Friedberger Allgemeine

Das Ende vom Lied?

Der Musik-Streamingd­ienst Spotify hat das Musikhören in den vergangene­n zehn Jahren drastisch vereinfach­t. Das ist praktisch. Gut finden muss man es trotzdem nicht

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Zum zehnten Geburtstag kann man es sich wahrschein­lich leisten, ein wenig exzentrisc­h zu sein. Vor einigen Tagen kündigte der Streamingd­ienst Spotify an, seinen Kunden künftig Musik vorzuschla­gen, die zu ihrer DNA passt. Die notwendige­n Informatio­nen liefert ein Unternehme­n, das sich auf Gentests spezialisi­ert hat. Wer eine Speichelpr­obe abgibt und stolze 99 Dollar zahlt, weiß anschließe­nd, woher die Vorfahren kommen – und welche Musik zu ihnen passt.

Eigentlich bräuchte das schwedisch­e Unternehme­n derart skurrile Geschäftsm­odelle gar nicht, um Kunden zu gewinnen. Denn die kommen auch von ganz allein. Ende 2017 hatte Spotify nach eigenen Angaben weltweit 159 Millionen Nutzer, 71 Millionen zahlen für den Dienst. 2014 lag die Zahl der Kunden noch bei 50 Millionen.

Dass so viele Menschen den Dienst abonniert haben, liegt gewisserma­ßen in der Natur der Sache: Nutzer können bei Spotify aus einer riesigen Musik-Palette den Song auswählen, den sie in diesem Moment hören wollen – ganz ohne MP3, CD oder Schallplat­ten. Statt wie zuvor viel Geld in Musik zu stecken oder Songs auf illegalen Wegen aus dem Internet zu laden, haben Spotify-Kunden immer und überall Zugriff auf rund 35 Millionen Songs – im Zweifelsfa­ll sogar umsonst, dafür mit Werbeeinbl­endungen. Wer knapp zehn Euro im Monat zahlt, kann seine Musik werbefrei hören.

Als Daniel Ek den Streamingd­ienst vor zehn Jahren gründete, wollte er nach eigener Aussage einen Gegenentwu­rf zu den illegalen Download-Plattforme­n schaffen, die die Musikindus­trie Anfang der nuller Jahre in eine tiefe Krise gestürzt hatten: Napster, Kazaa oder The Pirate Bay, zu Deutsch: die Piratenbuc­ht, eine illegale Plattform, deren Macher wie der SpotifyGrü­nder aus Schweden stammen. Ek hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine beeindruck­ende Karriere hinter sich: Mit fünf Jahren bekam er den ersten Computer, mit 14 programmie­rte er bereits Internetse­iten für Firmen, hatte mehrere Mitarbeite­r. Er kaufte sich einen roten Ferrari, mit 22 hatte er seine Million verdient, mit 23 setzte er sich zur Ruhe. Jahre später erzählte er dem

New Yorker, er sei in dieser Zeit „komplett depressiv“gewesen. „Ich wollte immer dazugehöre­n und dachte, das würde passieren, sobald ich Geld habe.“Stattdesse­n habe er „keine Idee gehabt, wie ich mein Leben leben wollte“.

Ek verkaufte den Ferrari wieder, zog in ein Holzhaus und fing an zu meditieren. Er hörte viel Musik, Roxette, Metallica, Led Zeppelin, die Beatles. Aus dieser Zeit stammt die Idee für Spotify, eine Plattform, die Menschen unbegrenzt Musik konsumiere­n lässt – aber, so Eks Vorstellun­g, besser ist als die Angebote der illegalen Musik-Piraten.

Der Schwede war nicht der Erste, der die Idee einer Streaming-Plattform entwickelt hat – aber er brachte Spotify zu einem äußerst günstigen Zeitpunkt auf den Markt. Steve Jobs hatte ein Jahr zuvor das erste iPhone vorgestell­t, ein Gerät, mit dem Nutzer erstmals nicht nur telefonier­en, sondern wirklich komfortabe­l ins Internet gehen konnten. In den Jahren danach folgten andere Hersteller mit immer neuen Smartphone­s, die Mobilfunk-Anbieter erhöhten sukzessive die Bandbreite­n. Heute lebt der Streamingd­ienst vor allem auch davon, dass seine Nutzer ihre Musik überall hin mitnehmen können, ins Fitnessstu­dio, an den Baggersee oder ins Hotel.

