Rücksichtnahme? Fehlanzeige
Der Verkehrsclub ACE hat an Augsburger Kreuzungen gezählt, wie häufig sich Autofahrer und Radler das Leben gegenseitig schwer machen. Mitunter hält sich nur eine Minderheit an die Regeln
Königsplatz, Mittwochmittag: Gerade eben hätte es beinahe gekracht an der Kaiserhofkreuzung. Ein Autofahrer hat beim Rechtsabbiegen von der Halder- in die Hermanstraße einen von hinten kommenden Radler übersehen. Der Radler kann noch bremsen, ruft dem Autofahrer etwas Unfreundliches ins offene Seitenfenster, beide fahren weiter.
Kein Einzelfall: In Augsburg hat es in den vergangenen Jahren häufiger gekracht. Die Polizei hat 2017 gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme um 4,24 Prozent bei den Radunfällen verzeichnet. Häufig, so Hauptkommissar Gerhard Stern vom Polizeipräsidium, habe es beim Abbiegen gekracht.
Das ist auch kein Wunder: Der Verkehrsclub ACE legte am Mittwoch die Ergebnisse einer stichprobenartigen Zählaktion an zwei Augsburger Kreuzungen vor. Demnach war dort nur die Minderheit der Autofahrer ohne Fehler (z. B. mit Schulterblick und Blinker) beim Abbiegen unterwegs. An der Einmündung Landsberger-/Inninger Straße, wo vor drei Jahren eine Radlerin von einem abbiegenden Kipper überrollt und getötet wurde, ließen 42 von 116 abbiegenden Autofahrern den Blick über die Schulter weg, an der Kreuzung Schaezler-/ Prinzregentenstraße waren es sogar 192 von 265 Autofahrern. Hinzu kamen weitere Fehler wie fehlendes Blinken. Allerdings kommen nach den ACE-Zahlen auch die Radler nicht allzu gut weg. An der Innenstadtkreuzung waren von 125 gezählten Radlern nur 52 fehlerfrei unterwegs, in Haunstetten waren es immerhin 112 von 161. Hauptfehler: kein Handzeichen beim Abbiegen und die Nutzung von Ampelübergängen, die nur für Fußgänger gedacht sind. „Letzteres ist ein Problem für Fußgänger, aber auch für Autofahrer, die an dieser Stelle keine Radler mit hoher Geschwindigkeit erwarten“, sagt Harald Güller, SPD-Landtagsabgeordneter und Schirmherr der ACE-Aktion.
Der Verkehrsclub plädiert für mehr Rücksichtnahme im Straßen- verkehr. Schließlich sei kaum ein Verkehrsteilnehmer ausschließlich mit einem Verkehrsmittel unterwegs. „Als Autofahrer erwische ich mich ja auch dabei, dass ich mich über manche Radler aufrege, und als Radfahrer geht es mir mit manchen Autofahrern so“, sagt Güller. Rücksichtnahme beginne schon mit der konsequenten Einhaltung der Verkehrsregeln. Angesichts der steigenden Zahl an Elektro-Fahrrädern und der höheren Geschwindigkeiten seien alle Verkehrsteilnehmer gefordert.
Die Polizei weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass etwa 65 Prozent der Fahrradunfälle von den Fahrradfahrern selbst oder zumindest teilweise selbst verschuldet sind. Allerdings, so eine Kritik des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs, müsse man auch sehen, dass manche Verkehrsführungen (auch unbewusste) Regelverstöße provozierten. Bei der Stadt Augsburg gibt es Planungen, eine Kampagne für mehr Miteinander im Straßenverkehr zu entwickeln. Auch andere Maßnahmen, etwa vorgezogene Haltelinien für Radler an roten Ampeln, um sie ins Sichtfeld von abbiegenden Autos zu rücken, sind in der Überlegung.
Den Grünen geht das, was im Rahmen der Fahrradstadt 2020 bisher umgesetzt wurde, nicht weit genug. Sicherheit müsse bei der Verkehrsplanung künftig eine deutlich größere Rolle spielen. Die Stadt müsse sich einer sogenannten „Vision Zero“verpflichten, also dem erklärten Ziel, dass es keine Toten und Schwerverletzten mehr im Verkehr gibt. „Basis der Vision Zero ist es, sich einzugestehen, dass Menschen Fehler machen im Straßenverkehr und dass deshalb die Infrastruktur so gestaltet werden muss, dass diese Fehler keine oder zumindest nur geringe Folgen haben“, so GrünenStadtrat Cemal Bozoglu. Dass der Radweg in der Karlstraße vor den früheren Ludwig-Passagen im Kreuzungsbereich auf Gehwegniveau liegt, provoziere es, dass Fußgänger sich auf den Radweg stellen und es so zu gefährlichen Situationen kommt. » Kommentar