Bühne frei für die große Timur-Vermes-Show
Der Erfolgs-Schriftsteller begeistert als Ein-Mann-Ensemble und der Literarische Salon streitet
Großes Theater in der Stadtbücherei Augsburg, obwohl nur ein Mann auf der Bühne sitzt. Timur Vermes, Autor des Weltbestsellers „Er ist wieder da“, liest beim AZ-Literaturabend aus seinem neuen Buch „Die Hungrigen und die Satten“. Die Szene: Ein TV-Privatsender sucht in einem riesigen Flüchtlingscamp einen Begleiter für die Moderatorin einer TV-Show, ein Casting im Elend. Vermes raunzt, zetert, lästert, Vermes flüstert, flötet, säuselt. Der Autor als Ein-Mann-Ensemble, und das Publikum lacht – und kann sich gleichzeitig gruseln: über den Zynismus der Fernsehleute und die Mechanismen der Medienbranche. Mit seinem neuen Roman über die Flüchtlingskrise macht Timur Vermes Ernst: Was passiert, wenn die Grenzen in Europa tatsächlich dicht sind?
Seine Antwort liefert er im Gespräch mit Redakteur Wolfgang Schütz. „Die Flüchtlinge sammeln sich in gigantischen Lagern südlich der Sahara.“Ihren Traum von Europa haben sie immer noch im Kopf, nur der Weg dorthin ist jetzt viel schwieriger und teurer geworden. Dafür haben sie viel Zeit, darüber nachzudenken, wie sie es doch nach Deutschland schaffen können. In Vermes’ neuem Buch versuchen sie es mit einem gewaltigen Flüchtlingstreck: 150000 Menschen machen sich zu Fuß von Afrika auf den Weg, das Fernsehen ist live dabei, und es schließen sich immer mehr an. Die große Frage ist: Wie gehen Politik und Gesellschaft in Deutschland mit dieser Herausforderung um?
Auf der Bühne ist ein lockerer, gut gelaunter und schlagfertiger Autor zu erleben, der erzählt, dass er sein Berufsleben als Journalist begonnen hat. Scherzhaft sagt er, dass die Arbeitszeiten immer noch ähnlich sind. Geschrieben wird zwischen 16 und 19 Uhr, als damals beim Kölner Express der Redaktionsschluss unaufhörlich näherrückte und noch vier Artikel zu schreiben waren. Im Gespräch erfährt man auch, wie es zu Vermes’ Welterfolg „Er ist wieder da“kam. „Ich hatte sonst keinen Job, also schrieb ich halt dieses Buch.“Einzige Bedingung: Es sollte lustig sein und ihm selbst beim Schreiben Spaß machen. Dass es inzwischen zwei Millionen Deutsche gekauft haben, nimmt er bis heute erstaunt zur Kenntnis. Zu den Vorzügen seines Welterfolgs gehören für ihn nun, sich die eigene Arbeit aussuchen zu können.
Pause. Zeit für das Publikum, sich ein Buch von Vermes signieren zu lassen oder im vorab verteilten, großen Wochenend-Journal zur Frankfurter Buchmesse zu schmökern. Dann geht es schon weiter, erst mit den Empfehlungen der Jugendliteratur-Expertin Birgit Müller-Bardorff, dann mit dem Literarischen Salon. Drei Neuerscheinungen des Herbsts stehen im Mittelpunkt, vorgestellt von je einem „Paten“. Wenig Gnade findet Maxim Billers „Sechs Koffer“: „Unterhaltung ist kein Verbrechen. Biller schafft es nicht“, urteilt Marius Müller, Leiter der Stadtteilbücherei Göggingen. Ähnlich unerbittlich auch Buchhändler Kurt Idrizovic: „Biller legt Fährten aus, die er nicht verfolgt. Ich fühle mich da nicht mitgenommen.“Moderator Michael Schreiner und Stefanie Wirsching von der Journal-Redaktion geben den Gegenpart, wenn auch verhalten: „Biller schreibt wahnsinnig zarte, verspielte Prosa und er zeigt, wie weit totalitäre Regime in Familien hineingereicht haben“, so Wirsching.
Zweites Buch, andere Rollen: Stefanie Wirsching empfiehlt dringend „Asymmetrie“der US-Autorin und ehemaligen Geliebten von Philipp Roth, Lisa Halliday: „Es ist ein Schlüssellochroman und jeder ist Voyeur auf gewisse Weise. Ein wahnsinnig komisches, irrsinnig gutes Buch.“Einziger Einwand der Herren in der Runde: „Aber ist das denn überhaupt ein Roman?“
Ganz andere Fragen stellen sich beim letzten Buch des Literarischen Salons. „Das Verschwinden des Josef Mengele“von dem französischen Autor Olivier Guez. Wie konnte der Nazi-Verbrecher sich so lange in Argentinien verstecken? Und will man als Leser Sexszenen von Mengele serviert bekommen? „Nein!“, sagt Stefanie Wirsching. „Ein Meisterwerk“, sagt Kurt Idrizovic. Auch das ist das Schöne an der Literatur: Der Leser muss das selbst für sich entscheiden.