili­entag, am Wochenende wird dort neben zehntausen­den Teilnehmer­n auch Papst Franziskus erwartet. Das Thema der Familien-Konferenz lautet „Das Evangelium der Familie – Freude für die Welt“. Es soll ein Fest werden, die katholisch­e Kirche will fortschrei­ten auf ihrem Weg einer menschenfr­eundlichen Seelsorge. Nun aber drängt vor allem in angelsächs­ischen Ländern ein ganz anderes Thema in den Vordergrun­d: der Missbrauch von Kindern durch Mitglieder des katholisch­en Klerus und seine Vertuschun­g.

Auch in Irland selbst ist das Thema seit Jahren virulent. Und vor einer Woche veröffentl­ichte eine Kommission im US-Staat Pennsylvan­ia ihre Ergebnisse: In einem 70 Jahre langen Zeitraum seit den vierziger Jahren hätten 300 inzwischen meist verstorben­e katholisch­e Priester mindestens 1000 Kinder auf teilweise bestialisc­he Art und Weise sexuell missbrauch­t. Im Bericht ist außerdem die Rede von einer „Kultur der Vertuschun­g“. Die katholisch­e Kirche in den USA stehe vor einer „moralische­n Katastroph­e“, gestand der Vorsitzend­e der US-Bischofsko­nferenz Daniel DiNardo.

Erst gestern reagierte auch der Papst. In einem Brief an die Gläubigen in aller Welt hat er eingeräumt, dass die katholisch­e Kirche den Schmerz von Missbrauch­sopfern lange ignoriert habe. „Mit Scham und Reue geben wir als Gemeinscha­ft der Kirche zu, dass wir nicht dort gestanden haben, wo wir eigentlich hätten stehen sollen und dass wir nicht rechtzeiti­g gehandelt haben, als wir den Umfang und die Schwere des Schadens erkannten, der sich in so vielen Menschenle­ben auswirkte“, hieß es in dem am Montag veröffentl­ichten Schreiben.

Die Kirche müsse sich „mit Nachdruck verpflicht­en, diese Gräueltate­n zu verdammen, wie auch die Anstrengun­gen zu bündeln, um diese Kultur des Todes auszumerze­n; die Wunden ,verjähren nie‘“. Missbrauch sei ein „Verbrechen, das tiefe Wunden des Schmerzes und Ohnmacht erzeugt“, sowohl bei den Opfern als auch bei den Familienan­gehörigen. „Der Schmerz dieser Opfer ist eine Klage, die zum Himmel aufsteigt und die Seele berührt, die aber für lange Zeit nicht beachtet, versteckt und zum Schweigen gebracht wurde.“

Dabei ist das Vorgehen des Papstes in Sachen Missbrauch­sbekämpfun­g nicht immer geradlinig. Wiederholt mahnte Franziskus zwar zu „null Toleranz“, traf Betroffene sexueller Gewalt und richtete 2014 eine Kommission zum Kinderschu­tz ein, die Prävention­smaßnahmen erarbeiten soll. Doch seine eigene Haltung bei der Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals in der chilenisch­en Kirche kostete Franziskus Kredit. Auf seiner Chile-Reise im Januar bezichtigt­e Franziskus Opfer sexuellen Missbrauch­s der Verleumdun­g, weil diese einen inzwischen zurückgetr­etenen Bischof aus dem Kreis des klerikalen Serientäte­rs Fernando Karadima der Mitwissers­chaft beschuldig­t hatten. Nachdem Vatikan-Ermittler im Auftrag des Papstes die Vorwürfe untersucht­en, machte Franziskus eine Kehrtwende und entschuldi­gte sich. Die chilenisch­en Bischöfe boten unisono ihren Rücktritt an.

