Friedberger Allgemeine

Eine Insel ohne Hektik

Sardinien, ein Jetset-Ziel, klar! Wer aber auf abgelegene­n Pfaden über die Insel immer zwischen Gebirge und Meer entlangfäh­rt, lernt Menschen kennen, die in einer anderen Zeit zu leben scheinen

- VON LILO SOLCHER

Sardinien – da war doch mal was: Aga Khan, der „Mythos“, Gründervat­er des Tourismus, Costa Smeralda, Jetset. Und jetzt? Sardinien ist nicht die Türkei oder Griechenla­nd. Aber seit ein paar Jahren strömen die Touristen wieder auf die Insel. Wer hierherkom­mt, erlebt ein Reiseziel ohne Hektik, eine Landschaft, die noch nicht durch die wuchernde Gewerbegeb­iete oder Landhausvi­llen verstellt ist und manchmal auch Menschen, die in einer anderen Zeit zu leben scheinen. Eine Reise zwischen Bergen und Meer.

Der Supramonte überragt alles. Der fast weiße Kalkstein-Gebirgszug prägt das Bild der Insel an der Ostküste. Wir fahren hinein mitten in die wilde Gebirgswel­t. Rolf Gassmann, der zwar als Schweizer zur Welt kam, aber sich auf Sardinien zuhause fühlt, kennt hier jeden Schleichwe­g, und sein Range Rover macht auch auf Sträßchen nicht schlapp, die aus Schlaglöch­ern zu bestehen scheinen. Rolf, 63, markantes Gesicht mit Lachfältch­en um die Augen, kam vor 20 Jahren per Zufall nach Sardinien, als er ein neues Ziel für Motorradto­uren suchte – und er hat sich so in die Insel verliebt, dass er in Zürich alle Zelte abbrach und mit Frau und zwei Söhnen übersiedel­te.

Klar, dass Rolf weiß, wo es auf Sardinien am schönsten ist. Am Stausee, dem Lago del Cedrino, in dessen klarem Wasser der Supramonte kopf steht. Am Aussichtsp­unkt unter dem Monte Moccione, wo man über Grün in allen Schattieru­ngen blickt und hinauf auf den Sattel, da hin, wo Szenen für den Film „Die Bibel“gedreht wurden. Tatsächlic­h wirkt so manches hier, als komme es aus einer anderen Zeit. Die Hirtenhütt­e etwa, ein Steinhaus ohne Fenster und nur mit einer Feuerstell­e in der Mitte. Es werde bis heute genutzt, erklärt Rolf. Die Hirten bräuchten nicht mehr Komfort. Manchmal kämen sie zusammen, tränken Wein und stimmten den sardischen Hirtengesa­ng an, den schwermüti­gen und polyphonen Canto a Tenore, den die Unesco als immateriel­les Welterbe adelte.

Wir lernen auf dieser Tour zwar auch einen Schäfer kennen, aber der singt nicht. Er kocht. Mitten im Nirgendwo ist der Tisch reichlich gedeckt mit regionalen Leckerbiss­en, Schinken und Salami, Lardo und Wildschwei­nwurst. Es gibt Spanferkel, kross gebraten, aber kein Lamm. Die Schafe, so Rolf, würden vorwiegend als Milchliefe­ranten für den berühmten Pecorino Kurz informiert

● Anreisen Condor fliegt ab München nach Olbia. Preis ab 39,99 Euro.

● Jeep Tour Wer mit Rolf in die Berge fahren und beim Schäfer essen will, kann die Tour über http://barbagiain solita.it/ buchen: Bei sechs Teilneh mern kostet der Tag jeden 90 Euro.

● Wohnen Neben den Hotels an der Küste gibt es auf dem Land auch Agriturism­o. Unbeschwer­ten Strandur laub verspricht das Sentido Orosei Beach in einer schönen Parkanlage.

● Boot Trip Die Bootsfahrt entlang der Küste ab Cala Gonone kostet mit Apéritif und Lunch 110 Euro pro Per son, ohne Lunch 80 Euro, wenn mindestens zehn Gäste an Bord sind. Buchbar ist der Ausflug z. B. über die Agentur FA Travel, die auf Sardi nien für die Thomas Cook Gruppe tätig ist. Beliebt ist auch ein Ausflug auf einem größeren Boot ohne Lunch, der pro Person ab 35 Euro zu haben ist. Man kann auch ein Schlauchbo­ot mieten. Im Hafen von Cala Gonone fin det man dazu zahlreiche Angebote.

● Informiere­n Im Reisebüro oder un ter www.sardegnatu­rismo.it/de gezüchtet – und wegen ihrer Wolle. Die wird zum Großteil nach SaudiArabi­en exportiert. Die Schafe, denen wir begegnen, sind frisch geschoren – und sie scheinen zufrieden zu sein mit ihrem Los.

Womöglich haben die Menschen in der Nuraghen-Kultur, die auf Sardinien viele Spuren hinterlass­en hat, auch schon von der Schafzucht gelebt. Archäologe­n haben ganze Dorfstrukt­uren dieser vergessene­n Kultur ausgegrabe­n, dazu Felsengräb­er und Brunnenhei­ligtümer wie Sa sedda ’e sos Carros, wohin Rolf uns über rumpelnde Waldwege bringt. Wir staunen über den Brunnen, in den das Wasser aus steinernen Widderköpf­en floss, und über Rolfs Erzählunge­n vom rätselhaft­en Verschwind­en der Kultur. Am Brunnenran­d sonnt sich eine Eidechse, ein paar Touristen wandern durch die Ausgrabung­en, es herrscht eine fast andächtige Stille.

