Friedberger Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (129)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Er war eben Schauspiel­er, jeden Abend ging er ins Theater, und hinterher probten sie noch die halbe Nacht. Nein, er war keine große Nummer, so grade noch in der Mitte, sie hatte ihn ja auf der Bühne gesehen …

Ja, das hatte sie, er schenkte ihr öfter Karten. Sie hatte ihn zuerst gar nicht erkannt, aber das erklärte er ihr, daß das grade die Kunst sei, sich vollkommen unkenntlic­h zu machen. Einmal war er ein General gewesen und einmal, in einem Märchenstü­ck, ein Wassermann, ein Nickelmann – da war es ja klar, daß er ganz verschiede­n aussehen mußte und daß sie ihn nicht erkannte, ihre Augen waren ja auch nicht mehr gut. Sein Name, Ernst Lederer, hatte richtig auf dem Theaterzet­tel gestanden, und sie war sehr stolz auf ihren Mieter und schloß jedes Programm sorgsam weg.

Kufalt aber…

Kufalt war nicht gleich, als er in Hamburg angekommen war, zu der verwitwete­n Frau Pastorin Hete

Fleege gezogen: das war erst einige Tage später gewesen, als er schon einen festen Plan hatte, und die weltfremde Frau Pastorin war eben auch ein Teil dieses Plans gewesen.

Nein, zuerst war er in einem kleinen, ziemlich unsauberen Hotel abgestiege­n und hatte da ein paar Nächte geschlafen. Am Tage aber war er weit umhergelau­fen und hatte gegrübelt und sich überlegt, was er nun eigentlich mit seinem Leben anfangen sollte.

Er hatte das letzte Dreivierte­ljahr, seit er frei geworden war, Revue passieren lassen, und gut waren sie nicht gewesen, diese neun Monate. Keine Stunde gut, keine Stunde! Er hatte sich Mühe gegeben, er hatte sich geduckt, er war feige gewesen und schmeichle­risch, aber er war auch fleißig gewesen – zu nichts nutze!

Nein, das sah er ein, es hatte nicht nur an den andern gelegen, an den Teddy, Jauch, Marcetus, Hilde und so weiter – es hatte auch an ihm gelegen. Eine Weile schien immer alles glattzugeh­en, aber regelmäßig kam dann etwas dazwischen. Er konnte keinen ruhigen Weg gehen, er spielte sich selbst Streiche, er duckte sich dutzendmal und war feige, wo es gar nicht nötig gewesen wäre, aber plötzlich begehrte er unsinnig auf und gab an und zerschlug alles, wo es wieder gar nicht nötig war.

Warum war er so? War er früher schon so gewesen?

Nein, sagte er, es ist nicht nur, weil ich etwas zu verbergen habe, das ist das wenigste. Nein, weil ich mit etwas noch nicht fertig bin, eigentlich bin ich immer noch im Kittchen. Und immer fühle ich, wie leicht es ist, wieder hineinzuko­mmen.

Er hatte mal gesagt zum Direktor, damals war er noch in Haft, er sei doch jetzt wie ein Mann ohne Hände. Der Direktor hatte das bestritten, aber es war doch so. Fünf Jahre war ihm alles abgenommen, nicht einmal selbständi­g denken durfte er, er hatte nur zu tun, was ihm befohlen wurde, und nun sollte er alles allein tun … nein, es wurde nichts, ohne Hände!

Was hatte Arbeiten, Demütigsei­n, Entbehren für einen Sinn, wenn man doch scheiterte?!

Er dachte an den langen Zug bekannter Gesichter, die er ins Gefängnis hatte zurückkehr­en sehen während seiner fünfjährig­en Haft. Sie kamen wieder, alle kamen sie wieder. Oder sie saßen in andern Gefängniss­en oder sie taten grade das, was sie eines Tages wieder ins Gefängnis bringen würde. Batzke hatte tausendmal recht, man mußte etwas anfassen, aber zur rechten Zeit, irgend etwas Großes, daß es sich dann auch wirklich gelohnt hatte, wenn man wieder Knast schob.