In den USA kamen dieser Tage mehrere Skandale auf. Neben den Ergebnisse­n der Ermittler in Pennsylvan­ia geriet der emeritiert­e Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, ins Zwielicht. Der 88-Jährige soll Minderjähr­ige vor 50 Jahren zum Sex gezwungen haben. Die Vorwürfe waren im US-Klerus offenbar seit den neunziger Jahren bekannt. Vor Tagen entließ Franziskus McCarrick aus dem Kardinalsk­ollegium. Die Reaktionss­chnelle des Papstes im Fall McCarrick sticht auch deshalb heraus, weil Franziskus einem anderen ranghohen umstritten­en Prälaten gegenüber weiterhin Milde walten lässt. In Australien steht der 77-jährige Kardinal George Pell vor Gericht, weil er in den siebziger Jahren sexuell übergriffi­g geworden sein soll. Der Leiter des vatikanisc­hen Sekretaria­ts für Wirtschaft wurde von Franziskus zwar vor mehr als einem Jahr beurlaubt. Eine endgültige Entscheidu­ng über George Pells Zukunft in der Kirche will der Papst aber erst nach einem Urteil treffen.

Ende Juli nahm Franziskus den Rücktritt des Erzbischof­s von Adelaide, Philip Wilson, an. Der 67-Jährige war von einem Gericht in Australien verurteilt worden, weil er 1976 den Kindesmiss­brauch eines Priesterko­llegen vertuscht haben soll. Das Urteil gilt als Meilenstei­n, weil erstmals ein hoher kirchliche­r Würdenträg­er von einem staatliche­n Gericht wegen Vertuschun­g verurteilt wurde. Pläne, ein kirchliche­s Tribunal für Bischöfe einzuricht­en, die Missbrauch­sfälle vertuschen, kündigte der Vatikan im Jahr 2015 zwar an, bis heute sind sie aber nicht realisiert. Im Vatikan spricht man heute von einem „Missverstä­ndnis“, weil entspreche­nde Institutio­nen bereits existierte­n.

Nun will Franziskus mit den Familien in Dublin feiern, aber es dürfte ungemütlic­h werden. „Der Druck ist unheimlich hoch“, heißt es aus Kirchenkre­isen in Rom. Missbrauch­sopfer organisier­en für die Ankunft des Papstes in Irland eine Mahnwache. Ministerpr­äsident Leo Varadkar kündigte im Vorfeld an, den Papst bei dessen Höflichkei­tsbesuch direkt auf das Thema Missbrauch ansprechen zu wollen. Viele Iren halten den Missbrauch­sskandal der katholisch­en Kirche in ihrem Land für nicht wirklich aufgearbei­tet. 2009 stellte eine Untersuchu­ngskommiss­ion fest, in 250 katholisch­en Bildungsei­nrichtunge­n sei Vergewalti­gung zwischen den dreißiger und neunziger Jahren „weit verbreitet“gewesen. Missbrauch­sopfer fordern ein Treffen mit Franziskus in Dublin, weil die Kirche in Irland ihren bereits verabredet­en Entschädig­ungszahlun­gen von 128 Millionen Euro weiterhin nicht vollständi­g nachkomme.

Im Vatikan ist man sich sicher, dass Franziskus auch in Dublin mit Betroffene­n sexuellen Missbrauch­s zusammenko­mmen werde, allerdings in privater Form. Dass die Kirche dem Thema nicht entkommt, wird schon am ersten Veranstalt­ungstag klar: Zu Beginn steht eine Ansprache zum Thema „Familie und Glaube“auf dem Programm. Redner ist der Erzbischof von Washington, Donald Wuerl, einer der Paladine des Papstes in der US-Kirche. Der Kardinal soll mehrfach sexuelle Übergriffe vertuscht haben.

Missbrauch­sopfer fordern ein Treffen mit dem Papst

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Foto: Inetti, dpa Papst Franziskus mahnt zwar zu „null Toleranz“bei der Missbrauch­sbekämpfun­g, doch auch unter ihm läuft die Aufklärung oft nur schleppend.

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