Kabbeleien vor Traum-Kulisse
Seit 25 Jahren zeigt das ZDF Verfilmungen von Rosamunde-Pilcher-Werken. Was für die einen Kitsch ist, begeistert Millionen andere. Der Grund für den Erfolg ist wohl recht simpel
Mainz Dass es dieses Jubiläum einmal geben könnte, damit haben vor 25 Jahren die wenigsten gerechnet. Damals, am 30. Oktober 1993, lief die deutsche Erstausstrahlung einer Rosamunde Pilcher-Verfilmung im
ZDF. Mit „Stürmische Begegnung“fing es an, mit „Wo dein Herz wohnt“geht es am Sonntag um 20.15 Uhr weiter – und ein Ende ist nicht Sicht.
Während für die einen die Pilcher-Filme reiner Kitsch sind, erfreuen sich die anderen an den Herz-und-Schmerz-Geschichten. Im ZDF erreichen sie regelmäßig ein Millionenpublikum. Aber warum? „Ich glaube, je größer die Unsicherheiten in der Welt werden und politische Geister, die wir längst verjagt zu haben glauben, existieren, besteht der Wunsch nach einem Gegenpol“, sagt Michael Smeaton. Der Sohn eines Schotten und einer Berlinerin produziert mit seiner Partnerin Heidi Ulmke seit Beginn die Pilcher-Filme.
Deren Vorlagengeberin, die britische Schriftstellerin Rosamunde Pilcher, ist seit dem 22. September 94 Jahre alt. Smeaton besuchte sie erst kürzlich. Sie sei in guter Verfassung, habe ein phänomenales Gedächtnis, schreibe jedoch nicht mehr. Das mache aber nichts. Denn bevor Pilcher einst ihre ersten beiden großen Romane veröffentlichte, hat sie Smeaton zufolge, eine Unmenge an Kurzgeschichten für Frauenzeitschriften zu Papier gebracht. Diese habe sie akribisch in Kurzform in einem schwarzen Büchlein zusammengefasst, das jetzt sicher eingelagert in einem Safe liege. Stoff für noch viele weitere Verfilmungen.
„Wo dein Herz wohnt“– der Film zum 25-jährigen Pilcher-Jubiläum im deutschen Fernsehen – ist nach ZDF-Angaben der 142. Liebesfilm der Reihe und der erste von fünf neuen Pilcher-Filmen, die in den kommenden Monaten gezeigt werden. Ein bewährtes Kontrastprogramm zum ARD„Tatort“. Die romantische Story bietet alles, was man von einem Pilcher-Film erwartet: Eine hübsche junge Schottin erbt kurz vor ihrer Hochzeit ein Cottage und steht bald zwischen zwei Männern, außerdem muss sie das Geheimnis um den rätselhaften Tod ihrer Mutter aufklären. Das Ganze spielt getreu dem Pilcher-Dreiklang aus Herz, Schmerz und Postkartenidyll im pittoresk inszenierten Cornwall. Liebende kabbeln sich an sturmumtosten Steilklippen oder inmitten einer Schafherde; Männer tragen selbstverständlich Tweedsakkos.
All das gehört geradezu zwangsläufig zu einem Pilcher-Film. Was darin nichts zu suchen hat? Rauchen, Drogen, Schimpfwörter und Nacktszenen. In den bislang mehr als 12 000 Filmminuten soll nur zweimal kurz ein nackter Frauenbusen gezeigt worden sein.
Fans der Filme stören sich nicht an den abgegriffenen England-Klischees, Inszenierungen nach der Holzhammer-Methode oder gar am Begriff „Pilcherisierung“, der für Kritiker ein Synonym für die Verflachung und Verkitschung des TVProgramms ist. „Lesen soll wie Urlaub sein“, sagte Rosamunde Pilcher einmal, was für die Verfilmungen ihrer Werke gleichermaßen gilt. Es ist einer der Hauptgründe für ihren Erfolg in Deutschland: die Sehn- sucht nach heiler Welt und einer (britischen) Idylle.
Die bedient das ZDF gekonnt. Gedreht wird in Schottland und England. Dort, in der Grafschaft Cornwall, hat sich die Zahl deutinsgesamt scher Touristen seit Beginn der Ausstrahlungen vervielfacht. Für ihre Verdienste um den britischen Tourismus bekamen Pilcher und der zuständige ZDF-Redakteur 2002 eine Auszeichnung.