Frostiger Neuanfang
Präsident Recep Tayyip Erdogan wird in Berlin mit allen militärischen Ehren empfangen. Doch das ändert nichts an den tief greifenden Differenzen. Und dann gibt es auch Zwischenfälle
Berlin Sie sagen nichts. Doch ihre Mienen sprechen Bände. Kein Lächeln, nicht einmal der Hauch eines freundlichen Gesichtsausdrucks, keine Spur von Freude oder gar Sympathie. Stattdessen zwei Gesichter, die zu Eis erstarrt sind und eine geradezu arktische Kälte ausstrahlen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan stehen nebeneinander, und doch würdigen sie sich keines Blickes, ihre Augen sind in die Ferne gerichtet.
Ein schwieriger Gast, ein schwieriger Besuch. Im gepflegten Park von Schloss Bellevue empfängt das deutsche Staatsoberhaupt an diesem sonnigen, aber frischen Freitag seinen türkischen Amtskollegen mit allem, was das diplomatische Protokoll für einen offiziellen Staatsbesucher zu bieten hat, mit rotem Teppich, militärischen Ehren und Hymnen, am Abend dann noch mit großem Defilee und Staatsbankett. Und doch kann der prunkvolle Rahmen nicht darüber hinwegtäuschen, wie belastet das deutsch-türkische Verhältnis derzeit ist.
Bei seinen Gesprächen mit dem Bundespräsidenten in Schloss Bellevue und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Mittagessen im Kanzleramt, das fast 45 Minuten länger dauert als geplant, wirbt Erdogan zwar für eine Partnerschaft „auf Augenhöhe“und verweist auf gleiche Interessen, und doch muss er sich Fragen nach Menschenrechtsverlet- zungen und nach der Pressefreiheit in seinem Land, nach den Verhaftungen von Journalisten und die Rechtsstaatlichkeit gefallen lassen. Steinmeier wie Merkel fragen konkret nach verhafteten Journalisten und politischen Gefangenen und fordern deren Freilassung: Aus Delegationskreisen heißt es hinterher, die Atmosphäre des Gesprächs zwischen den beiden Präsidenten sei „ernst“gewesen, die Kanzlerin spricht bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdogan gar von „tief greifenden Differenzen“. Sie sei allerdings zuversichtlich, dass alle Deutschen, die noch in türkischen Gefängnissen sitzen, bald freikommen. „Wir versuchen uns anzunähern, auch wenn das eine Weile dauern kann.“Erdogan seinerseits weist die Vorwürfe entschieden zurück und hebt mehrfach die Unabhängigkeit der türkischen Justiz her- vor. Überschattet wird die Pressekonferenz von zwei Zwischenfällen. Zunächst wird bekannt, dass der regierungskritische türkische Journalist Can Dündar, der eigentlich eine Akkreditierung für den Termin im Kanzleramt hatte, nicht an der Pressekonferenz teilnimmt, nachdem die türkische Delegation offenbar gedroht hatte, im Falle seiner Anwesenheit die Veranstaltung abzusagen. Erdogan weist die Vorwürfe zurück. Dündar sei ein „Agent“, der Staatsgeheimnisse veröffentlicht habe, deswegen zu fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt wurde und nach Deutschland geflohen sei. Der Verrat von Staatsgeheimnissen sei in keinem Land erlaubt, Dündar müsse in die Türkei ausgeliefert werden. Merkel bestätigt, dass es zwischen Erdogan und ihr wegen Dündar „unterschiedliche Meinungen“gebe. Und dann