Hat zu einer neuen Spaltung geführt“
. Sie gab sich humorvoll, schlagfertig – und versöhnlich gegenüber der CSU. Ein Auszug des Gesprächs
gelernt. Und deshalb denke ich auch heute noch daran: Wie hätte er das wohl beurteilt?
Lassen Sie uns daran teilhaben?
Merkel: Er würde sich auf jeden Fall ganz klar von der AfD abgrenzen. Er würde sich auf jeden Fall für die Einheit Europas einsetzen. Wir leben nun mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung. Deshalb würde Helmut Kohl versuchen zu verstehen, was viele Menschen, die sich abgehängt fühlen, wohl denken. Die gibt es in den neuen Bundesländern, die gibt es aber auch in den alten. Er hatte ein gutes Gespür für die Sorgen von Menschen.
Belastet es Sie manchmal, dass Helmut Kohl in den späten Jahren seines Lebens aus seiner Verbitterung über Sie keinen Hehl gemacht hat?
Merkel: Das war so. Sie haben den Artikel in der angesprochen – es war aus meiner Sicht notwendig, ihn zu schreiben. Aber schön hab ich’s nicht gefunden.
FAZ Sie sind heute in Bayern, das ist gar nicht so selbstverständlich – zwischendurch hat Ministerpräsident Markus Söder wenig Wert auf Ihre Wahlkampfhilfe gelegt…
Merkel: Aber jetzt hatte ich ihn gefragt und er hat gesagt, ich soll ruhig kommen. Und am Sonntag bin ich schon wieder in Bayern.
Mal frech gefragt: Müssten Sie am 14. Oktober nicht heilfroh sein, wenn ein schlechtes Wahlergebnis Seehofer aus dem Amt trägt?
Merkel: Sie haben wahrscheinlich noch nie einen Wahlkampf gemacht. Wir sind eine gemeinsame Fraktion, wir sind Schwesterparteien. Wir können überhaupt nur dann eine Regierung bilden, wenn wir zusammenhalten. Da fiebert man miteinander mit. Man steckt so viel Kraft, so viel Zeit, so viel Lebensenergie rein. Viele Menschen machen Politik ehrenamtlich, die wetzen rum, lassen sich beschimpfen. Da gibt es überhaupt keinen anderen Weg, als sich gegenseitig Erfolg zu wünschen.
Ich kann nicht ganz glauben, dass Sie nicht an manchen Tagen aufwachen und sich fragen: Was hat Seehofer jetzt schon wieder gesagt?
Merkel: Nur weil es Meinungsunterschiede gibt und man sich sagt, wenn man etwas nicht in Ordnung findet, muss ich doch nicht gleich jemandem etwas Schlechtes wünschen. Das ist völlig abwegig.
Hätte es geholfen, wenn Sie sich auch in der Flüchtlingspolitik hingestellt und wie nun im Fall Maaßen gesagt hätten: Ich habe einen Fehler gemacht.
Merkel: Die Dinge liegen völlig unterschiedlich. Im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise habe ich mein Bedauern dahingehend ausgedrückt, dass wir uns nicht ausreichend gekümmert haben, was da in Syrien los war, was da in den jordanischen und libanesischen Flüchtlingslagern los war. Wir haben damals gar nicht zur Kenntnis genommen, dass schon drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei angekommen waren. Diese Menschen hatten nichts mehr zu essen, ihre Ersparnisse waren aufgebraucht. Viele haben sich mit der Hilfe von Schleppern auf den Weg gemacht. Bedauern kann ich also nur, dass wir nicht ausreichend aufgepasst haben, was da in Syrien, im Libanon, in Jordanien und der Türkei los war.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagt, dass wir viele dieser Menschen gar nicht mehr zurückführen können – auch, weil wir die harten Bilder der Abschiebung nicht wollen. Ist das nicht die Resignation des Rechtsstaates?
