Aichacherin überlebt Erdbeben und hilft
Julia Linscheid ist auf der Insel Gili Air, als die Erde bebt. Die 22-Jährige kann sich gerade noch aus einem Bungalow retten. Jetzt hilft sie Opfern der Katastrophe in Indonesien
Aichach/Lombok Julia Linscheid hat sich gerade schlafen gelegt. Ein kurzes Nickerchen, bevor es mit Freunden zum Abendessen geht. Draußen, vor ihrem Bungalow, wirft der Pazifik sanft seine Wellen an den Sandstrand von Gili Air. Die tief stehende Sonne hüllt die kleine indonesische Insel in goldenes Licht. Dann schreckt die 22-Jährige jäh aus ihren Träumen auf. Die Mauern um sie herum erzittern, Staub rieselt ihr ins Gesicht. Von draußen schallt wirres Geschrei ins Zimmer. Sofort begreift Linscheid: Ich muss hier raus – und zwar schnell. Sekunden später steht sie vor ihrem Bungalow und muss zusehen, wie die steinernen Wände der ungebändigten Kraft der bebenden Natur nachgeben. Jetzt versucht sie alles, um betroffenen Menschen zu helfen.
„Ich habe am ganzen Körper gezittert“, erinnert sich die junge Aichacherin an das Erdbeben vor einer Woche. Dabei ist diese Naturkatstrophe nicht die erste, die Linscheid hautnah miterlebt. Schon eine Woche zuvor bebt die Erde. „Mir war aber sofort klar, dass es diesmal ein gutes Stück heftiger ist, als beim letzten Mal.“Ein Umstand, der ihr vermutlich das Leben rettet. Nachdem Linscheid den ersten Schock verdaut hat, will sie zu ihren Freunden. Die 22-Jährige hat sich bereits eingelebt, auf Gili Air. Seit Februar ist die gelernte Erzieherin in Asien auf Reisen. Auf dem beschaulichen Fleckchen Erde vor der Küste Lomboks war sie bereits im März und April schon einmal. Weil sie nun ihren Tauchschein machen will, ist Linscheid ein zweites Mal auf die Insel gereist.
Von der Idylle ihres ersten Besuchs fehlt nun allerdings jede Spur. Das wird Linscheid auf dem Weg zu ihren Freunden bewusst, denn das Ausmaß der Katastrophe ist enorm. Die Zahl der Toten ist mittlerweile auf über 400 gestiegen. Die Infrastruktur auf der Insel wurde größtenteils zerstört. Mehr als 350000 Menschen sind obdachlos. „Die Insel gleicht einem Trümmerfeld, überall sind Gebäude eingestürzt.“Der 22-Jährigen ist sofort klar: „Ich will den Menschen helfen.“Doch erst einmal gilt es, selbst über die Runden zu kommen. Gemeinsam mit ihren Bekannten schläft Linscheid die ersten Tage nach dem Erdbeben am Strand. Nahrung finden sie überall auf dem Boden verteilt. „Das war schon ein krasses Erlebnis“, sagt Linscheid. Als sie davon hört, dass die Lage auf Lombok noch schlimmer sei, entscheidet sich die Aichacherin, mit dem Boot überzusetzen. Doch das gestaltet sich schwer. „Es herrschte Chaos, natürlich wollten alle Touristen so schnell wie möglich weg von der Insel.“Letztlich ergattert sie doch einen der begehrten Plätze auf einem Schiff Richtung Bangsal.
Dort angekommen, wird Linscheid von Verwesungsgeruch empfangen. Die örtliche Moschee war während des Gebets eingestürzt. Hunderte Menschen wurden von den Trümmern lebend begraben. Die Polizei organisiert ein Auto für Linscheid und ihre Freunde, Mantaram heißt das neue Ziel. Die Fahrt dorthin zeigt der 22-Jährigen jedoch: Es herrscht Ausnahmezustand auf der Ferieninsel. „Es war eine eingepackte Leiche in dem Auto. Das war ganz furchtbar. Uns blieb aber nichts anderes übrig, als es auszuhalten.“
Zwei Tage lang pendelt sie zusammen mit dem Roten Kreuz zwischen Mantaram und Bangsal. Linscheid leistet Erste Hilfe, verteilt Medikamente, schient verletzte Beine und reinigt Wunden. Immer wieder wird die Erde von kleineren Nachbeben erschüttert. „Die Menschen leben in ständiger Angst“, sagt Linscheid, „ich habe noch nie so viele Verletzte und so viel Elend gesehen.“Zu helfen steht für sie au- ßer Frage: „Ich versuche zu helfen, wo es nur geht. So schnell wird man vom Weltenbummler zur Katastrophenhilfe.“
Inzwischen ist die junge Aichacherin bei der Familie eines Freundes untergekommen und hilft im größten Camp der Insel in Bangsal. Über 3500 Menschen sind dort provisorisch in Zelten einquartiert, erzählt Linscheid: „Die Zustände sind katastrophal. Es leben 20 bis 30 Menschen in einem Zelt, darunter viele Kinder. Die Babys sind der Hitze in den Anlagen ausgesetzt.“Zudem seien die Sanitäranlagen sehr schlecht. Lebensmittel seien nur in der Hauptstadt erhältlich. Immerhin gebe es mittlerweile wieder Wasser aus den Brunnen und auch hier und da etwas Strom. Das Militär sorge für Sicherheit, denn es habe schon viele Raubüberfälle gegeben und die Angst vor Piraten sei akut, sagt Linscheid. Die finanziellen Hilfsmittel der Regierung seien bislang deutlich zu wenig.
Die Lebensmittel- und Medikamenteneinkäufe hat sie aus eigener Tasche bezahlt. Doch nun wird ihr Geld knapp. Deshalb hat die Aichacherin eine Spendenkampagne ins Leben gerufen (siehe Infokasten). Denn ein Schicksal liegt ihr besonders am Herzen. Ihr Bekannter Wendy und sein kleiner Bruder Roby haben bei dem Erdbeben ihr Haus verloren. Familie haben die beiden keine, Wendy versorgt Roby mit seinem Verdienst als Dive-Guide (Tauchführer), erklärt Linscheid: „Wegen des Bebens ist es für Wendy im Moment allerdings nicht möglich, zu arbeiten. Ich möchte den beiden deshalb helfen. Mit einem Dive-Master-Schein würde Wendy Arbeit finden und könnte damit den Wiederaufbau seines Hauses finanzieren.“
Auf ihrem Instagram-Profil „sprung.ins.abenteuer“informiert die 22-Jährige übrigens laufend über die Lage vor Ort. Wie lange sie noch auf Lombok bleiben will, steht noch nicht fest, wie sie sagt: „Ich möchte den Menschen so lange helfen, bis sie mich nicht mehr brauchen. “
» Weitere Bilder und ein Video finden Sie im Internet unter www.friedberger allgemeine.de