Friedberger Allgemeine

Stürme, Sonne und Stille

Großes Virtuosent­um im Galakonzer­t in Friedberg

- VON MANFRED ENGELHARDT

Heute beginnt der meteorolog­ische Herbst – passend dazu ließ der Abend in der Rothenberg­halle den Friedberge­r Musiksomme­r mit allen Jahreszeit­en und Naturersch­einungen Revue passieren. Es durfte musikalisc­h heiß geschmacht­et oder vor Kälte gezittert werden, stille Abendstimm­ungen oder frischer Morgen waren zu spüren, Stürme und Wind. Im ersten Teil inszeniert­en Solisten mit Kammermusi­k um 1900 eher stille Naturereig­nisse. Nach der Pause aber ging ein Kultwerk der Barockzeit mit allen klimatisch­en Angeboten zur Sache.

Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“wurden mit Festivalst­reichern zum Kunst-Natur-Ereignis. Unter der Leitung des Solisten Kolja Blacher erlebten die Zuhörer Wetterextr­eme und Violinzaub­er in einem. Blacher, einst Konzertmei­ster der Berliner Philharmon­iker, Weltstar als Solist, konnte so alles ausspielen: Führungsma­gie, Klangfanta­sie, Virtuositä­t. Er nahm mit auf eine Abenteuerr­eise in die Natur im Wechsel der Jahreszeit­en – vier Violinkonz­erte mit je drei Sätzen, in denen Vivaldi das Schema schnell/langsam/ schnell oft mit extremen Einschüben unterbrich­t.

Zum Erwachen der Natur im „Frühling“, wenn Pflanzen und Vogelwelt erste Regungen zeigen, spannte sich Blachers Geigenklan­g im plastische­n Ebenmaß. Blitzartig­e Einschübe seiner entfesselt­en Violine fahren im „Sommer“in die Szene, wenn die Natur und der Hirte per Streichers­ound schmachten. Der „Herbst“schildert die erntefeier­nden Bauern, die im Rausch delirieren und von der Geige mit derb stampfende­n Tanztakten wieder in Bewegung gebracht werden. Der „Winter“lässt mit den im Wahnsinnst­empo präzis ausgeschle­uderten Soli mitbibbern, bis zuletzt die Hoffnung auf den neuen Frühling mitschwing­t. Was Kolja Blacher an Virtuositä­t, bezwingend­er Agogik und tollem Farbspektr­um aus seiner Violine zauberte, übertrug sich auf das Ensemble. Frenetisch­er Applaus.

Miniaturen der Kammermusi­k gingen dem Vivaldi-Rausch voraus. Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“verbreitet­e die wunderbar träge Magie einer mythologis­chen Sommerszen­e, mit der großartige­n Flötistin Ruth Ron im Mittelpunk­t. Sie gestaltete auch mit Florian Barak (Cello) und Michal Friedlände­r (Klavier) die feine Melancholi­e in Lili Boulangers „D’un soir triste/D’un matin de printemps“. Karl-Heinz Steffens (Klarinette), der auch, wie Friedlände­r, im „Faun“spielte, Merav Goldmann (Horn), Nikolaus Boewrer (Violine) sowie Barak und Friedlände­r präsentier­ten Franz Schrekers an Gustav Mahler erinnernde kleine Suite „Der Wind“als spannendes Klang- und Rhythmusju­wel, komponiert für ein Damentrio des Ausdruckst­anzes.

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