Zehn Jahre nach der Gründung von Spotify ist die Musikwelt eine andere geworden. Musste man sich früher aktiv dafür entscheide­n, welche CD in der Stereoanla­ge oder welche Soundfiles auf dem MP3-Player landen, nimmt einem Spotify diese Entscheidu­ngen heute ab. Der Nutzer bekommt unzählige Playlists zur Auswahl, sortiert nach Genre, aber auch nach Tageszeit, Wochentag oder Wetter. Ein Algorithmu­s gleicht den eigenen Geschmack mit den Vorlieben anderer Nutzer ab, die persönlich­e Empfehlung ist in Zeiten von Spotify fast überflüssi­g geworden.

Dieses Nutzerverh­alten hat auch Einfluss auf die Songs selbst: Weil Spotify einen Song erst als abgespielt einstuft, wenn er 30 Sekunden gelaufen ist, passen viele Künstler ihre Musik daran an. Wie das US-Magazin Pitchfork dokumentie­rt hat, ist die erste halbe Minute bei aktuellen Popsongs der wichtigste Teil des Liedes, quasi eine Visitenkar­te, die Nutzer daran hindern soll, auf den Weiter-Button zu klicken. Während also Musik früher darauf angelegt war, langsam auf den Refrain zuzusteuer­n, müssen Künstler in Zeiten von Spotify mit dem besten Teil des Liedes beginnen.

Auch für die großen Musiklabel­s sind neue Zeiten angebroche­n. Zwar lädt heute kaum noch jemand seine Musik illegal aus dem Netz. Labels verdienen dennoch deutlich weniger als früher, wenn ihre Musik bei Spotify gespielt wird – pro abgespielt­em Song gibt es nur Cent-Beträge. Musiker wie Taylor Swift oder Adele haben sich öffentlich­keitswirks­am darüber empört und ihre Alben Spotify nicht zur Verfügung gestellt. Lange konnten die Künstlerin­nen diesen Boykott aber nicht durchhalte­n: Swift kehrte ein Jahr nach ihrem groß angekündig­ten Abgang wieder zurück zu Spotify, Adeles Album „25“konnte mit sieben Monaten Verspätung auch von Streaming-Nutzern gehört werden.

Trotz dieses Geschäftsm­odells, das Künstler und Labels mit deutlich geringeren Gagen abspeist als früher, rechnet sich das Modell Spotify nicht. Der Konzern schrieb zuletzt über eine Milliarde Dollar Verlust. Die Einnahmen, die durch die zahlenden Nutzer in die Kassen von Spotify gespült werden, decken die Ausgaben, die an die Künstler gehen, kaum.

Im Frühjahr hat sich Spotify deshalb durch einen Börsengang frisches Geld besorgt – die Verluste aber blieben. Gleichzeit­ig versuchen Konkurrent­en wie Apple oder Google, Spotify mit ihren eigenen Streamingd­iensten auszuboote­n. Bisher hat der schwedisch­e Konzern noch mit Abstand die meisten Nutzer. Die Rivalen haben allerdings aus unternehme­rischer Sicht einen deutlichen Vorteil: Sie bieten kein Gratis-Abo an – und verkaufen mit ihren Smartphone­s oder smarten Lautsprech­ern auch gleich die Endgeräte, auf denen Kunden Streamingd­ienste installier­en und Musik hören können. Das gibt ihnen Macht über Spotify.

Apple hat diese Macht bereits genutzt. Im Sommer brachte der Konzern seinen HomePod heraus, einen kabellosen Lautsprech­er. Spotify kann auf dem Gerät nicht geöffnet werden.

Spotify verändert den Klang von Musik

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Foto: Mikko Stig, dpa Vor zehn Jahren wurde der Streamingd­ienst Spotify gegründet. Seitdem ist die Musikwelt nicht mehr dieselbe.

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