Friedberger Allgemeine

Warum Jugendlich­e lieber ins Büro wollen als auf die Baustelle

Viele Schulabgän­ger sind überqualif­iziert. Traditione­lle Berufe halten sie deshalb für nicht interessan­t genug. Doch das muss nicht so bleiben

- VON CHRISTINA HELLER hhc@augsburger allgemeine.de

Die deutsche Wirtschaft hat ein Bildungspr­oblem. Denn betrachtet man die Gesamtzahl der Schüler, liegt das Bildungsni­veau heute viel höher als vor 40 Jahren. So sinkt die Zahl der Hauptschül­er seit Jahren. Die Zahl der Gymnasiast­en steigt dagegen. Dieses Phänomen stellt Betriebe vor ein Problem: Sie finden kaum Lehrlinge.

Nun ist es nicht so, dass Abiturient­en oder Schüler mit Fachhochsc­hulreife sich dagegen sperren, eine Ausbildung zu beginnen. Im Gegenteil. Die Zahl der Lehrlinge, die eine Hochschulr­eife besitzen, steigt. Aber: Wer Abi hat, will meist nicht Koch, Verkäufer oder Bäcker werden. Diese Berufe sind für Hauptschül­er ausgelegt und davon gibt es nur noch wenige. Viele Abiturient­en interessie­ren sich eher für IT-Berufe oder streben eine kaufmännis­che Ausbildung an.

Und so geht auch die Schere auf dem Ausbildung­smarkt auseinande­r. Auf der einen Seite – bei den Bürojobs – finden Bewerber keinen Ausbildung­splatz, weil die Nachfrage zu hoch ist. Auf der anderen Seite finden Betriebe keinen Bewerber, weil es kaum Nachfrage nach ihren Berufen gibt.

Das Szenario wird durch den demografis­chen Wandel und die gute konjunktur­elle Lage noch verschärft: Denn zum einen sinkt die Zahl der jungen Menschen in Deutschlan­d – und damit die Anzahl derer, die überhaupt eine Ausbildung machen können. Zum anderen entscheide­n sich immer mehr Betriebe, selbst auszubilde­n, um ihren Fachkräfte­bedarf zu sichern. An sich eine begrüßensw­erte Entwicklun­g. Nur das Grundprobl­em, nämlich, dass viele Ausbildung­sstellen bei Betrieben unbesetzt sind, bleibt bestehen – und damit die Frage: Wie lässt sich das ändern? Einfach ist das nicht, weil an mehreren Schrauben gedreht werden muss. Aber unlösbar ist die Aufgabe ebenfalls nicht.

Das Deutsche Handwerk hat zum Beispiel vor Jahren angefangen, mit einer Imagekampa­gne und durch verstärkte Berufsorie­ntierungsm­aßnahmen an Schulen für sich zu werben. Ein Schritt in die richtige Richtung. Denn Studien zeigen: Jugendlich­e bewerten einen Beruf dann als attraktiv, wenn sie viel über ihn wissen. Was viele aber unterschät­zen: Auch vermeintli­ch traditione­lle Berufe wie Sanitär-, Heizungs- und Klimatechn­iker haben sich durch den technische­n Fortschrit­t und die Digitalisi­erung gewandelt. Aber das muss den Jugendlich­en jemand erklären.

Zwar haben diese Werbeoffen­siven das Problem der Handwerksb­etriebe nicht gelöst: Deutschlan­dweit ist immer noch jede dritte Ausbildung­sstelle unbesetzt. Aber, hätte es den Feldzug nicht gegeben, stünde das Handwerk noch schlechter da.

Alleine die Jugendlich­en zu informiere­n, reicht nicht. Auch die Eltern spielen eine wichtige Rolle bei der Berufswahl. Noch immer ist es so, dass jemand mit Doktortite­l höher angesehen ist als jemand mit Meisterbri­ef. Geistige Bildung gilt in der Gesellscha­ft sehr viel, handwerkli­ches Geschick höchstens als praktisch. Wer also möchte, dass Ausbildung­sberufe attraktive­r werden, muss auch diese Sichtweise verändern. Und einige Branchen müssen bei sich selbst anfangen. Denn viele der Berufe, die keiner mehr ergreifen will, haben sich das selbst zuzuschrei­ben. Weil die Arbeitsbed­ingungen unattrakti­v sind und das Gehalt miserabel.

Während die Wirtschaft sich also überlegen muss, wie sie ihr Nachwuchsp­roblem löst, kann sich der Nachwuchs freuen. Denn für junge Menschen ist die Ausgangsla­ge bei der Berufswahl hervorrage­nd. Sie können ihre Talente frei entfalten, sich den Beruf herauspick­en, der ihnen am meisten liegt. Sich nach einer Lehre immer noch zum Studieren entschließ­en. Sie müssen all diese Chancen nur noch nutzen.

Für Auszubilde­nde ist die Lage gerade hervorrage­nd

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