Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (131)
Der Jungfernstieg hatte sich belebt. Aus den Kinos, aus den Theatern kamen die Gäste in Abendmänteln, eilig oder langsam, bummelten noch ein paar Schritte, sahen auch in die Läden und verschwanden rasch im Alsterpavillon oder in der Richtung auf Hotel Esplanade oder die Vier Jahreszeiten.
Das Wetter war eben schlecht. Alles verlief sich rasch, wie gestern, und nach zehn Minuten lag der Jungfernstieg kaum belebt da.
„Nun wirst du sehen“, sagte Kufalt.
Er hatte die Uhr gezogen, sagte: „Elf Uhr zweiundvierzig. Da kommt er!“
Aus den Arkaden kam der dicke Wächter, sah die Straße auf und ab, holte langsam aus der Tasche ein Schlüsselbund, schloß die Ladentür auf und verschwand im Laden. Er schloß die Ladentür von innen ab.
Kufalt stand noch immer mit der Uhr in der Hand im fast Dunklen.
„Jetzt ist er im Laden“, sagte er. „elf Uhr vierundvierzig – elf Uhr
fünfundvierzig – warte, wir haben noch Zeit, elf Uhr sechsundvierzig – zehn Sekunden, zwanzig Sekunden, dreißig Sekunden – jetzt gleich – vierzig Sekunden – zum Donnerwetter – fünfzig Sekunden – da! Jetzt gehen die Gitter runter. Komm, Batzke!“
Er nahm Batzke unter den Arm und ging mit ihm rasch in der Richtung auf seine Wohnung zu.
„Hast du kapiert“, sagte er eifrig. „Die lassen das Geschäft mit so ’ner Bombenauslage natürlich Tag und Nacht bewachen. Aber an eins haben sie nicht gedacht. An die zweieinhalb Minuten, die der Wächter im Laden ist, um die Gitter herunterzulassen. Die Zeit kann er nicht auf die Auslage aufpassen. In zweieinhalb Minuten kann man schon eine Scheibe einschlagen, das Tablett nehmen und abhauen. Stimmt es nicht, ist das nicht eine glänzende Annonce?“
„Na ja“, sagte Batzke nachdenklich. „Und wo stehen die nächsten Schupos?“
„Weiß ich alles“, prahlte Kufalt. „Einer am Alsterpavillon und einer am Eingang zur Bergstraße. Das ist aber ein Verkehrspolizist.“
„Na schön“; sagte Batzke. „Man kann ja mal über die Sache reden.“
„Wieso reden“, empörte sich Kufalt. „Was ist da noch zu reden? Es sind mindestens für hundertzwanzigtausend Mark Ringe auf dem Tablett.“
„Da denk man vorläufig lieber nich dran“, sagte Batzke. „Vorläufig liegen sie noch im Schaufenster. Und es wird eine Masse Arbeit kosten, eh’ wir sie da raus haben.“
8
Batzke und Kufalt saßen diese Nacht lange in der Fuhlentwiete beisammen. Wieder war Batzke der große Mann, und Kufalt mußte einsehen, daß er nichts verstand. Er hatte sich eingebildet, er hätte eine ganz große Entdeckung gemacht. Diese zweieinhalb Minuten schienen ihm ein glänzender Tip zu sein. Nun saß Batzke da und lachte ihn einfach aus.
„Ja, du denkst dir das so. Einfach loslaufen, mit einem Backstein die Scheibe einschlagen, das Tablett nehmen, rum um die Ecke und weg! Als wenn das alles so einfach wäre.“
„Was ist denn daran noch schwierig?“fragte Kufalt ärgerlich. „Natürlich müssen wir ordentlich laufen, aber für hundertzwanzigtausend Mark kann man das auch.“
„Sag’ mal, Kufalt“, meinte Batzke gedankenvoll, „du sitzt ja hier so im Fett, das kommt wohl von einer eingeschlagenen Schaufensterscheibe?“
„Nee, das nun grade nich“, wehrte Kufalt ab.
