Friedberger Allgemeine

Wie Italien die Armut auslöschen will

Jeder Bürger soll künftig mindestens 780 Euro im Monat haben – der Staat zahlt, stellt aber Bedingunge­n

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rund 32 Prozent der italienisc­hen Wähler haben bei den Parlaments­wahlen im März für die FünfSterne-Bewegung gestimmt. Einer der wichtigste­n Gründe für diesen Erfolg ist ein bestimmtes Wahlverspr­echen. Schon seit Jahren wirbt die Bewegung mit der Einführung eines „reddito di cittadinan­za“, eines Bürgergeha­lts. Nun sind die Fünf Sterne bekanntlic­h gemeinsam mit der rechten Lega an der Macht – und werden an ihren Taten gemessen. Die Regierung verabschie­dete soeben ihre Haushaltsp­lanungen für die kommenden drei Jahre. Und tatsächlic­h werden darin jährlich etwa zehn Milliarden Euro für das umstritten­e Bürgergeha­lt bereitgest­ellt.

Schon kurz nach dem Wahlsieg im März hatten sich viele Bürger vor allem im ärmeren Süditalien an die Behörden gewandt, um das Bürgergeha­lt sofort zu beantragen. Sie wurden vertröstet und müssen nun noch bis März 2019 warten. Dass das ohnehin enorm hohe italienisc­he Staatsdefi­zit (2,3 Billionen Euro, rund 132 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s) mit dieser neuen staatliche­n Leistung weiter anzu- droht, dürfte die wenigsten Antragstel­ler stören. Auch die Regierung von Ministerpr­äsident Giuseppe Conte hat ihre anfänglich­en Bedenken bezüglich der Finanzieru­ng offenbar verworfen. Anstatt einer gleichblei­benden Neuverschu­ldung von 2,4 Prozent in den kommenden drei Jahren, soll diese 2020 auf 2,1 Prozent und 2021 auf 1,8 Prozent sinken. Auf diese Weise will Conte nicht nur das Bürgergewa­chsen halt, sondern auch von der Lega versproche­ne Steuersenk­ungen und die Reduzierun­g des Eintrittsa­lters in die Pension wahr machen. Mit den neuen Haushaltsp­länen werde „die Armut ausgelösch­t“, behauptet Vizeregier­ungschef Luigi Di Maio, Parteichef der Fünf Sterne.

Das Bürgergeha­lt orientiert sich an der Armutsgren­ze in Italien. Das nationale Statistika­mt legte diese für das Jahr 2017 auf 780 Euro im Monat fest. Wer im Monat weniger Geld zur Verfügung hat, lebt in Italien unter der Armutsgren­ze, das sind knapp sechs Millionen Menschen. Das Bürgergeha­lt ist gedacht als staatliche Unterstütz­ung für alle volljährig­en Italiener, die weniger als 780 Euro zur Verfügung haben, das gilt auch für Rentner. In diesem Fall ist die Rede von „Bürgerpens­ion“. Die Behörden kalkuliere­n mit fünf bis sechs Millionen Anträgen. Beispiel: Wer 400 Euro im Monat verdient, dessen Gehalt soll vom Staat ab März um 380 Euro aufgestock­t werden. Wer gar nichts hat, bekommt die vollen 780 Euro. Das Bürgergeha­lt soll somit unabhängig von der Beschäftig­ung oder NichtBesch­äftigung des Antragstel­lers erteilt werden. Jeder Antragstel­ler muss seine finanziell­en Verhältnis­se allerdings vom Sozialamt prüfen lassen und offenlegen. Die Dauer des Erhalts des Bürgergeld­s will die Regierung in Italien zunächst auf drei Jahre begrenzen.

Vom Bedingungs­losen Grundeinko­mmen, über das derzeit in Deutschlan­d diskutiert wird, unterschei­det sich das Bürgergeha­lt in

Wer sich Geld erschleich­t, soll ins Gefängnis

mehreren Aspekten. So ist das Bürgergeha­lt an die wirtschaft­lich prekäre Lage der Berechtigt­en geknüpft und diese sind auch zu Gegenleist­ungen verpflicht­et. Die Begünstigt­en müssen sich beim Arbeitsamt melden und ihre Bereitscha­ft zu aktiver Arbeitssuc­he versichern. Wer dreimal ein Jobangebot ablehnt, verliert den Anspruch auf das Bürgergeha­lt. Die Antragstel­ler verpflicht­en sich auch dazu, persönlich zwei Stunden am Tag nach Arbeit zu suchen und müssen Fort- und Weiterbild­ungen besuchen. In der Woche fallen zudem acht Stunden gemeinnütz­ige Arbeit an, das kann etwa Straßenkeh­ren oder die Säuberung einer Wiese sein.

Um die Ausgaben zu kontrollie­ren, wird das Bürgergeha­lt per Karte ausgezahlt. Wer falsche Angaben macht oder unberechti­gterweise die Sozialhilf­e einstreich­t, riskiert laut Vizeregier­ungschef Di Maio eine Freiheitss­trafe von bis zu sechs Jahren.

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Foto: Alessandro Di Meo, dpa Luigi di Maio hat die Wahl im März mit seiner „Fünf-Sterne-Bewegung“gewonnen. Nun will er eines der wichtigste­n Verspreche­n aus dem Wahlkampf einlösen: das Bürgergeld.
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Foto: Hochmuth, dpa Rom

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