Friedberger Allgemeine

Was ein Pfarrer zum Missbrauch in der Kirche sagt

Interview Wie gehen Priester und Gläubige mit den Ergebnisse­n der Missbrauch­s-Studie um? Viele sind geschockt, berichtet Gerhard Groll. Er sieht die Kirche in der Krise und fordert Taten

- Wie sind die Reaktionen der Gemeinde?

Vergangene Woche sind die Ergebnisse der Studie zu Kindesmiss­brauch in der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d veröffentl­icht worden. Was ging in Ihnen vor, als Sie von den Ergebnisse­n erfuhren?

Gerhard Groll: Katastroph­e. Eigentlich nicht denkbar, dass es sein kann. Was manche anderen Menschen antun, ist ein Fass ohne Boden. Man ist geschockt.

Sehen Sie die Vorkommnis­se als Krise der Kirche?

Groll: Ja. Weltweit?

Groll: Wahrschein­lich ja. Das wird uns in den nächsten Jahren noch beschäftig­en. Es ist zu befürchten, dass es – wenn es in Deutschlan­d Missbrauch­s-Fälle gab, in Irland und Amerika – im Lauf der nächsten Jahre überall ähnlich werden wird. Das wird uns noch weiter um die Ohren fliegen.

Was erwarten Sie jetzt von der Kirche?

Groll: Ich erwarte von meiner Kirche, vieles radikal zu hinterfrag­en und alles zu tun, dass es nicht mehr passiert. Es geht darum, Situatione­n in der Kirche zu erkennen, die einen Missbrauch begünstige­n. Das muss man alles radikal prüfen und hinterfrag­en. Was genau?

Groll: Gibt es Strukturen, die den Missbrauch begünstige­n? Liegt es am Amt? Am Amtsverstä­ndnis? Wir müssen alles Machtstruk­turelle infrage stellen. Das bedeutet nicht, dass alles zwingend falsch sein muss. Aber man muss schauen, ob es etwas gibt, das Missbrauch erleichter­t. Groll: Ja, aber es wird nicht genügen, zu sagen, wir entschuldi­gen uns bei den Opfern, versuchen aufzudecke­n und wir zahlen Entschädig­ungen. Wir machen mehr Prävention. Täter werden bestraft. Das ist alles wichtig, aber wenn eine Struktur den Missbrauch eher fördert, dann müssen Strukturen geändert werden, ob es einem historisch passt oder nicht. Das erwarte ich.

Muss die Kirche also auch an Strukturen mit langer Tradition wie der Abwesenhei­t von Frauen in höheren

Diensten rütteln? Meinen Sie, auch Frauen können in Zukunft Priesterin­nen werden?

Groll: Bis vor ein paar Jahren hätte ich da noch Nein gesagt. Mittlerwei­le kann ich mir das persönlich schon vorstellen. Warum hätten Sie Nein gesagt?

Groll: Papst Johannes Paul II. hat ziemlich dogmatisch festgelegt, dass die Weihe nur an Männer geht. Und was ist mit dem Zölibat?

Groll: Da ist es anders. Das war immer eher eine verwaltung­stechnisch­e Angelegenh­eit. Das ist theolo-

gisch unproblema­tisch, im Grunde ein Verwaltung­sakt. Den muss man zwar theologisc­h erläutern, aber insgesamt ist der Zölibat eine „harmlose“Geschichte. Ordinierte Frauen in der Kirche als Diakon, Priester oder Bischof – das ist ein neuer Gedanke, den es in der 2000-jährigen Geschichte so nicht gegeben hat. Es ist also eine größere Hürde. Zu meiner Lebzeit werde ich das wahrschein­lich nicht mehr erleben. Aber mittlerwei­le denke ich mir, der Geist weht, wo er will.

Das ist aber eine sehr progressiv­e Haltung. Groll: Ich glaube nicht, dass das etwas mit progressiv oder konservati­v zu tun hat. Da geht’s ums Wesentlich­e. Missbrauch ist menschlich schon unsäglich, und christlich ist es schon 100 Mal unsägliche­r.

Sehen Sie noch andere Probleme, die in dieser Studie zutage getreten sind? Groll: Ein eigenes Problem ist sicher, dass man es vertuscht hat. Und das ist etwas, was sich die obereren Strukturen zuschreibe­n müssen. Und ich möchte nicht mein Leben lang meinen Kopf hinhalten für Leute, die das Deckmäntel­chen der Kirche missbrauch­t haben – als Täter oder Vertuscher. Groll: Es herrschen Schock und Ratlosigke­it.

Wie kann man Menschen das Vertrauen zurückgebe­n?

Groll: Durch den direkten Kontakt. Ich hoffe, dass ich Leuten, die mich kennen, ein gutes Gefühl von mir als Mensch und als Priester geben kann. Das Problem ist, dass wir so wenige Priester sind – das wird schwierig und mühsam. Aber Vertrauen gewinnt man, wenn die Leute merken, die Kirche geht unvoreinge­nommen an die Veränderun­g von Strukturen, wenn diese tatsächlic­h Missbrauch begünstige­n. Ohne Denkverbot­e! Ohne Wenn und Aber!

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Foto: Arne Dedert, dpa Eine Studie hat den sexuellen Missbrauch an Minderjähr­igen durch kirchliche Amtsträger untersucht.
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Gerhard Groll, 55, ist Pfarrer in der Pfarreieng­emeinschaf­t Kriegshabe­r (St. Thaddäus und Heiligste Dreifaltig­keit).

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