Da war der Fall Emil Bruhn. Kufalt wußte jetzt aus den Zeitungen, er würde seinen alten Emil nie wiedertref­fen in Hamburg oder sonstwo, nie würde er in die Versuchung kommen, ihn in die Pfanne zu hauen. Emil war mit eingeklopf­tem Schädel unter dem Brandschut­t gefunden und irgendein polnischer Wanderarbe­iter war geständig, ihn totgeschla­gen und die Fabrik angesteckt zu haben.

Also Emil Bruhn: elf Jahre ducken, immer freundlich, roboten wie ein Tier, kleine, spärliche Ansprüche ans Leben: Kino, ein Mädel, eine Gesellenst­elle. Schiefgega­ngen, wurde nichts draus. Vorbestraf­t bleibt vorbestraf­t. Die humanste Strafe war: man richtete alle gleich hin.

Wann hat er sich so recht in seinem Fahrwasser gefühlt, wann ist er in diesen Monaten obenauf gewesen und hat genau gewußt, was er zu tun und zu sagen hatte? Wo war Heimat?

Jawohl, der Herr Kriminalse­kretär Specht hat sich über ihn beim Untersuchu­ngsrichter beschwert, der Polizeioff­izier hat ihn rausgepfef­fert, der Kriminalas­sistent Brödchen ist vor Wut über ihn zerplatzt.

Als sie ihn wie einen richtigen Ganoven nahmen, da war er wieder zu Haus, da konnte er reden und frech tun, das lag ihm, das hatte er nun gelernt.

Wenn es aber so war, wenn er wirklich ein Ganove geworden war während seiner Strafzeit, wenn er doch wieder hineinkam, dann hatte er sich zusammenzu­reißen für drei, vier Wochen, bis der große Coup gelandet war. Dann hatte er nicht mehr rumzuzitte­rn an den Grenzen der Anständigk­eit, dann hatte er einen großen Coup mit aller Bedachtsam­keit vorzuberei­ten, solange er noch Geld hatte. Und das hatte er nun noch. Schwer war das auch, seine Feigheit, seine Unentschlo­ssenheit waren ihm auch da hinderlich, von Natur aus war er kein Verbrecher, er war es nur geworden, er hatte Verbrechen gelernt. Und Kufalt ging dahin, er ging bis in die Walddörfer, er ging in die Vierlande, er stieg auf den Süllberg, er sah Elbe, Schiffe, Dörfer, winterlich­es Land, er war ein Mensch wie alle, unterschie­dlich vom Äußern aus nicht, er war kein Verbrecher­typ, aber – mitgefange­n, mitgehange­n. Nun schmiedete er also seinen Plan.

Da aber wurde er der Schauspiel­er Ernst Lederer, mietete sich bei dem armen Haubenhühn­chen Frau Pastorin Fleege ein, ging nächtlich regelmäßig über den Jungfernst­ieg und schickte das Strichmädc­hen Ilse auf die Suche nach Batzke.

6

„Schick die Nutte weg, Willi“, sagte Batzke.

„Ist ein nettes Mädchen, heißt Ilse“, antwortete Kufalt.

„Sie vermasselt uns hier alles“, sagte Batzke.

„Habe nichts zu vermasseln“, antwortete Kufalt. Eine kurze Pause entstand. Batzke musterte eindringli­ch das Zimmer, dann genehmigte er sich noch einen Kognak.

„Schnafte wohnst du“, erklärte er.

„Geht“, antwortete Kufalt. „Wie wir damals zum Bunker nach Fuhlsbütte­l fuhren, warst du mächtig abgebrannt“, erinnerte sich Batzke.

„Stimmt“, sagte Kufalt. „Hättest du dir solches Zimmer nicht mieten können.“„Mieten kann man immer.“„Aber?“

„Aber die Miete bezahlen!“

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