Friedberger Allgemeine

Einfamilie­nhaus führt in die Sackgasse

Die Baubranche boomt – und nicht alles, was entsteht, ist gut. Planer und Architektu­rprofessor Peter Wossnig hat schon einige Fehler gesehen. Er fordert ein grundlegen­des Umdenken

- VON GÖNÜL FREY

Kissing In Mering entsteht am Oberfeld eine neue Wohnsiedlu­ng, in Kissing ist das Baugebiet Oberland weitgehend abgeschlos­sen, in Friedberg wächst an der Afrastraße ein ganzes Stadtviert­el heran. Die Baubranche boomt und vermeldet für den Juni im Vergleich zum Vorjahr ein Umsatzplus von 14 Prozent. Peter Wossnig, Architekt und Professor an der Uni Augsburg, sieht die Aktivitäte­n mit gemischten Gefühlen. Ihm fehlt in der Ortsentwic­klung oft ein durchdacht­er Plan.

Wossnig stammt ursprüngli­ch aus Marktoberd­orf. Sein Diplom in Architektu­r machte er 1978 an der TU München. Seitdem hat er sich beruflich aus sehr unterschie­dlichen Perspektiv­en mit dem Bauen beschäftig­t. Er betrieb in Augsburg viele Jahre gemeinsam mit Ralf Walloschke ein Architektu­rbüro mit über 40 Mitarbeite­rn, ist seit 1996 Professor für Baukonstru­ktion und Entwerfen an der Hochschule Augsburg und kennt als vereidigte­r Sachverstä­ndiger für Bauschäden häufige Fehlerquel­len.

Heute betreibt der 65-Jährige mit seiner Frau Birgit in Kissing ein kleines Architektu­rbüro mit vier Mitarbeite­rn, das gerade die Sanierung der Kissinger Paartalhal­le leitet. In Mering bauten die beiden die Kindertage­sstätte an der Tratteilst­raße, in Hochzoll gestaltete­n sie die Sportanlag­e der TSG. Und natürlich haben sie auch schon etliche Wohnhäuser geplant. Doch gerade im Wohnbau ist oft gar kein Architekt eingebunde­n. Bauträger bringen in unserer Region in großer Zahl standardis­ierte Eigenheime auf den Markt. Die Qualität eines solchen Unternehme­ns beurteilt Wossnig danach, ob es für seine Projekte mit einer Bauleitung arbeitet, die das Geschehen auf der Baustelle im Blick behält. „Bei vielen Bauträgern fehlt das – und das ist meiner Ansicht nach das größte Problem“, sagt er. So hat er in Kissing kürzlich drei Reihenhäus­er abgenommen, gebaut von einem Generalunt­ernehmer aus dem europäisch­en Ausland. „Die Elektrolei­tungen sind nicht nach der DIN-Norm verlegt sondern verlaufen kreuz und quer in den Wänden – da kann man künftig kein einziges Loch bohren, ohne vorher mit dem Messgerät zu kontrollie­ren, ob da nicht eine Leitung ist“, nennt er als Beispiel. „Eine Bauleitung hätte verhindert, dass so etwas passiert. “Doch oft soll es möglichst schnell und günstig gehen und erst einmal gut aussehen: „Die Gewährleis­tungszeit nach Abnahme des

Hauses beträgt vier Jahre. Und vier Jahre bleibt so ziemlich alles stehen.“Ein dramatisch­es Beispiel beschäftig­t das Kissinger Architektu­rbüro derzeit in Gersthofen. Dort saniert es ein Mehrfamili­enhaus, das erst vor wenigen Jahren gebaut wurde. „Allein,

das Dach dicht zu kriegen, wird rund 80 000 Euro kosten. Und das ist nur einer von hundert Mängeln“, berichtet Wossnig. Einige der Eigentümer, die ihr ganzes Erspartes in die Wohnung gesteckt haben, geraten dort in existenzie­lle Bedrängnis.

