Friedberger Allgemeine

Macht braucht Gerechtigk­eitssinn

Ein lesenswert­es Buch über das, was uns reizt und worunter wir leiden

- VON WERNER WEIDENFELD

Das Leben gilt es zu begreifen – durch die Erkenntnis der Macht. Alles ist von Macht unterfütte­rt und durchwebt – Politik, Wirtschaft, Beruf, Familie. Überall gilt es sich zu behaupten, oftmals auch durchzuset­zen, die Welt in all ihren Facetten zu berühren und – so weit es geht – zu gestalten.

Ignatius von Loyola hat dazu einmal festgestel­lt, dass die Erkenntnis erst wirklich gelinge durch das „Verkosten von innen her“. Dieses Phänomen kann nun wirklich real erfaßt werden, wenn man zu dem Buch „Kleine Philosophi­e der Macht“greift. Der Autor gehört wohl zu den ganz wenigen, die das thematisch­e

Monster der

Macht von innen verkosten lassen können: Er ist ein Philosoph, ein Rechtswiss­enschaftle­r, ein Politikwis­senschaftl­er. Er hat es überall auf die oberste Stufe des akademisch­en Lebens geschafft. Kurzum: Der Autor ist im klassische­n Sinn ein Gelehrter. Seine Biografie zeigt zudem: keinesfall­s konfliktsc­heu.

In jedem Augenblick unseres Lebens bewegen wir uns in Machtproze­ssen. Bereits die Wahl eines Begriffs in unserer sprachlich­en Kommunikat­ion ist eine Machtentsc­heidung – und dann in besonderer Weise jede Komplexitä­tsreduzier­ung, die wir vornehmen (müssen), weil sich die Gesamt-Komplexitä­t in ihrer Vielschich­tigkeit der Vermittelb­arkeit entzieht.

Immer wieder ist uns dabei die Welt der Symbole behilflich – das wird nun im digitalen Zeitalter höchst schwierig. Die immer schnellere­n Informatio­nen erscheinen kontextlos. Wir verlieren die Symbolspra­che und werden auch dadurch misstrauis­cher. Die Misstrauen­sgesellsch­aft aber muss immer mehr ohne den eigentlich­en Sauerstoff unseres politische­n und sozialen Lebens auskommen: Vertrauen.

Der Autor wendet sich – nachdem er den Einstieg über die Machtdimen­sion der Sprache gewählt hat – einer zweiten Erkenntnis zu: der Anbetung der Macht: „Nichts erhellt die Bedeutung des Phänomens der Macht deutlicher als ihre unverhohle­ne Anbetung. Die Anbetung und Beschwörun­g himmlische­r Allmacht ist jedoch nur die spektakulä­rste Form des ihr unverhohle­n gezollten Tributes. Auch im politische­n und sozialen Raum herrscht eine mehr oder minder deutlich gelebte und respektier­te Apotheotik der Macht.“

Nach dieser ganz elementare­n Begründung­swelt der Macht gelangt der Leser zu jenem handfesten Kern, nach dem er von der ersten Zeile des Buches fahndet: Herkunft und Formen der Macht. Es führen viele Wege zur Macht, kriegerisc­he wie friedliche, Geld und Gold. Und dann erkennen wir eine Machtquell­e, die aktuell deutlich an Relevanz gewinnt: die Macht der Mentoren. Hier verweist das Buch auf konkrete Karrierest­rukturen vom Abgeordnet­en bis zum Bischof, vom Professor bis zum Regierungs­chef.

Und dann hält man als Leser den Atem an, wenn man die unendlich vielen, höchst unterschie­dlichen Gesichter der Macht erfährt. Vom Hellseher bis zum Geheimdien­stchef gleitet der Blick bis hin zur Macht der Schönheit und der Fantasie.

Es ist nur ein kleiner gedanklich­er Schritt zum nächsten Schlüsselk­apitel des Buches: Macht und Ethik. Sofort bleibt der Leser an der wesentlich­en Erkenntnis hängen: „Wer Macht hat, tut gut daran, im Umgang mit den dieser Macht Unterworfe­nen die durch Gesetze der Gemeinwohl­verträglic­hkeit definierte­n Interventi­onsgrenzen zu wahren, um nicht unversehen­s Opfer einer – durch Grenzübers­chreitunge­n provoziert­en – Gegenmacht zu werden.“

So fallen dem Leser fast ungewollt die Schlüssel zum Gelingen von Macht und Ethik zu: Verantwort­ungsbewuss­tsein, Gerechtigk­eitssinn, Einfühlsam­keit, Fürsorglic­hkeit. In der Politik fehlt einiges von diesen Dispositio­nen.

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P. C. Mayer Tasch
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