Wen das Heimweh plagt
Studie Teresa Grunwald hat untersucht, wie sich Menschen fühlen, die fern der Heimat leben. Sie befragte Studenten und ging den Schicksalen von Auswandern nach
Gerade mit zwei Koffern angekommen. Ganz allein unter Fremden und dann auch noch mieses Nieselwetter. Teresa Grunwald kann sich noch gut an den ersten Tag erinnern, als sie für ein Auslandssemester von Augsburg nach Schweden wechselte. „Bei der Ankunft fühlte ich mich, als ob die Welt über mir zusammenbricht.“Was sie empfand, war Heimweh. Und als Kulturhistorikerin fragte sie sich: Wie ergeht es wohl anderen Menschen, die Sehnsucht nach ihrer Heimat haben? Antworten hat sie bei Studenten, aber auch bei Auswanderern gefunden. In einer neuen Studie kommt Teresa Grunwald auch zu einem überraschenden Ergebnis.
Die Heimweh-Studie entstand in Bremerhaven. Die 28-jährige Augsburgerin war zwei Jahre im „Deutschen Auswandererhaus“, einem Erlebnismuseum zur Geschichte der Aus- und Einwanderung , tätig. Teresa Grunwald arbeitete dort als Volontärin für Presse und Marketing. Dort ging sie nun auch in Archiven den Schicksalen deutscher Auswanderer nach. Sie befragte Museumsbesucher und interviewte Studenten, die für ihr Studium weggezogen sind. „Es war sehr spannend“, sagt Teresa Grunwald. Die erste Analyse zeige, dass das Wort Heimweh ein sehr vielschichtiger Begriff sei.
Besonders schlimm muss Heimweh für Menschen sein, die einen kompletten Schlussstrich unter ihr gewohntes Leben ziehen. Das wird am Beispiel von Martha Hüner deutlich, deren Lebensgeschichte man als eine von vielen im Deutschen Auswandererhaus nacherleben kann. 1923 wanderte die 17-Jährige per Schiff von Bremerhaven nach New York aus. Neben ihrem üblichen Reisegepäck gab ihr der Vater als Andenken eine Pferdebürste mit – in der Annahme, seine Tochter werde in den USA einen Cowboy heiraten. Von ihrer Mutter bekam sie Stoff für die Aussteuer. „Die daraus von ihr bestickte ,Heimweh‘-Decke hat sie zusammen mit der Pferdebürste immer an die Heimat erinnert“, erzählt Teresa Grunwald. Die Auswanderin litt zeitlebens stark unter Heimweh, das geht aus den Quellen hervor. Für Grunwald ist das gut nachvollziehbar. In der damaligen Zeit habe es noch keine Telefone für die breite Bevölkerung gegeben, um spontan mit Angehörigen daheim zu telefo- nieren und Sehnsucht zu lindern, sagt sie. Auch Flugzeuge als schnelle Verkehrsmittel für Reisende waren noch nicht verfügbar.
„Heimweh und Migration gehören eng zusammen“, erklärt die Direktorin des Deutschen Auswandererhauses, Simone Eick. Aber Migration sei nicht nur Auswanderung auf Dauer. Auch der Umzug auf Zeit innerhalb eines kleineren geografischen Raumes könne als Migration betrachtet werden.
Hier kommen Studenten von heute ins Spiel. Teresa Grunwald hat junge Leute, die von zu Hause ausgezogen sind, nach ihren Erfahrungen mit Heimweh befragt. Ergebnis: Jeder erlebt die Sehnsucht nach der Heimat anders. Für einige Befragte ist Heimweh nur ein kurzer Moment, andere leiden Monate darunter. Am häufigsten sei die Sehn- sucht nach Orten und Menschen, die im Leben der Studenten eine wichtige Rolle spielen, sagt sie. Heimweh könne aber auch verschiedene Auslöser haben. Als Beispiele nennt Grunwald eine angespannte persönliche Lage, in der man Beistand braucht, etwa vor Prüfungen. Auch das Leben in unterschiedlichen Zeitzonen könne Heimweh zur Folge haben, weil man nicht spontan mit Familie und Freunden telefonieren könne. Studentin Florence Poniewas beschreibt ihre Gefühlslage im Interview so: „Heimweh ist ein bisschen wie Liebeskummer.“
Wie zwiespältig die Sehnsucht nach der Heimat sein kann, zeigt wiederum die anonyme Befragung von Museumsbesuchern in Bremerhaven. Rund ein Drittel der Gäste des Deutschen Auswandererhauses bewertete Heimweh gleichermaßen als „gut“und als „problematisch“. Sie empfanden Heimweh als ein „gutes Problem“, so Teresa Grunwald. Dieses widersprüchliche Ergebnis hat die Experten, die hinter der neuen Studie stehen, dann doch überrascht. Deshalb soll es weiter erforscht werden.