Friedberger Allgemeine

Kosmischer Verkehrsun­fall

Der Meteorit „Stubenberg“war Jahrmillia­rden im All unterwegs – bis er in ein niederbaye­risches Stück Wald gestürzt ist. Jetzt soll er ins Museum

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Es ist ein Sonntagabe­nd kurz nach halb elf: Eine plötzliche helle Lichtersch­einung am dunklen Nachthimme­l erschreckt und fasziniert an diesem 6. März 2016 tausende Menschen im südlichen Bayern, in Österreich und Tschechien. Augenzeuge­n sagen später, es sei ein „senkrecht abstürzend­er, im Kern glühender Ball von enormer Größe“zu sehen gewesen; eine „Riesenster­nschnuppe“oder ein „Feuerball mit Schweif“– kurz: die Kollision des später als „Stubenberg“bekannten Meteoriten mit der Erde blieb nicht unbemerkt.

Nun soll der Auslöser der ganzen Aufregung mit seiner, in mehrerer Hinsicht außergewöh­nlichen Geschichte ins Nördlinger Rieskrater­museum kommen. Wenn genügend Geld zusammenko­mmt, um ihn den beiden Findern abzukaufen, die ihn nach vier Wochen beinahe ununterbro­chener Suche in einem Waldstück südöstlich des Orts, der schließlic­h zum Namenspate­n des Meteoriten wurde, unter einem Tannenzwei­g gefunden haben.

Kaum jemand kennt „Stubenberg“besser als der Leiter des Feuerkugel­netzes am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Dieter Heinlein. Der bestens vernetzte Augsburger Meteoriten­forscher trommelte das erste Team von freiwillig­en Helfern zusammen, das wenige Tage später in dem von einem tschechisc­hen Wissenscha­ftler recht exakt berechnete­n Streufeld nach den Trümmern des Meteoriten suchte – und schon nach wenigen Stunden einen ersten Fund machte. Was die Enthusiast­en fanden, waren erst mal nur einige Gramm leichte Meteoriten-Fragmente auf einem Acker direkt neben Bundesstra­ße B 12. Die Hauptmasse des Himmelskör­pers? Fehlanzeig­e.

Gut 36 Millionen Jahre kreiste „Stubenberg“vor jenem 6. März auf seiner immer gleichen Bahn um die Sonne. Er ist wohl entstanden als Absplitter­ung eines noch viel älteren Asteroiden, der schon seit unvorstell­baren 4,5 Milliarden Jahren durch das All unterwegs war. Damit ist er älter als die Erde selbst. In dieser Zeit hat „Stubenberg“viele Male unversehrt die Bahn unseres Planeten gekreuzt. Bis zu jenem verhängnis­vollen Tag, an dem beide Himmelskör­per zur selben Zeit am selben Ort sind. Eine Art kosmischer Verkehrsun­fall, wenn man so will. Oder, falls man weniger an Zufall glauben will, eine Kollision, die schon seit Jahrmillio­nen vorherbest­immt war. Jedenfalls rast der anfangs noch gut zwei Zentner schwere Brocken mit 14 Kilometern pro Sekunde auf die Erde zu und verglüht in der Atmosphäre mit einem hellen Leuchten bis auf ein Gewicht von etwa zwei bis drei Kilogramm. „Und dann gehen die Probleme los“, sagt Dieter Heinlein. Denn der verblieben­e Asteroiden­teil zersplitte­rt bis zu seinem Einschlag in unterschie­dlich große Bruchstück­e.

Im Schnitt tritt ein Meteorit wie der „Stubenberg“alle zehn Jahre auf. Das Besondere in diesem Fall ist, dass sein Flug so gut dokumentie­rt ist. Trotz aller Anstrengun­gen ist das bisher nur sehr selten gelungen, zuletzt etwa beim Meteoriten „Neuschwans­tein“– von dem ein dicker Brocken übrigens von den selben beiden Männern aus Ruhpolding gefunden wurde wie der „Stubenberg“.

Nur wenn von einem Meteoriten Gesteinsma­terial gefunden und wissenscha­ftlich untersucht werden kann, wird er offiziell anerkannt. Für Bayern geht man von 15 glaubhafte­n Meteoriten-Ereignisse­n aus, anerkannt sind aber nur neun Fälle, von denen zwei sich auf Gebieten ereigneten, die heute nicht mehr zu Bayern gehören, sondern zu Rheinland-Pfalz oder Österreich. Von den sieben verblieben­en ist aber meist nicht mehr viel erhalten: Einer wurde zerschlage­n und in alle Welt verteilt, ein anderer landete in Budapest und wurde 1956 beim Volksaufst­and zerstört, ein weiterer überstand einen Luftangrif­f im Jahr 1944 nicht. Das Nördlinger Rieskrater­museum hat mit einem großen Teilstück des Meteoriten „Neuschwans­tein“also bereits einen großen Schatz. Der Preis für „Stubenberg“wird auf knapp 200000 Euro taxiert. „Das ist mehr als gerechtfer­tigt“, sagt Heinlein. Wenn die Finder den Meteoriten im Ausland verkaufen wollten, wäre er nach einer Woche weg.

Matthias Zimmermann

 ?? Fotos: Dr. Pavel Spurny, Astronomis­ches Institut Ondrejov, Tschechien; Dieter Heinlein ?? Die Feuerkugel, wie sie von den tschechisc­hen Überwachun­gskameras aufgenomme­n wurden. Die Hauptmasse des Meteoriten mit einem Gewicht von exakt 1320 Gramm und der typischen schwarzen Schmelzkru­ste.
Fotos: Dr. Pavel Spurny, Astronomis­ches Institut Ondrejov, Tschechien; Dieter Heinlein Die Feuerkugel, wie sie von den tschechisc­hen Überwachun­gskameras aufgenomme­n wurden. Die Hauptmasse des Meteoriten mit einem Gewicht von exakt 1320 Gramm und der typischen schwarzen Schmelzkru­ste.
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