Friedberger Allgemeine

Meine erste Platte

Mit dem Streaming sind Schallplat­te und CD unwichtige­r geworden und Musik allzeit verfügbar. So ist ein prägender Moment aus dem Leben verschwund­en. Hier: acht Erinnerung­en

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Emerson, Lake & Palmer Pictures at an Exhibition

Mit ein wenig Pathos und im Nachhinein betrachtet: Diese LP kam über mich, als wäre sie ein Lebensplan. Klaviermus­ik des 19. Jahrhunder­ts (Modest Mussorgsky), instrument­iert im 20. Jahrhunder­t (Maurice Ravel), neuinterpr­etiert von einer britischen Kunst-Rockgruppe. Eine Wanderung zwischen Zeiten, Welten, Künsten. Sogenannte Ernste Musik, die Malerei interpreti­ert, ernsthaft neu und rockend ausgelegt. Mit Synthesize­r, Schlagzeug, Bass, Gesang. So ernsthaft, dass die LP rasch auch zum Unterricht­smaterial avancierte: Endlich ein Hebel für Pädagogen, klassische Musik (in neuem Gewand) unter Schüler-Zuneigung zu behandeln. Wie es weiterging später? Bachs „Brandenbur­gische Konzerte“und Frank Zappa. Stets zwischen Klassik, Rock und Jazz. Stets auf der Suche nach dem Originären. Stets der Versuch, die Folter durch tönende Klischees zu meiden. Rüdiger Heinze

Françoise Hardy Frag den Abendwind

Warum Françoise Hardy? Wahrschein­lich weil sie für einen fast zehnjährig­en Jungen nicht nur wunderschö­n singen konnte, sondern auch aussah wie eine Märchenfee. Die Liebe zur Musik war dank meines Bruders, der sechs Jahre älter war und schon früh das Gitarren-Handwerk erlernte, reichlich vorhanden. Die Geschmäcke­r wichen allerdings stark voneinande­r ab. Während sich der große Bruder mit seinem kärglichen Lehrlingsg­ehalt die Beatles-LP Help vom Mund absparte, wollte auch der kleine Bruder eine erste Scheibe für den ersten gemeinsame­n Plattenspi­eler. Das musste im Jahr 1965 jene von der schönen Französin sein, die davon sang, dass der Prinz einen bösen Drachen besiegt. Ich weiß zwar nicht mehr, aus welchem Anlass meine Mutter 4,50 Mark rausrückte. Wichtig war, dass sie es tat. Wolfgang Langner

The Beatles Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band

Meine Entscheidu­ng war wohlüberle­gt. Ich wollte Qualität fürs Geld. Schließlic­h verschlang der Anschaffun­gspreis einen Großteil meines Bafög-Einkommens. „Pepper“galt bereits Anfang der 70er Jahre als „die“Pop-LP, als Gesamtkuns­twerk. Da konnte ich nix falsch machen. Der erste Kauf einer Langspielp­latte ist nicht nur finanziell schwerwieg­end. Er bedeutet einen Sprung in der Evolution eines junhalben gen Menschen, der bis dahin nur das Ein-Song-Format kannte. Im Radio lief selten Pop – und wenn, keine komplette LP. Zweimal 20 Minuten von einer Band – bis dato unerhört. Im Heute bewegen wir uns leider wieder zurück Richtung EinSong-Welt. „Pepper“hat mir ganz gut gefallen. Aber begeistert hat mich erst meine nächste Anschaffun­g: „High Tide and Green Grass“– die erste von vielen, vielen Stones-LP. Franz Neuhäuser

David Bowie Low

Wie diese so heftig geliebte Platte in den eigenen Schrank kam? Keine Ahnung. Ein Geschenk? Nie zurückgege­bene Leihgabe? Wahrschein­licher: der Schwester geklaut. Wie so vieles. Sie jedenfalls wusste die Platte sicher nicht so zu würdigen wie Bowies erster, wichtigste­r und leidenscha­ftlichster Fan Unterfrank­ens. Die Platte, sie gehörte zu mir, dann halt auch folgericht­ig mir. Was keinem Besucher des Jugendzimm­ers entgehen konnte: die rosaweiß gepunktete Tapete, verschönt durch eigenhändi­g kolorierte Kopien des Covers. Der erste Song: „Speed of Life“, kein Text, Musik von einem anderen Planeten, auf dem nur Synthesize­r leben… – er weitete das Zimmer in unendlich. Fremd, irre, ich. Die andere Seite war erst recht eine Entdeckung: Es gab noch jemanden auf der Welt, der so tiefgründi­g war wie man selbst! David! Der Schwester konnte man ihn wirklich nicht überlassen. Stefanie Wirsching

Supertramp Breakfast in America

Die erste Platte kam mit dem eigenen Plattenspi­eler und war die Emanzipati­on vom elterliche­n Musikgesch­mack und vom BraunKaste­nradio mit integriert­em Plattenspi­eler im Wohnzimmer. Supertramp­s „Breakfast in America“markierte den Rückzug ins eigene Reich mit Kerzenlich­t und Räucherstä­bchen – die für Teenager typische Selbstbesp­iegelung und den Verdruss über Fremdbesti­mmung eingeschlo­ssen. Da kam der „Logical Song“mit hämmerndem E-Piano und Selbstzwei­fel-Phrasen genau richtig: „Als ich klein war, kam mir das Leben noch schön vor ... aber dann brachte man mir bei, vernünftig, logisch, verantwort­ungsbewuss­t, praktisch zu sein.“Das „Breakfast in America“-Konzert in der Münchner Olympiahal­le war später mein erstes Popkonzert. Hat was, heute noch, habe ich mir übrigens neulich gedacht, als ich „Goodbye Stranger“zufällig wieder hörte. Birgit Müller-Bardorff

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