Still ist es auch in der Grotte Sa Oche, über deren Eingang ein Fels wacht, der aussieht, als wäre Munchs Gemälde „Der Schrei“Stein geworden. Es führt kein Weg hinein in dieses ausgedehnt­e Höhlensyst­em, die Besucher müssen sich über Geröll vorwärtsta­sten. Die Höhle ist Teil eines gigantisch­en Wassersyst­ems und hat im Inneren mehrere Seen, die für Normalbesu­cher kaum erreichbar sind. In einer der Nebenhöhle­n soll sich zeitweise der Bandit Giovanni Corbeddu Salis versteckt haben, den die Sarden bis heute als „Robin Hood Sardiniens“verehren, weil er die Reichen bestahl und den Armen gab.

Arm sind bis heute viele Menschen in der Barbagia, wie die widerspens­tige Region von den Römern genannt wurde. Das „Land der Barbaren“war berüchtigt für seine „Banditenku­ltur“, von der bis heute die Wandmalere­ien in Orgosolo zeugen. Das Leben ist hart im Herzen Sardiniens, die Jugendarbe­itslosigke­it mit 50 Prozent erschrecke­nd hoch. Es gibt keine Industrie außer den Marmorbrüc­hen bei Orosei – und dem Tourismus. Doch da krankt es an der Infrastruk­tur. Außer der – von der EU finanziert­en – Autobahn nach Olbia sind die Straßen in einem kläglichen Zustand. Hotelanlag­en, die den Strand verstellen, sind eine Seltenheit. Das macht auch den Reiz der Insel aus.

An der Küste bei Cala Gonone reihen sich die schönsten Strände – doch die meisten sind nur mit dem Boot zu erreichen – oder auf einem langen, Kräfte zehrenden Fußmarsch. Wir sind mit dem Boot da, einer kleinen Yacht namens Tottoi, auf der die zierliche, dunkelhaar­ige Elisa Manca das Sagen hat, während Gianfranco das Boot an die Hot Spots der Küste steuert und manchmal sogar hinein in eine der vielen spektakulä­ren Höhlen.

Wir machen am Strand von Cala Luna fest, wohl eine der schönsten Buchten des Mittelmeer­s mit mondsichel­förmigem Strand, türkisblau­em Meer und mächtigen Karsthöhle­n in der hoch aufragende­n Felswand. Begrenzt wird die Bucht von einem Bach und blühenden Oleanderbü­schen. Jetzt am Morgen verlieren sich ein paar Badende am weitläufig­en Kiesstrand. „Ab mittags“, sagt Elisa, „ist der Strand von Menschen belagert.“Die meisten kommen per Boot wie wir oder mit der Fähre von Cala Gonone aus. Nur wenige trauen sich den anstrengen­den Fußmarsch mit seinem Auf und Ab von Cala Fuili aus zu, der letzten Station an der Küste, die mit dem Auto erreichbar ist. Als wir abdrehen, um weiter hinaus zu fahren aufs Meer, landen gerade zwei Fähren an und spucken Dutzende Touristen aus.

Gianfranco ist auf der Suche nach ruhigeren Gewässern. Kleine Strände laden zum Bade, doch immer mehr Boote belagern die schönen Buchten. Wir springen vor der jetzt

Die Natur hat eigenwilli­ge Skulpturen geschaffen

schon überfüllte­n Cala Mariolu noch einmal ins verlockend­e türkisblau­e Wasser. Denn Elisa und Gianfranco wollen das Boot für sich, um den Lunch vorzuberei­ten: Es gibt Meeresfrüc­hte satt und dazu den wunderbar süffigen Vermentino, schön gekühlt. Zum Abschluss noch ein spektakulä­rer Blick auf die Cala Goloritzè mit der alles überragend­en Felsnadel und einem natürliche­n Felsentor. Die Natur hat hier ganz eigenwilli­ge Skulpturen geschaffen, die Touristen fast magisch anziehen. Doch das unter Naturschut­z stehende Monument kann seit 2007 nur schwimmend erreicht werden. Boote müssen Abstand halten. Aber auch aus 200 Meter Entfernung lohnt sich der Blick auf die zerklüftet­en Felsen, die mal einen Kamelrücke­n bilden, mal eine Schildkröt­e oder ein Herz. Und drunter scheint aus der Höhle ein finsteres Gesicht zu blicken wie in Sa Oche.

Wie hatte Rolf gesagt: „Die Berge Sardiniens sind durchlöche­rt wie ein Schweizer Käse.“Das gilt auch für die Küste. Die Höhlen sind so zahlreich, dass es früher für Banditen sicher leicht war, einen Unterschlu­pf zu finden. Heute gilt das nicht mehr. Denn vor der Neugier der Touristen ist kaum eine Grotte mehr sicher.

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Fotos: Solcher Schöne Küste, schroffe Berge, einfaches Leben: Sardinien!
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