Merkel: Ich finde, dass man sich damit nicht abfinden darf. Bei den Flüchtlingen, die 2011 kamen, würde ich auch nicht versprechen, dass wir alle wieder nach Hause bringen werden. Aber die Botschaft muss doch sein: Wir wollen das. Wir wollen denen Schutz geben, die Schutz verdienen. Und für die gibt es auch ein ausgefeiltes Rechtssystem in Deutschland mit vielen Möglichkeiten, sein Recht einzuklagen. Und wenn dann das Urteil lautet, dass jemand kein Anrecht hat, in Deutschland zu bleiben, muss der Rechtsstaat das auch einsetzen. Da müssen wir besser werden. Ich war kürzlich in Afrika und habe mit den Herkunftsstaaten gesprochen. Ich habe deutlich gesagt: Wir helfen euch. Aber wir können als Staaten miteinander nur Kontakte haben, wenn wir bereit sind, gegen die Schlepper auch anzukämpfen. Viele afrikanische Regierungschefs wissen das auch. Denn mit dem Geld, das die Menschen den Schleusern geben, kaufen diese Drogen, Waffen, tragen zu Unruhen bei. Das ist kriminell. Dem darf man sich nicht unterwerfen.
Viele afrikanische Regierungen sind von unserer Vorstellung von guter Regierungsführung weit entfernt. Darf man denen Geld geben, damit uns die Migranten fernhalten?
Merkel: Darum geht es nicht. Wir haben einen sehr hoch entwickelten Rechtsstaat, den ich mir für viele Länder dieser Erde wünschen würde. Aber wenn wir nur noch Kontakte haben zu Menschen, die unseren Ansprüchen an den Rechtsstaat genügen, dann haben wir schon jenseits von Europa Schwierigkeiten. Außenpolitik ist immer werteund interessengeleitet. Wir lernen gerade auch sehr viel. Wenn Länder ganz arm sind, also 400 Euro Jahresverdienst pro Person, wie das etwa in Mali, im Niger der Fall ist, fliehen von dort keine Menschen. Sie können es sich gar nicht leisten. Wenn Länder sich einem Jahreseinkommen von 4000 Euro annähern, haben die Menschen ein Smartphone und wissen, wie es woanders ist. Bis etwa 10000 Euro Jahresverdienst gibt es die Versuchung zu sagen, ich gehe dahin, wo es besser ist. Wo die Menschen mehr als 10000 Euro verdienen, lässt die Zahl der Flüchtenden nach, weil keiner freiwillig seine Heimat verlässt. Wenn wir sehen, dass es China innerhalb weniger Jahrzehnte geschafft hat, hunderte von Millionen von Menschen aus dem Hunger herauszuholen, dann kann das Afrika genauso gelingen.
Nun gibt es Menschen im Osten, die sagen: Bevor ihr die ganzen Flüchtlinge integriert, integriert doch erst einmal uns. Ist das etwas, das Sie umtreibt?
Merkel: Wir feiern am 3. Oktober den 28. Jahrestag der Deutschen Einheit. Insgesamt ist die eine Erfolgsgeschichte. Aber es ist schon auch so: Vieles, was Anfang der 90er Jahre passiert ist, kommt jetzt bei den Menschen noch mal auf den Tisch. Es war ja auch eine unglaubliche Erfahrung. Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren, mussten neu anfangen. Das Gesundheitssystem, das Rentensystem – alles wurde anders. Ich war damals 35 Jahre alt, das ging noch. Aber mit 45 oder 55 wird das nicht einfacher. Zum Tag der Währungsunion haben 13 Prozent der Menschen im Osten in der Landwirtschaft gearbeitet – am Tag danach waren es noch 1,5 Prozent. Wissen Sie, wie viele Tierärzte es gab? Wie viele Traktoristen? Das waren Leute, die nie wieder in ihrem Beruf arbeiten konnten. Wenn du Tierarzt bist, kannst du ja nicht zu Siemens gehen und sagen: Morgen werde ich Ingenieur. Dann gab es die Treuhand-Anstalten, die viel Gutes geschafft haben. Aber wenn dann plötzlich die 28-jährigen Volkswirte aus dem Westen kommen, die sagen, was man alles nicht kann… So etwas arbeitet in den Leuten. Das ist niemals eine Rechtfertigung für Hass und Gewalt. Niemals. Aber es ist eine Erklärung für eine andere Lebensbiografie.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich nicht dafür entschuldigen wollen, ein freundliches Gesicht zu zeigen. Nun ist Deutschland insgesamt unfreundlicher geworden.
Merkel: Ich bin mit der Unfreundlichkeit nicht zufrieden. Ich möchte, dass wir wieder zu einem freundlicheren Umgangston zurückkehren. Jeder hat ein Leben, jeder sollte versuchen, in diesem Leben etwas umzusetzen. Wer sich benachteiligt fühlt, den wollen wir unterstützen. Das ist Politik.
