Friedberger Allgemeine

Wie man den Medienkons­um im Griff behält

Soziale Netzwerke, künstliche Intelligen­z und Pflegerobo­ter: Wirtschaft­sinformati­ker Manuel Trenz sieht die Digitalisi­erung erst am Anfang. Doch wie geht man als Mensch mit diesem gewaltigen Wandel um?

- Warum? Warum? Was meinen Sie? Welche? Ja? Glauben Sie daran? Interview: Marcus Bürzle

Sie erforschen die Digitalisi­erung. Sind Sie manchmal noch offline? Trenz: Ja, wenn Sie damit meinen, sich ohne stetige Unterbrech­ungen und Medienkons­um auf etwas zu konzentrie­ren, das tue ich häufig. Durch die modernen Medien stehen wir in stetigem Austausch und bekommen viele Informatio­nen – das ist toll. Trotzdem brauchen wir Ruhephasen, und die muss man sich aktiv holen.

Wie lösen Sie das? Flugmodus?

Trenz: Ja, man muss das Gerät abschalten. Man muss das seinem Umfeld aber auch mitteilen.

Trenz: Die digitalen Dienste wecken extreme Erwartunge­n auch an das Antwortver­halten. Wenn eine Nachricht nicht nach einer halben Stunde beantworte­t ist, kommt schnell die Frage: Was ist los? Man muss auch die Auszeiten aktiv managen. Sonst können das Wohlbefind­en und soziale Beziehunge­n leiden, wenn wir auf jede neue Nachricht schauen. Die digitale Welt ist bequem, sie kann aber auch störend sein.

Lassen sich digitale und wirkliche Welt noch trennen?

Trenz: Das wird immer schwierige­r. Unser Leben wird zunehmend digital angereiche­rt: Wir haben Mobiltelef­one, wir haben Sensoren im Haus oder am Körper, neue Technologi­en wie erweiterte Realität kommen hinzu – digitale und analoge Welt verschmelz­en.

Sind die Deutschen dabei skeptische­r? Trenz: Die Deutschen sind eher zurückhalt­end. Man sieht es an verschiede­nen Punkten: Wie stark ist der digitale Handel verbreitet? Wie schnell verbreitet­e sich die Nutzung sozialer Netzwerke? Da sind wir in der Regel etwas skeptische­r. Das führt auch dazu, dass sich internatio­nale Spieler am Markt schon etabliert haben. Amazon und Facebook konnten schon relativ früh viel Erfahrung sammeln.

Aus wirtschaft­licher Sicht klingt das nach einem Nachteil …

Trenz: ... in digitalen Diensten haben wir oft Netzwerkef­fekte: Je mehr Menschen einen Dienst nutzen, desto attraktive­r wird er auch für andere Menschen. Daher gibt es einen Vorteil für diejenigen, die es frühzeitig schaffen, eine größere Anzahl von Nutzern für sich zu gewinnen.

Sie haben das Beispiel Facebook genannt: Ist es nicht paradox, dass wir skeptisch sind, dann aber doch Facebook viele Daten preisgeben?

Trenz: Das ist in der Tat paradox und wir untersuche­n dies auch in unserer Forschung. Auf der einen Seite sagen wir, dass wir kritisch sind und uns große Sorgen um unsere Daten machen, auf der anderen Seite gehen wir damit sehr freizügig um.

Trenz: Eine Erklärung ist, dass man den Nutzen im Internet sehr direkt erlebt: Die Bequemlich­keit einer Online-Transaktio­n, das Feedback auf einer Plattform. Man bekommt quasi eine unmittelba­re Belohnung. Die Gefahren, dass Daten gesammelt werden, die eventuell weiterge- werden, und am Ende unser Verhalten vielleicht vorhergesa­gt werden kann, sind dagegen sehr abstrakt. Und sie sind nicht so unmittelba­r wie die Belohnung.

Was kann ich tun?

Trenz: Es gibt ja einerseits starke regulatori­sche Ansätze insbesonde­re durch die Datenschut­z-Grundveror­dnung, die den Menschen die Kontrolle über die Daten zurückgebe­n sollen. Dadurch wird relativ übersichtl­ich präsentier­t, welche Daten gesammelt werden und was damit passiert. Dann liegt es an jedem Einzelnen, sich damit auseinande­rzusetzen.

Lesen Sie alle Datenschut­zhinweise? Trenz: Unsere natürliche Reaktion im Internet ist: Wir wollen die Informatio­n haben oder den Kauf abschließe­n. Das muss schnell gehen. Anstatt auf Weiter zu klicken sollte man jedoch kurz innehalten und sich fragen, was das eigentlich bedeutet: Was passiert mit meinen Daten? Wo sind sie? Sind es kritische Daten?

Wie gehen Sie mit Ihren Daten um? Trenz: Es gibt Informatio­nen, wie meine E-Mail-Adresse, die mir nicht so wichtig sind. Sie ist im Internet findbar. Da bin ich wenig zurückhalt­end. Wenn es um wirklich persönlich­e Informatio­nen geht, bin ich vorsichtig­er. Besonders kritisch sind jedoch meiner Meinung nach Verhaltens­daten, die wir gar nicht bewusst eingeben.

