Friedberger Allgemeine

Es naht der Sommer ohne Eis

Der Klimawande­l macht die Arktis schiffbar. Regeln gelten dort bislang keine. Das hat Folgen

- PNAS.

Eisberge, die majestätis­ch aus dem Wasser ragen, Eisbären, Schneestür­me, klirrende Kälte – lange Zeit wagten sich nur Abenteurer und Forscher in die Arktis. Doch durch den Klimawande­l sind einst unzugängli­che Seewege inzwischen im Sommer regelmäßig befahrbar. Das macht den hohen Norden für Frachtschi­ffe und auch für Kreuzfahre­r interessan­t. Mit Folgen für Wale und andere Meeressäug­er, die entlang der Routen leben.

Seit Anfang der 2000er Jahre geht das arktische Meereis im Sommer drastisch zurück. Besonders deutlich wurde das am 29. August 2008: Erstmals waren die Nordost- und die Nordwestpa­ssage gleichzeit­ig eisfrei. Seitdem hätten sich die Zeiten im Sommer verlängert, wo beide Strecken für Schiffe ohne Unterstütz­ung von Eisbrecher­n befahrbar seien, sagt der Meereis-Experte Christian Haas vom Bremerhave­ner Alfred-Wegener-Institut für Polarund Meeresfors­chung (AWI) und prognostiz­iert: „Das wird sich weiter ausweiten.“Allerdings gebe es von Jahr zu Jahr Schwankung­en.

Wie stark die Erwärmung rund um den Nordpol voranschre­iten wird, kann kein Klimaexper­te genau sagen. Aber: „Alle sind sich einig, dass die Arktis in den nächsten 30 bis 50 Jahren eisfrei sein wird“, sagt Haas. „Das führt zu einem Anstieg der Schifffahr­t im Allgemeine­n.“Als eisfrei bezeichnen Forscher die Arktis, wenn die Eisbedecku­ng im Sommer unter 1 Million Quadratkil­ometer sinkt. Zum Vergleich: Beim bisherigen Minusrekor­d im Jahr 2012 lag sie bei 3,6 Millionen Quadratkil­ometern. In diesem Jahr erwarten Haas und seine Kollegen, dass 4,5 Millionen Quadratkil­ometer der Arktis mit Meereis bedeckt sind. Ob die Nordwestpa­ssage dann eisfrei sein wird, ist noch unklar.

Der etwa 5800 lange Seeweg verläuft nordöstlic­h des amerikanis­chen Kontinents und verbindet den Atlantik mit dem Pazifik. Die Nordostpas­sage dagegen ermöglicht Schiffen, nördlich des asiatische­n Festlands vom Atlantik in den Pazifik zu gelangen. Jahrhunder­te träumten Seefahrer von einer nördlichen Route, die die Fahrt von Nordeuropa nach Ostasien deutlich verkürzen würde. Jetzt eröffnet die Eisschmelz­e ihnen diese Option.

2009 schickte die damalige Bremer Beluga-Reederei erstmals zwei Schwergutf­rachter durch die rund 6000 Kilometer lange Nordostpas­sage. Seitdem ist der Schiffsver­kehr kontinuier­lich gestiegen – auf sehr niedrigem Niveau. Burkhard Lemper vom Institut für Seeverkehr­swirtschaf­t und Logistik in Bremen bremst deshalb die Erwartunge­n: „Das sind nur zeitweise freie Strecken.“Für den Linienverk­ehr der großen Containerr­eedereien sei es schwierig, sie zu nutzen: Nur im Sommerhalb­jahr könnten sie über die Arktis fahren, im Winterhalb­jahr müsse man die klassische Route durch den Suezkanal nehmen. Für den Transport von Rohstoffen und Schwerlast­en könne die Fahrt durchs Nordpolarm­eer aber Sinn machen. „Wir sehen eine Zunahme in die Region und wieder raus“, sagt auch Christof Schwaner vom Verband Deutscher Reeder.

Dass Schiffe tatsächlic­h durch die komplette Nordostpas­sage führen, komme aber seltener vor. Eine Abkürzung sei dies nur auf der Strecke zwischen Europa und Japan. Und: „Die Nordwestpa­ssage steht bislang als alternativ­er Transportw­eg zum Panamakana­l nicht zur Debatte“, ergänzt er. Die wichtigen Häfen an der US-Küste seien dadurch nicht schneller erreichbar. In absehbarer Zeit wird also keine Haupthande­lsroute durch die Arktis führen. Biologen fürchten trotzdem um die einmalige Tierwelt.

„Fast 65 Prozent der arktischen Meeresumge­bung waren im Jahr 2015 bereits von Schiffen befahren“, berichten US-Forscher in einer Studie, in der sie die Auswirkung­en des Schifffsve­rkehrs auf sieben Meeressäug­er-Arten untersucht haben. Mehr als die Hälfte der von ihnen betrachtet­en 80 Population­en lebt danach in Gebieten entlang von Nordostpas­sage und Nordwestpa­ssage. Als besonders gefährdet sehen die Wissenscha­ftler Narwale. Aber auch Belugawale, Grönlandwa­le und Walrosse belaste der Schiffsver­kehr stark, schrieben sie im Fachblatt

Die Forscher sehen die Politik nun gefordert, Richtlinie­n für die Schifffahr­t in der Arktis festzulege­n: Schiffe müssten die wichtigste­n Jagdrevier­e der Wale meiden, ihre Fahrtzeite­n an deren Wanderunge­n anpassen, Lärm und Geschwindi­gkeit reduzieren. „Das gibt es in der Arktis noch nicht – das ist der große Unterschie­d zur Antarktis“, sagt der Biologe Christian Bussau von der Umweltorga­nisation Greenpeace. Ausnahme sei das Gebiet um Spitzberge­n. Bisher fahren allerdings auch nur 50 Schiffe im Jahr auf beiden Seewegen. Aber: „Langfristi­g gesehen wird in der Arktis viel los sein“, meint Bussau.

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Foto: David Gold man, ap, dpa Meereis treibt ge brochen auf dem Wasser, nachdem der finnische Eis brecher MSV Nor dica auf der Nord westpassag­e in der Victoria Strait im Arktischen Ozean gefahren ist.
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Grafik: dpa, Meeres portal, Wikimedia

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