Friedberger Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (122)

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Pr

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Einen Augenblick war er wie gelähmt von unsinniger Angst, dann schob er sich mit einem Ruck zurück, daß die Muskeln und Knochen knackten, wieder, wieder…

Der Eingang zum Gebläse war einen Augenblick frei, sicher stritten sie sich um die Pistole…

,Die dürfen doch nicht so ohne weiteres schießen‘, dachte er. ,Ich leiste ja keinen Widerstand…‘

Und schob sich zurück, schob sich zurück …

Da war der Lichtschei­n wieder, er konnte nichts sehen, die Lampe blendete direkt in sein Gesicht: ,Kam denn der Knick noch immer nicht? O Gott, er knallt mir einfach ins Gesicht …‘

Seine Beine hatten jeden Halt verloren, baumelten. Er gab sich noch einen fürchterli­chen Stoß, rutschte, es war, als sei alle Luft weg, die Lunge riß in der Brust, er fiel, er fiel, er konnte nichts mehr denken, es war vorbei… vorbei…

Dann kam er wieder zu sich, in einem Haufen Sägemehl neben der

großen Kreissäge. Er sah um sich, lauschte: still. Er stand taumelnd auf, ihn fror in der dünnen Unterkleid­ung, er zitterte. Er lauschte wieder, nichts. Vielleicht war er nur eine Sekunde ohnmächtig gewesen, aber nun mußten sie doch kommen? Nein, nichts.

Dann fiel ihm ein, daß sie ihn sicher im Kesselhaus suchten. Auch er hatte gedacht, er käme ins Kesselhaus, aber das war natürlich Unsinn, jetzt sah er es ein, die Luftsaugvo­rrichtung war sicher kein so weiter Schacht, er war glatt in den Maschinens­aal gefallen. Dunkel war es, aber er tastete weiter, stieß gegen die Tür, natürlich war die Tür zu. Er Ochse, daß er die Schlüssel fortgeworf­en hatte, vielleicht hätte einer gepaßt. Sicher kamen sie nun gleich, sicher schlugen sie ihn tot. Was sollte er tun?

Er war ganz verwirrt, der Sturz in dem Schacht hatte seinen Kopf schlimmer mitgenomme­n, als er geglaubt, er konnte sich kaum bewegen.

Erst jetzt fielen ihm die Fenster ein. Er war ja hier im Parterre, drei Etagen war er hinabgestü­rzt, die Fenster gingen auf den Hof, er mußte oben nur durch die Lüftungskl­appe steigen.

Mühsam humpelte er zum Fenster. Es war nicht zu begreifen, daß sie noch immer nicht kamen. Sie sollten ihn ruhig festnehmen, er war so müde. Bei Vater Philipp gab’s schöne Betten, es war alles gleich, und die Hauptsache war, daß der Mensch auf seinem Arsch liegen konnte.

Dieser Satz gefiel ihm. ,Der Mensch muß auf seinem Arsch lang liegen‘, dachte er, ging aber weiter zum Fenster, zog die Lüftungskl­appe auf und sah hoch. Es waren drei Meter bis dahin, unten waren die Fenster kleine Drahtglass­cheiben in festen Eisenrahme­n, oben mußte er durch.

Er war so müde, er müßte sich an einem Transmissi­onsriemen hochangeln, besser wäre es eigentlich, sie kämen.

Er faßte den Riemen und fing an, sich mit den Händen an ihm hochzuzieh­en. Seine Arme schmerzten unsinnig, es war, als hätte er in ihnen nicht mehr die geringste Kraft. Aber das schlimmste waren seine Beine, er wollte sich mit ihnen gegen die Wand stemmen, um seinen Armen das Gewicht des Körpers zu erleichter­n, aber sie verweigert­en den Dienst. Trotzdem kam er langsam, Hand um Hand, höher, er war schon nahe daran, den Rand der Lüftungskl­appe zu fassen, als der Riemen auf seiner Scheibe zu rutschen anfing und Bruhn abstürzte.

Er schlug mit dem Körper gegen die Kante eines Sägetische­s und verlor ein zweites Mal die Besinnung.

Als er die Augen wieder aufschlug, stand Kania vor ihm. Im Maschinens­aal war es hell, Kania stand vor ihm, sah ihn mit seinen kleinen, schwarzen, funkelnden Augen an, wippte mit einem Gummiknüpp­el und sagte nichts.

Bruhn sagte auch nichts, er blieb liegen, er war eisesstarr und totenmüde. Seine blauen Lippen bewegten sich, es wurde aber nur etwas wie ein kümmerlich­es Lächeln daraus. Er fürchtete sich nicht mehr.

„Marrsch! Los, Schwein!“schrie Kania plötzlich und stieß Bruhn mit dem Fuß in die Seite.

Bruhn rollte träge, dem Druck nachgebend, etwas weiter und schloß wieder die Augen.

„Willst du auf, Verbrecher!“schrie Kania und riß Bruhn am Rockkragen.

Sobald er ihn losließ, fiel Bruhn wieder zusammen.

„Soll dich traggen, möchtste?“schrie Kania und schlug Bruhn den Gummiknütt­el mit aller Wucht über den Kopf. Bruhn hob den Kopf etwas an, sein Körper straffte sich, als wollte er aufstehen, dann sank er mit einem kleinen leisen Seufzer in sich zusammen, seine Augen verdrehten sich, aus ihren Winkeln traf ein blauer Blick Kania…

„Verstell dich, du Schwein!“schrie der und schlug noch einmal zu.

Bruhn lag da, die feste, breite, verarbeite­te Hand hatte sich geöffnet, die fleißigen Finger hingen schlaff.

Kania sah verständni­slos auf ihn. Dann überkam ihn eine Ahnung, sein Mund zuckte, er beugte sich zu dem Liegenden und rief leise, mit einem Blick zur offenen Tür: „Emil! Emil!“

Der antwortete nicht mehr. Der Mörder sah scheu zur Tür, nein, sie kamen noch nicht, er konnte noch fort. Er sprang hin, lauschte auf den Gang, knipste das Licht aus – und machte es wieder an.

Er ging schnell in den Raum, er sah nicht nach der stillen Gestalt des Schläfers auf dem Fußboden, er lief zu den Hobelmasch­inen, raffte Späne zusammen, Holzabfäll­e, warf sie an einen Brettersto­ß, nahm Streichhöl­zer… eine kleine blaue Flamme züngelte auf, er blies…

Dann lief er schon.

Er vergaß das Licht auszulösch­en, warf die Tür ins Schloß, lief weiter, den Gang hinunter nach dem Hof, lief auf den Hof …

Der Wächter kam mit dem Lohnbuchha­lter aus dem Maschinenh­aus. „Na, hast du ihn gefunden?“„Nichts“, sagte Kania.

„Er muß durch irgendein Fenster sein. Oder er ist bei den Brettern versteckt?“

„Wir müssen ihn kriegen!“„Schwein, verfluchte­s!“Kania mühsam.

Er stand mit dem Rücken zum Maschinens­aal, er beobachtet­e die Gesichter der beiden.

„Ich geh’ noch mal mit den Hunden die ganze Fabrik durch“, sagte der Wächter.

„O Gott!“schrie der Lohnbuchha­lter plötzlich. „Da!!!“

Hinter den Scheiben des Maschinens­aales erhob sich eine ungeheure Flamme, stieg höher, höher, sie hörten es prasseln …

„Hat err angesteckt!“schrie Kania. „Seht, Lüftungskl­appe ist auf!“

„Hat er doch getan, was er gedroht hat“, sagte der Lohnbuchha­lter.

„Was quasselt ihr“, schrie der Wärter. „Lauft zum Feuermelde­r. Telephonie­ren Sie nach der Polizei – Mensch, Kania, lauf ins Kesselhaus, mach die Klappe zum Elevator zu, das Feuer schlägt sonst durch das ganze Haus!“

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