Während Ihrer Zeit in der Politik wurden Sie immer wieder von der Wirtschaft enttäuscht. Erst während der Finanzkrise und jetzt im Abgasskandal. Verlieren Sie den Glauben an den Standort Deutschland?
Merkel: Meine erste Begegnung mit der Wirtschaft war als Umweltministerin. Damals waren Castor-Behälter verschmutzt. Das war damals auch eine Enttäuschung. Als Politiker muss man auf eine gewisse Distanz achten: Wir machen die Gesetze, die dazu dienen, Schaden abzuwenden. Die Wirtschaft muss im Rahmen dieser Gesetze Technologien entwickeln. Natürlich bin ich enttäuscht von dem, was da in der Automobilindustrie passiert ist. Was mich dabei beunruhigt, ist aber vor allem, dass durch dieses Verhalten Arbeitsplätze und der Ruf eines Produkts in Gefahr geraten. Darum geht es mir: Ohne diese Arbeitsplätze ist Deutschlands Wohlstand gefährdet.
VW und Daimler erzielen Milliardengewinne. Trotzdem ist in den Verhandlungen über Diesel-Nachrüstungen unklar, ob die Autoindustrie die Kosten nun zu 80 Prozent oder zu 100 Prozent trägt. Das versteht doch kein Kunde.
Merkel: Unser Ansatz ist ein anderer. Wenn wir in einigen Städten Fahrverbote haben, müssen wir versuchen, die Flotte zu erneuern und den Umtausch voranzutreiben. Das wird das Hauptziel sein. Nach heutigem technischem Stand kann man kein einziges Euro-4-Auto nachrüsten, von den Euro5-Dieseln kann man höchstens ein Drittel nachrüsten. Der bessere Weg ist es daher, die alte Flotte durch eine neue zu ersetzen. Ergänzend wird man für einige Autofahrer die Möglichkeit der Nachrüstung eröffnen – und dafür soll der Kunde nach unserer Meinung nichts bezahlen. Es geht also um eine 100-Prozent-Lösung. Wir werden am Montagabend im Koalitionsausschuss abschließend beraten.
Sie hatten mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan einen schwierigen Gast. Müsste man der Türkei, die sich in einer schwierigen Lage befindet, wirtschaftlich helfen?
Merkel: Fragen wir andersherum: Was ist unser Interesse? Mein Interesse jedenfalls ist, dass wir eine stabile Türkei haben. Wenn es Kritikwürdiges gibt, dann äußern wir Kritik. Das werde ich auch tun. Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht eine stabile Türkei möchte. Die Türkei ist Nato-Mitglied. Schauen Sie sich die Nachbarn der Türkei an – dort haben wir die Instabilität vor unserer Haustür. Das kann unter gar keinen Umständen unserem Interesse entsprechen. Wir müssen kluge Verbindungen finden, wie wir helfen, damit die Türkei stabil bleibt. Hierfür werden wir die wirtschaftliche Zusammenarbeit stärken. Aber wir besprechen auch Kritisches. Die Lage der Menschenrechte ist nicht so, wie ich mir das vorstelle. Das ist auch in anderen Ländern so. Der russische Präsident zeigt in dieser Frage auch erhebliche Defizite.
»Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich meinen Garten etwas besser pflegen. Aber jetzt bin ich erst einmal gerne Bundeskanzlerin.«
In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass Sie früher gerne einmal ein Restaurant eröffnet hätten. Was sind heute Ihre Pläne für die Zeit nach der Politik – wenn die denn einmal kommen sollte?
Merkel: Eine Restaurant-Eröffnung steht gerade nicht auf meinem Plan. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich meinen Garten etwas besser pflegen. Ich würde Reisen machen, die mich dorthin führen, wo die Zeitverschiebung größer ist. Das kann man als Bundeskanzlerin sehr schlecht: Dorthin reisen, wo es sechs oder acht Stunden Zeitverschiebung gibt. Sonst ist man vollkommen entkoppelt vom hiesigen Geschehen. Aber jetzt bin ich erst einmal gerne Bundeskanzlerin.
Fragen: Gregor Peter Schmitz, Protokoll: Margit Hufnagel