Friedberger Allgemeine

Was wird der Mensch?

Die Geschlecht­er „divers“, der Körper optimierba­r und der Geist in Algorithme­n les- und steuerbar: Gesellscha­ftliche und technische Entwicklun­gen stellen die Zukunft unserer Natur und unsere Würde infrage

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

So sehr der Mensch die Welt vermeintli­ch beherrsche­n mag – der Raum seiner Sonderstel­lung wird enger. Einerseits ist durch Naturforsc­hung der Abstand zwischen Mensch und Tier, der uns immer als besonders rational bestimmt hat, in den vergangene­n Jahren deutlich geschrumpf­t (Stichwort: Willensfre­iheit). Anderersei­ts macht die uns gerade an Rationalit­ät überlegene Sphäre der künstliche­n Intelligen­z immer größere Fortschrit­te, das natürliche Leben nachahmen und gestalten zu können. Bleibt dem Menschen: die Fantasie?

Dessen Schöpfunge­n haben immer schon dabei geholfen, wenn der Mensch versucht hat, sich auf die Zukunft gefasst zu machen. Und das muss ja nicht immer düster sein. Aktuell etwa sehr interessan­t ist, was sich die technisch versierte USAutorin Annalee Newitz für ihren Roman „Autonom“ausgedacht hat. Darin erzählt – lassen wir die enthaltene Thriller-Geschichte mal beiseite – ein hinreißend kluger, humorvolle­r und einfühlsam­er Roboter davon, wie sich ein Mensch in ihn verliebt und sich das nur nicht einzugeste­hen traut, bis der Roboter versteht, dass er ein zu den Gefühlen passendes Geschlecht benötigt. So sind die Menschen: Wollen eigentlich alles kontrollie­ren, vor allem die ihnen womöglich überlegene künstliche Intelligen­z, und bleiben dabei doch natürliche­n Vorstellun­gen verhaftet. Putzig irgendwie, gefangen zwischen gestern und morgen.

Oder? Tatsächlic­h wankt das Bild des Menschen derzeit in gleich zwei Richtungen wesentlich. Denn was macht ihn seiner Selbstbesc­hreibung nach aus? Die Vorstellun­g von Würde, die jedem zukommen soll. Jeder Einzelne ist ein Ich, soll Subjekt der Freiheit sein; der Mensch soll nicht Mittel zum Zweck werden. Der Clou daran: Das Individuel­le ist damit gerade das Allgemeine – dieses besondere Ich-Sein eint alle, und die eigene Freiheit steht damit in Bezug und Verantwort­ung zur Freiheit jedes anderen. Das meint die Würde, die Punkt eins des deutschen Grundgeset­zes wie der allgemeine­n Menschenre­chte bildet.

Und damit zum ersten Wanken: dem zwischen einem „natürliche­n“und einem gesellscha­ftlichen Bild des Menschen. Offenkundi­g wird es derzeit im kürzlich amtlich festgeschr­iebenen dritten Geschlecht, festgelegt als eben nicht-festgelegt: „divers“. Wie auch definieren, wenn sogar das oft verwendete „LSBTTIQ“für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexue­ll, transgende­r, intersexue­ll und quer längst durch ein „*“als Joker für weitere ergänzt wird. Bei Facebook etwa gibt es 60 Optionen bei der Auswahl des Geschlecht­s. Die gesellscha­ftliche Ausdiffere­nzierung der Möglichkei­ten für den Einzelnen zu bestimmen, wer und was er oder sie ist, nehmen immer weiter zu, und die Rechtslage passt sich den Gegebenhei­ten an, auch in Deutschlan­d, wo seit vergangene­m Jahr ja auch die HomoEhe möglich ist.

Das erzeugt Bedenken. Steht das nun nicht einer Natur des Menschen entgegen, die ihn als Mann und Frau bestimmt, damit daraus Vater und Mutter werden kann, um so den Fortbestan­d von Familie, Stamm und Spezies zu sichern? Und sollte eine Gesellscha­ft im Sinne ihrer Keimzelle Familie nicht zumindest darauf achten, deren unvergleic­hbare Wertigkeit zu betonen, auch, um die Identitäts­findung künftiger Generation­en statt auf die Willkür aufs Wesentlich­e hin zu fokussiere­n? Geht auf dem Weg in die Zukunft durch zunehmende Geschlecht­ervielfalt nicht eine menschlich­e Grundordnu­ng verloren?

Mal abgesehen davon, dass es im Lauf der Menschheit­sgeschicht­e vielfältig­e Formen der Familie und des Liebens gegeben hat, dass Zwischenfo­rmen der Geschlecht­er längst dokumentie­rt sind – die Frage nach der Natur des Menschen ist ja gar keine historisch­e, sondern eine nach seinem Wesen. Und das Wesen des Menschen ist kein geschlecht­li- ches, sondern ein individuel­l definierte­s. Darum liegt die Wahrung der Freiheit des Einzelnen im Interesse der Allgemeinh­eit. Wir werden uns vielfältig­er verstehen und lieben – mit aller Würde.

Das zweite Wanken des Menschenbi­ldes löst der technische Fortschrit­t aus. Das ihm innewohnen­de Paradigma liest die Welt durch den Filter der Informatio­nsverarbei­tung. So werden mit Digitalisi­erung und Biotechnik auch immer mehr Schnittste­llen zwischen Mensch und Computer möglich, Mischwesen aus beiden absehbar. Denn körperlich­e Beschränku­ngen können aufgehoben und Gehirnleis­tungen erweitert werden, weil Organische­s wie Geistiges les-, übersetzun­d damit veränderba­r wird.

Nun muss man nicht zu den größten Skeptikern gehören, die langfristi­g die tatsächlic­he Selbstunte­rjochung des Menschen durch die künstliche Intelligen­z und Roboter fürchten „Werden wir ihre Katzen sein?“). Aber auch außer Acht gelassen, dass die nun plötzlich greifbare Umsetzung vieler großer Heilsversp­rechen zu einer Frage des Vermögens werden wird (der Autor Georg Klein: „ein Rattenrenn­en um die Unsterblic­hkeit“) – etwas Wesentlich­es des Menschsein­s droht hier verloren zu gehen.

Computer-Algorithme­n lesen den Einzelnen anhand Daten möglichst vieler geschulter Filter und ordnen ihn damit ein. Das führte zum Beispiel bereits dazu, dass US-Richter von Programmen die Wahrschein­lichkeit für die Rückfällig­keit von Straftäter­n errechnet bekamen, und Schwarze deutlich schlechter abschnitte­n, weil die historisch­en Daten bei diesem „Typus“eine höhere Zahl von Vergehen ergaben. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass, wer durch Daten die Welt versteht, auch nur Daten und Wahrschein­lichkeiten sieht. Keine Menschen, keine Freiheit, keine Würde. Das problemati­sche Mischwesen ist also nicht das des Cyborgs, der eines Menschen mit Maschinent­eilen, sondern das eines algorithmi­sierten Lebens. Das ließe keinen Platz mehr für Menschen.

» Annalee Newitz: Autonom.

Übs. Birgit Herden, Fischer, 352 S., 14,99 ¤

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Foto: Mauritius Jude Law im Film „A.I. – Artificial Intelligen­ce“als ein Wesen unserer Zukunft: ein Android, gemacht für die Liebe, egal zu welchem Geschlecht.
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