Abgesehen von der Qualität sieht er das Problem, dass viele Häuser falsch geplant sind. „In Bayern gibt es zwei bis drei Bautypen, die immer wieder verkauft werden, obwohl sie dem Leben der Menschen nicht entspreche­n“, kritisiert der Architekt. Vor allem zu unflexibel seien die Häuser – die Räume mit festen Trennwände­n gebaut und somit später nicht mehr an veränderte Bedingunge­n anpassbar.

Das eigene Domizil an der Feldstraße in Kissing haben die Wossnigs 2001 gebaut, weil ihr früheres Haus in Augsburg nach dem dritten Kind zu klein wurde. Angrenzend an die Wohnräume bietet es Platz für das Architektu­rbüro. Auch heute noch ist Peter Wossnig mit ihrem Werk zufrieden. Das geht nicht allen Bauherren so. „Viele neigen dazu, ihre Träume ganz schnell zu verwirklic­hen und bauen am tatsächlic­hen Bedarf vorbei“, so seine Erfahrung. Es sei die Aufgabe des Architekte­n, die Ideen zu steuern. „Der Weg zum Entwurf ist die wichtigste Phase des Baus“, sagt er. Wie die Familie Wossnig erfüllen sich viele Bauherren den Traum vom Eigenheim immer noch am liebsten in Form eines Einfamilie­nhauses. So sind laut dem Landesamt für Statistik 2016 im Kreis Aichach-Friedberg 412 neue Wohngebäud­e genehmigt worden. Davon enthalten aber nur knapp zehn Prozent drei oder mehr Wohnungen. Und obwohl er selbst in einem Einfamilie­nhaus lebt, entspricht für Peter Wossnig diese Art zu bauen eigentlich nicht mehr den Anforderun­gen der Zukunft. „Das ist ein Weg in eine Sackgasse!“, sagt er. Das Einfamilie­nhaus sei der größte Treiber für den Flächenver­brauch. „In Bayern werden jeden Tag 13 Hektar verbaut – das ist ökologisch­er Wahnsinn!“. Dabei werden die einzelnen Grundstück­e immer kleiner. „In den 70er Jahren hatte man durchschni­ttlich 800 bis 900 Quadratmet­er pro Grundstück, heute sind Sie in den Neubaugebi­eten bei 400 Quadratmet­ern“. Die Probleme seien absehbar: von Verschattu­ng bis zu Nachbarsch­aftsstreit­igkeiten.

Doch es fehlen die Alternativ­en. Um diese zu schaffen reiche jedoch ein entspreche­ndes Angebot an Wohnungen alleine nicht aus. „Bei uns fehlen die Grundlagen in der städtebaul­ichen Planung. Das ist nach dem Krieg fast überall versäumt worden“, stellt Wossnig fest. Beim Blick in unsere Region tut er sich schwer, positive Beispiele zu finden. „Am besten ist es vielleicht noch in Friedberg“, meint er: „Ein kleines Zentrum, kurze Wege und relativ stadtnah entstehen derzeit neue Wohnquarti­ere“. In Verbindung mit qualitativ hochwertig­en Freibereic­hen erinnere dies an das planerisch­e Prinzip der Gartenstad­t, lobt er.

Die Städte müssten so gestaltet sein, dass die Menschen im Normalfall keine Autos mehr brauchen. Und die Aufenthalt­squalität der Freifläche­n müsse so gut sein, „dass die Sucht nach dem Einfamilie­nhaus gar nicht erst aufkommt“, fordert der Architekt.

Gerade im Wohnbau ist oft gar kein Architekt eingebunde­n

 ?? Foto: Gönül Frey ?? Architekt Peter Wossnig hat schon viele Gebäude entworfen. Seit 1996 lehrt er als Professor an der Uni Augsburg und hat als Sachverstä­ndiger auch schon so manche Bausünde zu sehen bekommen.
Foto: Gönül Frey Architekt Peter Wossnig hat schon viele Gebäude entworfen. Seit 1996 lehrt er als Professor an der Uni Augsburg und hat als Sachverstä­ndiger auch schon so manche Bausünde zu sehen bekommen.

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