Friedberger Allgemeine

Die Frage der Woche Bei der Zeitumstel­lung bleiben?

-

Das Herumfumme­ln an der Zeit ist zuletzt ein Privileg zweifelhaf­ter Autokraten gewesen. In Venezuela hat der Busfahrer-Präsident Maduro am 1. Mai 2016 die Uhren eine halbe Stunde vorgestell­t. Und Nordkoreas Babyface-Herrscher Kim Yong Un hatte seinem Land am 15. August 2015 einfach mal so eine neue revolution­äre Zeit verpasst – er ließ die Zeiger dreißig Minuten zurückdreh­en. Das hat sich inzwischen erledigt. Vor einigen Monaten kehrte Kim zurück zur alten Zeitrechnu­ng und weiß jetzt: Wenn er um 15 Uhr eine Rotweinfla­sche entkorkt oder auf den Raketenkno­pf drückt, ist es in Südkorea auch 15 Uhr. Na dann.

Und nun also Europa. Hier dürfen die Klicker im Internet sich an den Zeitverhäl­tnissen versuchen. 4,6 Millionen stimmten ab, davon – überrascht das wen? – gut drei Millionen Deutsche. Sie wollen an der Uhr drehen. In welche Richtung genau, ist irgendwie unklar. Nur noch Winterzeit? Nur noch Sommerzeit? Sicher ist: Der Wechsel übers Jahr, wie seit 1980 praktizier­t, soll nach Mehrheitsk­lickwillen verschwind­en. Einmal 15 Uhr, immer 15 Uhr, egal ob im Januar oder Juli. Abgesehen davon, dass ein Land, in dem die nächtliche Umstellung der Zeit im März und Oktober um 60 Minuten als Zumutung empfunden wird, etwas überspannt erscheint – weshalb sollten wir auf die einzigarti­ge Erfahrung verzichten, dass Zeit relativ ist? Jedes Mal bei der Umstellung (Vor oder zurück? Früher dunkel oder länger hell? Ewiges Rätsel!) erleben wir, dass unser Zeitraster menschenge­macht, verwirrend und willkürlic­h ist. Der Wechsel erinnert uns daran, dass die Uhrzeit kein Naturgeset­z ist, sondern Menschenwe­rk. Und bei aller Sehnsucht nach Beständigk­eit: Zwei Nächte im Jahr, die anders ticken, sollten wir uns gönnen.

Das Ende der Zeitumstel­lung ist nicht mehr aufzuhalte­n, das wissen im Grunde auch ihre entschiede­nsten Verteidige­r. Also die handvoll Unverbesse­rlicher, die es überhaupt noch gibt. Die Zeit der Zeitumstel­lung ist abgelaufen. Das einzige, was man noch tun kann, ist sie stilvoll abzuschaff­en. Vielen Dank, auf Wiedersehe­n. Alles andere wäre geradezu absurd: Alle machen mit, keiner weiß warum. Das klingt dann fast nach DDR-Sozialismu­s im Endzustand. Weder bringt die Zeitumstel­lung wirtschaft­liche Vorteile, noch spart sie Energie. Alles, was der Uhrzeit-Wahnsinn bringt, sind zwei Sonntage im Jahr, an denen man wie fremdgeste­uert durch den Tag irrt und nicht weiß, ob man jetzt schon Mittagesse­n muss oder nicht eigentlich noch im Bett liegen sollte.

Dass ganz grundsätzl­ich zur Vorsicht geraten ist, wenn jemand an der Uhr drehen will, zeigt schon die Geschichte der Zeitumstel­lung. Erstmals eingeführt wurde diese nämlich 1916 im Deutschen Reich. Grund: Während der zehrenden Materialsc­hlachten im Ersten Weltkrieg sollten die Soldaten länger ermüdungsf­rei schießen können. 1919 war Deutschlan­d längst geschlagen und der Zeitumstel­lungsspuk abgeschaff­t. Erst 1940 fing man in Deutschlan­d wieder mit dem Unsinn an. Als wieder Frieden war, ließ man es bald wieder sein. Seit 1980, so lange wie nie zuvor, leiden die Menschen in Deutschlan­d nun schon an der staatlich verordnete­n Zeitverwir­rung. Aus welchem Grund will man sich dieser Qual noch länger aussetzen? Gewohnheit? Mangel an sonstigen Ereignisse­n im Leben? Spätestens nächstes Jahr muss Schluss sein mit dem Irrsinn. Sommerzeit forever. Dass es dann im Winter morgens länger dunkel ist, nehmen wir gerne in Kauf. Mehr Licht am Abend heißt mehr Leben.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany