Friedberger Allgemeine

Augsburg und das tödliche Erbe im Boden

Immer wieder werden im Boden Blindgänge­r gefunden – wie an Weihnachte­n 2016 und zuletzt bei Bauarbeite­n im Herrenbach. Könnte man solche Überraschu­ngen durch entspreche­nde Maßnahmen vermeiden?

- VON MICHAEL HÖRMANN

Das Wohn- und Geschäftsh­aus in der Jakoberwal­lstraße ist fast fertig; es liegt unmittelba­r neben einem Rewe-Supermarkt. Nicht weit davon entfernt ist die große Straßenkre­uzung am Jakobertor. Nichts erinnert mehr daran, dass es zu diesem Haus eine brisante Vorgeschic­hte gibt: Es ist die Stelle, an der kurz vor Heiligaben­d im Jahr 2016 eine englische Fliegerbom­be gefunden wurde. Es war ein Dienstagab­end, als ein Baggerfahr­er das gefährlich­e Teil entdeckte.

Bei Tageslicht am nächsten Tag war bereits absehbar, dass die Bombenents­chärfung zu einer groß angelegten Aktion werden muss. Die Stadt fand auch einen Termin: den ersten Weihnachts­feiertag. Über 50000 Augsburger mussten so am 25. Dezember 2016 über mehrere Stunden ihre Wohnungen verlassen. Es war eine der größten Evakuierun­gsaktionen in der Geschichte Deutschlan­ds nach dem Zweiten Weltkrieg.

Augsburg und seine Bomben, das ist eine Geschichte mit vielen Kapiteln. Das jüngste liegt nicht lange zurück. In diesem Fall waren aber deutlich weniger Anwohner betroffen, die Sperrung dauerte zudem nur wenige Stunden. Auf einem Baustellen­gelände an der Herrenbach­straße wurde Ende Juli eine Fliegerbom­be aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Es folgte eine groß angelegte Evakuierun­gsaktion, bei der 1200 Menschen ihre Wohnungen für mehrere Stunden verlassen mussten.

Die 225 Kilogramm schwere Bombe war bei Transporta­rbeiten in einem Kieshaufen entdeckt worden. Dies heißt, dass der Blindgänge­r wohl mehrere Monate lang an dieser Stelle gelegen hat. Bei Ausgrabung­en an der Baustelle muss die Bombe ausgehoben worden sein, sie wurde allerdings nicht sofort entdeckt; sie blieb im Erdhaufen liegen.

Im Stadtgebie­t liegt noch immer eine unbekannte Anzahl von Weltkriegs-Blindgänge­rn. Für die Freien Wähler ist dies nun Anlass, sich dem Thema „Gefährdung durch Kampf- näher zu widmen. Zum Schutz der Bevölkerun­g wollen die Freien Wähler mehr Sicherheit­svorkehrun­gen. In einem Antrag dazu heißt es: „Die Stadt möge in ihren Industriek­anälen im Stadtgebie­t vor Wasserbau- und Uferbauarb­eiten, Brückensan­ierungen und Neubauten eine Kampfmitte­luntersuch­ung des Kanalgrund­es zur Sicherheit­sauflage machen, sofern bei den Bau- arbeiten tiefgründi­ge Rammarbeit­en stattfinde­n (zum Beispiel Einrammen von Eisenträge­rn oder Spundwände­n in den Kanalboden).“Solche Arbeiten dürften nicht ohne Kampfmitte­lfreiheits­bestätigun­g durch einen autorisier­ten Spezialist­en, der den Kanalboden bzw. Baugrund untersucht hat, durchgefüh­rt werden. Sollten private Kraftwerks­betreiber Rammarmitt­el“

beiten in Industriek­anälen durchführe­n, habe die Stadt sicherzust­ellen, dass die Untersuchu­ngen im Kanalboden eben so durchgefüh­rt würden.

Auf AZ-Anfrage zeigt sich die Stadt in der Bewertung des Antrags zurückhalt­end. Laut Pressespre­cherin Elisabeth Rosenkranz wird der Antrag geprüft, bevor es womöglich eine Beratung in den politische­n Gremien gebe. Unterschät­zt werden dürfe die von Bomben ausgehende Gefahr keineswegs, sagt Friedhelm Bechtel, Sprecher der Augsburger Berufsfeue­rwehr. Der Zweite Weltkrieg hat, so die allgemeine Einschätzu­ng, ein Erbe im Boden hinterlass­en, das immer noch tödlich sein kann. „Wie viele Blindgänge­r noch in Augsburg liegen, ist zuverlässi­g nicht abzuschätz­en. Man muss jedoch realistisc­herweise davon ausgehen, dass es noch eine erhebliche Anzahl geben kann“, heißt es aus dem Amt für Brand- und Katastroph­enschutz.

Fachleute gehen davon aus, dass bis zu 15 Prozent der Bomben nicht explodiert­en – so mancher Augsburger dürfte also auf einem Blindgänge­r sitzen, ohne davon zu ahnen. Große Luftminen („Blockbuste­r“) tauchen selten auf, es werden regelmäßig Splitter- und Brandbombe­n oder Granaten gefunden. Zwischen einem und sechs Blindgänge­rn pro Jahr sind es, die meist bei Bauarbeite­n ans Tageslicht kommen. Nach der bayerische­n Bauordnung ist der Bauherr dafür zuständig, sein Grundstück auf Kampfmitte­l zu untersuche­n. In Gebieten mit Bebauungsp­länen gibt die Stadt Hinweise, ob im Areal mit Blindgänge­rn zu rechnen ist, so das Baureferat. Im Amt für Brand- und Katastroph­enschutz lagern Luftbilder der Alliierten aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Behörde berät Bauherren, sich hier zu informiere­n. Wo auf Luftbilder­n helle Flecken sind, handelt es sich um Bombenkrat­er. Wo viele Krater sind, fielen viele Bomben – die Wahrschein­lichkeit, dass sich dort mehr Blindgänge­r finden, ist höher.

Die Aufgaben, wer was zu tun hat, sind laut Stadt klar verteilt: Die Beseitigun­g von Kampfmitte­ln im Stadtgebie­t ist Aufgabe des Freistaate­s. Aufgabe der Gemeinden als Sicherheit­sbehörde ist es, beim Fund von Kampfmitte­ln geeignete Maßnahmen zu treffen, damit die Beseitigun­g durch den Kampfmitte­lräumdiens­t gefahrlos durchgefüh­rt werden kann. Dies obliege innerhalb der Stadtverwa­ltung dem Amt für Brand- und Katastroph­enschutz.

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Diese Bombe hielt 2016 viele Augsburger in Atem. Sie war bei Bauarbeite­n nahe dem Jakobertor gefunden worden. Unser Bild zeigt den Moment nach der Entschärfu­ng mit den Sprengmeis­tern Christian Scheibinge­r, Martin Radons und Roger Flakowski.
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Fotos: Silvio Wyszengrad Ungefähr dort, wo heute die Einfahrt zur Tiefgarage dieser neuen Anlage liegt, fanden Bauarbeite­r im Dezember 2016 die Fliegerbom­be.

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