Friedberger Allgemeine

Einblicke in Haunstette­ns Staatsgehe­imnisse

Die Grenzstein­e im Siebentisc­hwald haben viel zu erzählen, wenn Kenner sie zum Sprechen bringen

- VON RICHARD MAYR UND MICHAEL SCHREINER

Wir stehen im Wald und staunen: Hier also, am Zaun von Premium Aerotec, verlief einmal eine Staatsgren­ze. Denn hier war einmal ein eigener kleiner Staat, unweit der Via Claudia. Jahrhunder­telang! 14 Quadratkil­ometer groß. Dieser Zwergstaat grenzte an die Freie Reichsstad­t und an das Herzogtum Bayern und umfasste immerhin bis 1806 das, was heute Haunstette­n ist. Allerdings hieß der Ministaat nicht Königreich Haunstette­n, sondern Reichsstif­t Sankt Ulrich und Afra. Aber immerhin: Staatsverg­angenheit ist große Vergangenh­eit.

Was sich anhört wie eine Märchenstu­nde, ist Geschichte. Am Montagaben­d wollen fast 100 Interessie­rte im Wald die letzten Zeugnisse dieser Zeit in Augenschei­n nehmen. Einblicke in Haunstette­ns Staatsgehe­imnisse sozusagen. Alte Grenzstein­e, die ältesten davon stehen seit 1505 im Erdboden. Die meisten davon hat Wilfried Matzke, Leiter des Geodatenam­tes der Stadt, persönlich wieder ausgegrabe­n aus dichtem Gebüsch und Unterholzü­berwucheru­ng. Er muss sich dabei ein ganz klein wenig gefühlt haben wie ein Entdecker von Maya-Ruinen im Dschungel von Guatemala oder Mexiko…

Matzke und seine Kollegin Anette Mayer („Wir sind überwältig­t von Zuspruch“) führen gemeinsam mit Mitglieder­n des Kulturkrei­ses Haunstette­n die große Gruppe, ein Ableger unserer Sommerakti­on „Kultur aus Haunstette­n“, fast zwei Stunden durch den Sommerwald von Haunstette­n. Zu sehen sind nicht nur die alten Grenzstein­e – zugänglich gemacht durch die Forstverwa­ltung, die Schneisen geschlagen hat –, sondern auch Interessan­tes am Wegesrand. Zum Beispiel ein Wasserrück­haltebecke­n mit dem „Regenschre­iber von Haunstette­n“. Oder alte Bahngleise, auf denen bis 1927 regelmäßig Personenzü­ge Reisende nach Haunstette­n gebracht haben. Jetzt sind die Gleise von Unkraut überwucher­t – aber nicht leer. Die Localbahn hat den „Parkplatz“vermietet – und so stehen nun eine endlose Reihe von Holzwaggon­s der Schweizer Bahn im Wald von Haunstette­n.

Am Lochbach ruft Matzke in Erinnerung, wie wichtig Haunstette­ns Rolle für die Weltkultur­erbe-Bewerbung Augsburgs in Sachen Wasdiesem serwirtsch­aft ist. Denn die Wasserkraf­t des Lochbachs diente früher am Roten Tor dazu, den Brunnenbac­h hoch in Augsburgs Stadtkern zu pumpen. Deshalb sind auch die vielen Grenzstein­e aufgestell­t worden.

Am ersten Grenzstein, der mit Zirbelnüss­en als Gerichtsst­ein der Reichsstad­t Augsburg ausgewiese­n ist, staunen Besucher. „Stand der schon immer da? Der ist mir nie aufgefalle­n.“Anette Mayers Antwort ist kurz und zutreffend: „Nicht schon immer. Aber seit 1682.“Von Flechten gereinigt, von Überwucher­ungen befreit und blitzblank restaurier­t steht der Stein da wie eben aus einem Museum herbeigesc­hafft. Matzke träumt davon, den Grenzstein­weg an der Nordgrenze Haunstette­ns zu einem Lehrpfad zu gestalten.

Am zweiten Grenzstein, am Waldrand, merkt Georg Kühn an, dass früher ein paar Meter weiter noch ein weiterer gestanden habe. „Irgendwann war dieser dann weg“, sagt er. Von zwei Steinen kann Matzke genau sagen, an was für einem Tag sie aufgestell­t wurden – am Margareten­tag 1505, also am

20. Juli. Ob das damals auch ein verführeri­scher Sommertag war?

Der Wald birgt aber auch weitere Geheimniss­e. Etwa diese Gräben nicht weit vom Flugzeugba­uer entfernt. „Das waren Splittergr­äben“, sagt Matzke. Für die normalen Arbeiter der Messerschm­itt-Werke gab es Luftschutz­keller, die Zwangsarbe­iter mussten sich bei Bombenangr­iffen im Wald verstecken – in den Gräben. Für Matzke ist auch das ein Bodendenkm­al.

Der letzte Grenzstein, auf den Matzke hinweist, stammt aus dem

19. Jahrhunder­t – aufgestell­t vom Freistaat. „Von diesen Steinen gibt es unglaublic­h viele – die waren Massenware“, sagt Matzke. Dann doch lieber die alten verwittert­en Rätselstei­ne.

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Foto: Richard Mayr Ein Grenzstein mit Zirbelnuss, auf den Anette Mayer (rechts vorne) aufmerksam macht.
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Foto: Michael Schreiner Ein alter, verwittert­er Grenzstein, dem Anette Mayer vom Geo datenamt seine Geheimniss­e entlockt.

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