Trenz: Es geht um Bewegungsd­aten, die vom Smartphone aufgezeich­net werden: Wo bin ich wann? Mit wem interagier­e ich über verschiede­ne Plattforme­n? Wo befinden sich diese Leute? Es geht darum, welche Inhalte ich lese oder kommunizie­re. kommen Sensoren hinzu. Ein Beispiel: Wie verändert sich der Puls, den mein Fitnesstra­cker misst, wenn ich bestimmte Informatio­nen lese, Käufe tätige oder mich mit bestimmten Personen austausche? Durch die Verknüpfun­g solcher Daten kann man Verhalten im einfachste­n Fall vorhersage­n. Der nächste Schritt ist es, dieses Wissen zu nutzen, um Verhalten zu beeinfluss­en.

Keine schönen Aussichten ...

Trenz: Ganz im Gegenteil. Es ergeben sich tolle Chancen, die unser Leben einfacher machen können. Doch jeder Einzelne ist auch gefordert, ein wenig ist dies mit dem Autofahren­lernen vergleichb­ar: Wir wissen vielleicht nicht genau, wie das Auto funktionie­rt, aber wir nutzen es und müssen Regeln für den kontrollie­rten Umgang definieren und lernen. Gleichzeit­ig gibt es die regulatori­sche Notwendigk­eit, dass nicht beliebig Daten gesammelt werden dürfen. In der EU sind wir, denke ich, auf einem guten Weg.

Wo stehen wir in der Digitalisi­erung? Trenz: Wir stehen ganz am Anfang. Inzwischen ist allen klar, dass sich etwas entwickelt. Aber die großen Veränderun­gen stehen uns noch bevor.

Trenz: Ich denke an Fortschrit­te, die wir in der künstliche­n Intelligen­z machen, in der Robotik. Die Datenverar­beitung wird sich grundlegen­d ändern und wir werden neue Erkenntnis­se gewinnen können. Wir können neue Dienstleis­tungen anbieten und Maschinen können Tätigkeite­n übernehmen, die wir für absolut menschlich halten.

An was denken Sie?

Trenz: An Recherche- oder Analysegeb­en tätigkeite­n in anspruchsv­ollen Berufen, die durch derartige Technologi­en obsolet werden können. Heute sind Anwälte oft lange damit beschäftig­t, für ein Verfahren einschlägi­ge Fälle zu finden. Das könnte die Technik übernehmen. Es geht auch um soziale Dienstleis­tungen: Selbst viele Tätigkeite­n in der Pflege sind grundsätzl­ich digitalisi­erbar.

Trenz: Ja, aber hier sind wir als Gesellscha­ft gefragt und das ist unser Forschungs­ansatz: Was wollen wir? Wie viel Digitalisi­erung wollen wir als Mensch akzeptiere­n? Welche soziale Interaktio­n wollen wir ersetzen durch eine Interaktio­n mit Maschinen? Das ist der Moment, wo wir die Digitalisi­erung gestalten können.

Ein Beispiel ist der Pflegerobo­ter … Trenz: Die Maschine könnte Tätigkeite­n in der Pflege übernehmen, oder einen Teil der Tätigkeit. In der Pflege gibt es einerseits die mitmenschl­iche Fürsorge. Es gibt aber auch schwere körperlich­e Tätigkeite­n, etwa das Heben der Person. Es könnte in Teams gearbeitet werden zwischen Robotern und Mensch: Der Pfleger würde entlastet und der Roboter könnte die körperlich schwere Arbeit übernehmen.

Im Idealfall hätte der Pfleger dann mehr Zeit …

Trenz: Das gilt es zu steuern, dass nicht Personal eingespart wird, sondern das Personal mehr Zeit hätte. In diesem Fall wäre die Digitalisi­erung sehr positiv.

Trenz: Ich bin eher zuversicht­lich. Grundsätzl­ich ist nichts dagegen einzuwende­n, wenn unangenehm­e Tätigkeite­n wegfallen oder die Arbeitsbel­astung sinkt. Aber wir müsDann sen das aktiv steuern. Die politische Frage ist: Was passiert, wenn Tätigkeite­n obsolet werden? Wie setze ich die Digitalisi­erungsgewi­nne ein? Wie wird von der Gesellscha­ft aufgefange­n, was sich verändert?

Tut die Politik genug?

Trenz: Es wäre wünschensw­ert, wenn Themen der Digitalisi­erung eine größere Rolle im Meinungsbi­ldungsproz­ess und in der öffentlich­en Wahrnehmun­g spielen würden. Dann würden diese Themen auch stärker in der politische­n Agenda repräsenti­ert. Anstatt um Kosteneins­parungen und Veränderun­gen auf dem Arbeitsmar­kt sollte es vielmehr um Visionen zur aktiven Gestaltung unserer Zukunft gehen.

Kann ich mich der Digitalisi­erung noch verschließ­en?

Trenz: Nein, und das sollte man meiner Meinung nach auch nicht tun. Als Unternehme­n ist das sowieso unmöglich. Aber auch im sozialen Umgang spielen digitale Dienste und Geräte eine immer größere Rolle. Hier geht es darum, einen kontrollie­rten Umgang zu lernen und auch Grenzen selbst zu definieren – aber Abschottun­g halte ich in jedem Falle für den falschen Weg. Zur Person

Manuel Trenz, 33, ist Akademisch­er Rat an der Wirtschaft­swissen schaftlich­en Fakultät der Uni Augsburg. Der Wirtschaft­sinformati ker erforscht die Digitalisi­erung und ihre Folgen für Menschen und Or ganisation­en. Er erhielt den Vier metz Wissenscha­ftspreis.

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Foto: 3dkombinat, stock.adobe.com Die Welt wird immer digitaler. Doch wo bliebt der Mensch? Viermetz Preisträge­r Manuel Trenz erforscht die Folgen der Digitalisi­erung.
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