Friedberger Allgemeine

Eine Trauerfeie­r wird zum Tribunal

Der Abschied von John McCain gerät zu einer überpartei­lichen Abrechnung mit Donald Trump

- VON KARL DOEMENS Fox Times, New Yorker

Washington Nach einer halben Stunde hielt es Donald Trump vor dem Fernsehen im Weißen Haus nicht mehr aus. Meghan McCain hatte bei der Trauerfeie­r für ihren Vater in der nur fünf Kilometer entfernten Nationalen Kathedrale unter spontanem Beifall der mehr als 3000 geladenen Gäste gerade ausgerufen: „Das Amerika John McCains hat es nicht nötig, wieder groß gemacht zu werden, weil Amerika immer groß war.“Da setzte der amtierende USPräsiden­t seine weiße „Make-America-Great-Again“-Kappe auf und ließ die Fahrzeugko­lonne rufen.

Den ganzen Samstagvor­mittag schon hatte Trump versucht, von dem Ereignis des Tages abzulenken, bei dem seine Anwesenhei­t nicht erwünscht war. Wild wetterte er bei Twitter gegen seine politische­n Gegner, die Medien, die RusslandUn­tersuchung und Kanada, das sich von ihm bei den Freihandel­s-Gesprächen nicht erpressen ließ. Doch es half nichts: Seit zehn Uhr morgens gab es auf allen maßgeblich­en Fernsehkan­älen der USA nur ein Thema: den Abschied des hoch angesehene­n Senators und Kriegsheld­en John McCain. Selbst Trumps Haussender übertrug die zweieinhal­bstündige Zeremonie in voller Länge. Das war offensicht­lich zu viel für den Präsidente­n: Er stieg in die Limousine und fuhr zu seinem Golfplatz in Virginia. Während die amerikanis­che Nation kollektiv um ihren letzten großen Helden trauerte, schlug ihr oberster Repräsenta­nt kleine Bälle über den Rasen.

Der Kontrast hätte schärfer nicht sein können: In der Kathedrale waren drei ehemalige Präsidente­n und die gesamte Spitze der etablierte­n amerikanis­chen Politik, des Militärs und der Gesellscha­ft versammelt. Während Trump auf Twitter polterte, wurde dort parteiüber­greifend für Anstand und Kompromiss geworben. „Es war wie ein Treffen des Washington­er politische­n Untergrund­s“, urteilte die New York

und die Washington Post sprach in ihrer Titelzeile treffend von einem melancholi­schen „Abgesang auf alles, was verloren ist“.

Obwohl Trumps Name kein einziges Mal erwähnt wurde, schwang er in allen Nachrufen mit. Jeder Redner distanzier­te sich mit kaum versteckte­n Botschafte­n vom amtierende­n Präsidente­n. McCains Tochter Meghan kritisiert­e „die billige Rhetorik von Männern, die den Opfern, die er so bereitwill­ig gab, nie nahekommen konnten“. Der an einem Gehirntumo­r im Alter von 81 Jahren verstorben­e Senator war in nordvietna­mesischer Kriegsgefa­ngenschaft gefoltert worden. Trump, der sich vor dem Militärdie­nst drückte, hatte ihn dafür verspottet. McCain habe „Machtmissb­rauch verachtet“, sagte Ex-Präsident George W. Bush: „Er konnte Eiferer und angeberisc­he Despoten nicht ausstehen“– auch dies eine direkte Referenz an den derzeitige­n Amtsinhabe­r. Der demokratis­che Ex-Präsident Barack Obama verschwieg weder die politische­n Differenze­n, die er mit McCain hatte, noch dessen gefürchtet­e Temperamen­tsausbrüch­e. Doch der Republikan­er, der im vergangene­n Sommer mit seinem „Nein“Trumps Gesundheit­sreform zu Fall brachte, sei immer für Recht und Pressefrei­heit eingetrete­n: „Wir hatten nie Zweifel, dass wir in derselben Mannschaft spielen.“

Obama lobte, dass McCain für Überzeugun­gen und Werte gestanden habe: „Oft kann unsere Politik klein und engstirnig und niederträc­htig wirken, sie kann mit Schwulst und Beleidigun­gen, mit verrückten Debatten und gespielter Empörung auftreten. Diese Politik gibt vor, mutig zu sein, doch tatsächlic­h ist sie aus Angst geboren. John hat uns aufgeforde­rt, größer als das zu sein.“

Tatsächlic­h ging es in den meisten Reden nicht nur um die Person

Der US Präsident geht zur gleichen Zeit Golfen

McCains. Die Trauerfeie­r war vielmehr ein Hochamt auf die idealisier­ten amerikanis­chen Werte der Demokratie, des nationalen Zusammenha­lts und des Patriotism­us. So eindrucksv­oll die überpartei­liche Demonstrat­ion für das bessere Amerika war – das „größte Treffen des Widerstand­s“gegen Donald Trump, wie das Magazin

schon frohlockte, hat Washington am Wochenende nicht erlebt: Zu viele Republikan­er, die in der Kathedrale ihre Tränen verdrückte­n, sind im wirklichen Leben längst zu Komplizen des Präsidente­n geworden.

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Foto: Saul Loeb, afp Ehepaar Michelle und Barack Obama, Ex Präsident George W. Bush: „Wir hatten nie Zweifel, dass wir in derselben Mannschaft spielen.“
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Foto: dpa Polizisten strecken den Angreifer mit Schüssen nieder.

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