„So. Es müßte ein ziemlich großes Loch werden“, sagte Batzke gedankenvoll, „damit man das Tablett glatt und schnell durchkriegt. Und diese ollen Scheiben – ich weiß nicht, vielleicht kriegt man nur ein kleines Loch mit einem Backstein rein – nur so groß wie der Backstein – und man müßte mit der Hand durchlangen und kriegte höchstens zwanzig, dreißig Ringe zu fassen, nee, das müßte zuerst einmal ausprobiert werden.“
„Wieso ausprobieren“, fragte Kufalt, „willst du erst probeweise die Fensterscheibe einbauen?“
„Dussel“, sagte Batzke. „Es gibt doch genug Neubauten in den Vororten, wo die Läden noch leerstehen. Zwei, drei Nächte losgehen und sich mal ’n bißchen üben, daß der Kram auch klappt.“
„Na, weißt du“, sagte Kufalt, „da ist doch ein ziemliches Risiko bei. Ich möchte nicht wegen ’ner Scheibe von einem leeren Laden gekitscht werden.“
„Ohne Risiko hundertzwanzigtausend Mark gibt es nicht“, sagte Batzke. „Aber nun mal weiter. Woher weißt du denn eigentlich, daß man das Tablett so einfach rausnehmen kann? Vielleicht ist das von unten angeschlossen?“Kufalt schwieg unzufrieden. Er hatte gedacht, morgen ginge es los. Und nun erfand Batzke Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. „Und dann weiter“, sagte Batzke. „Ohne Auto ist das nicht zu machen. Wie stellst du dir das überhaupt vor, mit einem Tablett, das gut einen halben Quadratmeter groß ist, durch die Straßen zu laufen, nachts um halb zwölf, wo doch noch Menschen genug unterwegs sind? Wenn die Bullen hinter dir her sind und knallen, dann pflückst du womöglich in aller Seelenruhe im Laufen die Brillantringe vom Tablett und steckst sie in die Tasche? So ungefähr hattest du dir das vorgestellt, nicht wahr?“
„Ach, wenn du nur Schwierigkeiten siehst“, sagte Kufalt immer unzufriedener.
„Na, Mensch“, sagte Batzke, „willst du die Ringe haben oder willst du sie nicht haben? Wie du dir das denkst, so macht es ein Amateur, aber kein alter Ganove. Es kann ja auch mal bei Amateuren klappen, aber wahrscheinlich ist es nicht. Nein, ein Auto müssen wir haben, und das muß denselben Nachmittag erst geklaut werden, damit die auf der Polizei noch nicht die Nummer kennen. Kannst du wenigstens Auto fahren?“
„Nein“, sagte Kufalt und kam sich immer kleiner vor mit seiner schönen Annonce. „Und dann kommt das Schwierigste“, sagte Batzke. „Wie denkst du dir den Verkauf von der Sore?“
„Na, ich denke“, sagte Kufalt ärgerlich, „es gibt Schwärzer für so was.“„Gibt es“, bestätigte Batzke. „Aber wenn du dich darum erst kümmern willst, wenn du die Ringe hast, dann gibt er dir höchstens tausend Mark für den ganzen Kitsch, weil er dich in der Hand hat. Und außerdem gibt er dir gar nichts, weil mindestens zehntausend Mark Belohnung ausgesetzt werden, und er nicht so leicht wieder solche Chance hat, sich der Polizei beliebt zu machen.“
„Also lassen wir die Sache“, sagte Kufalt wütend. „Ich sehe schon, du willst nicht.“
„Wieso will ich nicht?“protestierte Batzke erstaunt. „Die zweieinhalb Minuten sind eine feine Sache, die kann man nicht so laufenlassen. So eine Annonce kriegt man nicht alle Jahre. Nein, keinen Kognak mehr. Ich gehe jetzt ein bißchen spazieren und überlege mir die Sache. Morgen früh um zehn bin ich wieder bei dir.“