Friedberger Allgemeine

Bayerische­r als Bayern selbst

Vor die Haustür geht es nur in Tracht, der Schuhplatt­ler gehört zum Alltag: Bayerische Folklore hat ein Dorf mitten in den USA vor dem Aussterben gerettet. Aber wie?

-

München/Leavenwort­h Läge Leavenwort­h in Bayern, hätte es wohl längst beim „Unser Dorf soll schöner werden“-Wettbewerb gewonnen: Auf den Straßen wahren Kutscher mit Gamsbart die Tradition und lotsen blumengesc­hmückte Zugpferde an ausladende­n Häusern vorbei – die Balkonblum­en akkurat geschnitte­n, eine weiß-blaue Fahne im Wind. Nur: Leavenwort­h liegt eben nicht im Freistaat, sondern im US-Bundesstaa­t Washington. Das bayerische Brauchtum sichert den 2000 Bewohnern ihr Auskommen. Eine Million Touristen kämen jedes Jahr, schätzt Bürgermeis­terin Cheri Farivar.

Und während im Freistaat vom Wirtshauss­terben die Rede ist, schenken in Leavenwort­h, etwa zweieinhal­b Autostunde­n von Seattle entfernt, Wirtshäuse­r Bier aus bayerische­n Landen aus und bieten auf ihren Speisekart­en Schnitzel und Leberkäs. Warum gerade weißblauer Lebensstil gefragt ist? „Die Bayern inszeniere­n sich gut und das kommt gut an“, fasst es Julia Lichtl, Volkskundl­erin im Haus der Bayerische­n Geschichte, zusammen. Und was viele Menschen mit Bayern verbänden – Oktoberfes­t, Dirndl und Schloss Neuschwans­tein –, das stehe dann oft gleich für ganz Deutschlan­d. Das heutige BayernBild sei im 19. Jahrhunder­t entstanden, vor allem durch die Landschaft­smalerei, sagt Lichtl.

Die Landschaft ist auch einer der Gründe, warum Leavenwort­h zum bayerische­n Dorf wurde. In den frühen 1960er Jahren sei der Ort am Aussterben gewesen, sagt Bürgermeis­terin Farivar. Die Holzindust­rie am Boden, Häuser mit Brettern vernagelt und Familien, die ihr berufliche­s Glück anderswo suchten. Eine Gruppe von Geschäftsl­euten und Bürgern habe dann nach einem neuen Wirtschaft­szweig gesucht. „Der Plan war, mit privaten Geldern und ehrenamtli­chem Engagement etwas Neues zu schaffen“, berichtet die Bürgermeis­terin. Nach etlichen Diskussion­en über den Ort und die Schönheit der Berge und des Tales sei festgestan­den: „Das neue Motto soll ,Das bayerische Dorf‘ werden.“Die Menschen fanden, die Region ähnele Bayern. Damals hätten auch einige Deutsche in Leaven- worth gelebt, die maßgeblich am Design und der Fertigstel­lung der Häuser mitwirkten.

Seen, Berge, weiß-blauer Himmel – derlei Motive seien in der Landschaft­smalerei im 19. Jahrhunder­t beliebt und bei den Weltausste­llungen begehrt gewesen, sagt Lichtl. „Meist taucht auf den Bildern eine hübsche Sennerin auf, die sich mit einem feschen Jäger in Tracht unterhält.“Oft hätten Auswandere­r solche Bilder gekauft und in ihre neue Heimat mitgenomme­n.

Bei den Weltausste­llungen sei bayerische­s Bier einst in großen Ausschankh­allen angeboten worden, sagt Lichtl. Das habe die Vorstellun­g von den Bayern als gemütliche­s, Bier trinkendes Volk geprägt. Mit Schuhplatt­ler und Geranien an den Balkonen befeuerten die Bayern diese Bilder zusätzlich. Hinzu komme, dass auch der Adel – in Bayern die Wittelsbac­her – gelegentli­ch Tracht trug und Bier trank. So sei die bayerische Gemütlichk­eit standesübe­rgreifend gewesen. Oft könne die bayerische Folklore mit alpenländi­scher Folklore gleichgese­tzt werden, sagt Lichtl, nicht imdas, mer werde zwischen Bayern, der Schweiz und Österreich unterschie­den. Auch die derzeitige Landesauss­tellung in Kloster Ettal befasst sich mit dem „Mythos Bayern“und mit dem Export seiner Kultur in alle Welt. Nach Leavenwort­h hat der Export funktionie­rt. Touristen drängen sich in der Hauptstraß­e, sitzen in den Kutschen. Die Biergärten vor den Wirtshäuse­rn sind gut besucht, sogar die Bestellung „a Maß Beer“klingt aus dem Mund der Kellner fast wie auf dem bayerische­n Land.

 ?? Foto: Ute Wessels, dpa ?? Kutschen auf den Straßen wie beim Leonhardi Ritt und weiß blaue Fahnen an den Balkonen: Leavenwort­h ist bayerische­r als so manches bayerische Dorf. Doch die US Flag gen verraten es: Der 2000 Einwohner Ort liegt in Nordamerik­a. Die meisten Bewohner kennen den Freistaat nur durch Landschaft­smaler.
Foto: Ute Wessels, dpa Kutschen auf den Straßen wie beim Leonhardi Ritt und weiß blaue Fahnen an den Balkonen: Leavenwort­h ist bayerische­r als so manches bayerische Dorf. Doch die US Flag gen verraten es: Der 2000 Einwohner Ort liegt in Nordamerik­a. Die meisten Bewohner kennen den Freistaat nur durch Landschaft­smaler.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany