Friedberger Allgemeine

Aichacheri­n überlebt Erdbeben und hilft

Julia Linscheid ist auf der Insel Gili Air, als die Erde bebt. Die 22-Jährige kann sich gerade noch aus einem Bungalow retten. Jetzt hilft sie Opfern der Katastroph­e in Indonesien

- VON CHRISTOPH LOTTER

Aichach/Lombok Julia Linscheid hat sich gerade schlafen gelegt. Ein kurzes Nickerchen, bevor es mit Freunden zum Abendessen geht. Draußen, vor ihrem Bungalow, wirft der Pazifik sanft seine Wellen an den Sandstrand von Gili Air. Die tief stehende Sonne hüllt die kleine indonesisc­he Insel in goldenes Licht. Dann schreckt die 22-Jährige jäh aus ihren Träumen auf. Die Mauern um sie herum erzittern, Staub rieselt ihr ins Gesicht. Von draußen schallt wirres Geschrei ins Zimmer. Sofort begreift Linscheid: Ich muss hier raus – und zwar schnell. Sekunden später steht sie vor ihrem Bungalow und muss zusehen, wie die steinernen Wände der ungebändig­ten Kraft der bebenden Natur nachgeben. Jetzt versucht sie alles, um betroffene­n Menschen zu helfen.

„Ich habe am ganzen Körper gezittert“, erinnert sich die junge Aichacheri­n an das Erdbeben vor einer Woche. Dabei ist diese Naturkatst­rophe nicht die erste, die Linscheid hautnah miterlebt. Schon eine Woche zuvor bebt die Erde. „Mir war aber sofort klar, dass es diesmal ein gutes Stück heftiger ist, als beim letzten Mal.“Ein Umstand, der ihr vermutlich das Leben rettet. Nachdem Linscheid den ersten Schock verdaut hat, will sie zu ihren Freunden. Die 22-Jährige hat sich bereits eingelebt, auf Gili Air. Seit Februar ist die gelernte Erzieherin in Asien auf Reisen. Auf dem beschaulic­hen Fleckchen Erde vor der Küste Lomboks war sie bereits im März und April schon einmal. Weil sie nun ihren Tauchschei­n machen will, ist Linscheid ein zweites Mal auf die Insel gereist.

Von der Idylle ihres ersten Besuchs fehlt nun allerdings jede Spur. Das wird Linscheid auf dem Weg zu ihren Freunden bewusst, denn das Ausmaß der Katastroph­e ist enorm. Die Zahl der Toten ist mittlerwei­le auf über 400 gestiegen. Die Infrastruk­tur auf der Insel wurde größtentei­ls zerstört. Mehr als 350000 Menschen sind obdachlos. „Die Insel gleicht einem Trümmerfel­d, überall sind Gebäude eingestürz­t.“Der 22-Jährigen ist sofort klar: „Ich will den Menschen helfen.“Doch erst einmal gilt es, selbst über die Runden zu kommen. Gemeinsam mit ihren Bekannten schläft Linscheid die ersten Tage nach dem Erdbeben am Strand. Nahrung finden sie überall auf dem Boden verteilt. „Das war schon ein krasses Erlebnis“, sagt Linscheid. Als sie davon hört, dass die Lage auf Lombok noch schlimmer sei, entscheide­t sich die Aichacheri­n, mit dem Boot überzusetz­en. Doch das gestaltet sich schwer. „Es herrschte Chaos, natürlich wollten alle Touristen so schnell wie möglich weg von der Insel.“Letztlich ergattert sie doch einen der begehrten Plätze auf einem Schiff Richtung Bangsal.

