In Hochzoll ein neues Leben angefangen
Seit zwei Jahren betreut Helfer Herbert Niedermirtl unter anderem eine syrische Familie. Sie haben in Augsburg schnell Fuß gefasst, Sprachkurse absolviert und sind jetzt bereit für den nächsten Schritt
Im Flur der syrischen Familie hängt eine kleine Deutschlandfahne. Sie hängt nicht einfach nur so dort. Sie erinnert die Familie daran, dass sie es geschafft haben, aus ihrem durch Krieg und Terror zerstörten Heimatland zu fliehen – und dass sie hier eine neue Heimat fanden.
Shireen Dawoud, ihr Mann Rizkar Kaseem und ihre drei Kinder haben sich in Augsburg gut eingelebt. In der Stadt sind sie seit 2016. In den vergangenen zwei Jahren haben sie einiges geschafft: Sie haben verschiedene Deutschkurse absolviert, eine Wohnung und einen Job gefunden und viele Kontakte in ihrem Umfeld in Hochzoll geknüpft. Einfach war das alles nicht.
Die Familie floh damals über die Balkanroute. Ihren schwerstbehinderten Sohn Mohammad, der an einem Wirbelspalt und Wasserkopf leidet, trugen sie auf dem beschwerlichen Weg, in Ungarn gebar Shireen Dawoud ihren Sohn Assad. Nach den ersten Wochen in einer Unterkunft im Münchner Vorort Taufkirchen durften sie nach Augsburg kommen, wo der Bruder von Rizkar Kaseem lebt. Sechs Monate wohnten sie bei ihm in seiner Einzimmerwohnung und fassten in der Stadt schnell Fuß. Herbert Niedermirtl half ihnen dabei.
Der 56-Jährige ist nicht nur ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer. 2015, als der große Flüchtlingsstrom einsetzte und es großen Bedarf an helfenden Händen gab, gründete er seinen Asyl-Helferkreis „Aufwind“. 25 interessierte Frauen und Männer kamen zu dem ersten Info-Abend 2015. „Das habe ich als Auftrag verstanden“, sagt er. Über 20 engagierte ehreamtliche Helfer zählt der Kreis, der in Hochzoll und Friedberg-West Flüchtlinge als Paten begleitet. „Das ist eine langfristige Begleitung. Mit einem Jahr hat es sich da selten getan“, weiß er. Denn die Integrationsleistung, die Shireen Dawoud und Rizkar Kaseem bisher geleistet haben, benötigt Zeit. Die 25-Jährige, die in ihrer Heimatstadt Damaskus das Abitur ablegte, hat in ihren Kursen das Sprachniveau B1 erreicht, versteht sehr gut Deutsch und kann es fast fließend sprechen. Ihr Mann wird in zwei Wochen seinen Sprachkurs mit dem Niveau A2 ablegen und will dann den ganzen Tag arbeiten. „Momentan gehe ich vormittags in die Schule. Am Nachmittag arbeite ich“, erzählt der 31-Jährige. Über eine Leihfirma hat er im vergangenen Jahr eine Stelle im Briefzentrum der Post in Gersthofen erhalten. Fünf Stunden täglich arbeitet er dort. Er kümmert sich um die anfahrenden Lkw, meldet sie an und nach der Leerung im betreffenden Büro auch wieder ab. Ihm macht die Arbeit Spaß. Wenn der Sprachkurs beendet ist, will er in Vollzeit arbeiten. „Wenn das bei der Post nicht geht, suche ich mir einen zweiten Job“, sagt er. Seine Frau kümmert sich um die Kinder. Tochter Sarah ist vor fünf Monaten zur Welt gekommen. Assad besucht den Kindergarten, Mohammad wird untertags im Förderzentrum für Kinder der Hessing-Stiftung betreut. „Er ist dort in sehr guten Händen, wurde auch schon operiert“, erzählt Herbert Niedermirtl. Der vierjährige Bub werde weiterhin eine umfassende medizinische und pflegerische Betreuung benötigen. In der Nacht kümmern sich die Eltern aufopfernd um ihn, leeren ihm regelmäßig Blase und Darm, wozu er selber nicht in der Lage ist.
Wenn sich die Kinderbetreuung eingespielt hat und Sarah etwas älter ist, will auch Shireen Dawoud arbeiten gehen. „Ich will eine Ausbildung machen.“Sie denkt an eine Lehre im pflegerischen Bereich, etwa als Altenpflegerin. Wenn es so weit ist, wird Herbert Niedermirtl auch diese Schritte begleiten. „Als Helfer ist man drei, vier, fünf Jahre gefordert“, weiß er inzwischen. Ihm macht das nichts aus. „Ich sitze hier bei der Familie nicht nur als Helfer, sondern inzwischen auch als Freund und Onkel“, sagt er. „Onkel“wird er von Assad genannt. Nicht nur für den Buben ist der Augsburger ein Teil der Familie geworden.