Dort angekommen, wird Linscheid von Verwesungs­geruch empfangen. Die örtliche Moschee war während des Gebets eingestürz­t. Hunderte Menschen wurden von den Trümmern lebend begraben. Die Polizei organisier­t ein Auto für Linscheid und ihre Freunde, Mantaram heißt das neue Ziel. Die Fahrt dorthin zeigt der 22-Jährigen jedoch: Es herrscht Ausnahmezu­stand auf der Ferieninse­l. „Es war eine eingepackt­e Leiche in dem Auto. Das war ganz furchtbar. Uns blieb aber nichts anderes übrig, als es auszuhalte­n.“

Zwei Tage lang pendelt sie zusammen mit dem Roten Kreuz zwischen Mantaram und Bangsal. Linscheid leistet Erste Hilfe, verteilt Medikament­e, schient verletzte Beine und reinigt Wunden. Immer wieder wird die Erde von kleineren Nachbeben erschütter­t. „Die Menschen leben in ständiger Angst“, sagt Linscheid, „ich habe noch nie so viele Verletzte und so viel Elend gesehen.“Zu helfen steht für sie au- ßer Frage: „Ich versuche zu helfen, wo es nur geht. So schnell wird man vom Weltenbumm­ler zur Katastroph­enhilfe.“

Inzwischen ist die junge Aichacheri­n bei der Familie eines Freundes untergekom­men und hilft im größten Camp der Insel in Bangsal. Über 3500 Menschen sind dort provisoris­ch in Zelten einquartie­rt, erzählt Linscheid: „Die Zustände sind katastroph­al. Es leben 20 bis 30 Menschen in einem Zelt, darunter viele Kinder. Die Babys sind der Hitze in den Anlagen ausgesetzt.“Zudem seien die Sanitäranl­agen sehr schlecht. Lebensmitt­el seien nur in der Hauptstadt erhältlich. Immerhin gebe es mittlerwei­le wieder Wasser aus den Brunnen und auch hier und da etwas Strom. Das Militär sorge für Sicherheit, denn es habe schon viele Raubüberfä­lle gegeben und die Angst vor Piraten sei akut, sagt Linscheid. Die finanziell­en Hilfsmitte­l der Regierung seien bislang deutlich zu wenig.

Die Lebensmitt­el- und Medikament­eneinkäufe hat sie aus eigener Tasche bezahlt. Doch nun wird ihr Geld knapp. Deshalb hat die Aichacheri­n eine Spendenkam­pagne ins Leben gerufen (siehe Infokasten). Denn ein Schicksal liegt ihr besonders am Herzen. Ihr Bekannter Wendy und sein kleiner Bruder Roby haben bei dem Erdbeben ihr Haus verloren. Familie haben die beiden keine, Wendy versorgt Roby mit seinem Verdienst als Dive-Guide (Tauchführe­r), erklärt Linscheid: „Wegen des Bebens ist es für Wendy im Moment allerdings nicht möglich, zu arbeiten. Ich möchte den beiden deshalb helfen. Mit einem Dive-Master-Schein würde Wendy Arbeit finden und könnte damit den Wiederaufb­au seines Hauses finanziere­n.“

Auf ihrem Instagram-Profil „sprung.ins.abenteuer“informiert die 22-Jährige übrigens laufend über die Lage vor Ort. Wie lange sie noch auf Lombok bleiben will, steht noch nicht fest, wie sie sagt: „Ich möchte den Menschen so lange helfen, bis sie mich nicht mehr brauchen. “

» Weitere Bilder und ein Video finden Sie im Internet unter www.friedberge­r allgemeine.de

 ?? Fotos: Julia Linscheid ?? Julia Linscheid aus Aichach möchte ihren Freund Wendy (weißes Shirt) unterstütz­en. Dieser benötigt finanziell­e Hilfe, da sein Haus bei dem Erdbeben zerstört wurde und er wegen der Katastroph­e seinem Beruf als Tauchlehre­r nicht nachgehen kann. Wendy hat keine Familie und muss seinen kleinen Bruder Roby (schwarzes Shirt) versorgen.
Fotos: Julia Linscheid Julia Linscheid aus Aichach möchte ihren Freund Wendy (weißes Shirt) unterstütz­en. Dieser benötigt finanziell­e Hilfe, da sein Haus bei dem Erdbeben zerstört wurde und er wegen der Katastroph­e seinem Beruf als Tauchlehre­r nicht nachgehen kann. Wendy hat keine Familie und muss seinen kleinen Bruder Roby (schwarzes Shirt) versorgen.
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Julia Linscheid

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