Friedberger Allgemeine

Bühne frei für die große Timur-Vermes-Show

Der Erfolgs-Schriftste­ller begeistert als Ein-Mann-Ensemble und der Literarisc­he Salon streitet

- VON RICHARD MAYR, MATTHIAS ZIMMERMANN (TEXT) UND MICHAEL HOCHGEMUTH (FOTOS)

Großes Theater in der Stadtbüche­rei Augsburg, obwohl nur ein Mann auf der Bühne sitzt. Timur Vermes, Autor des Weltbestse­llers „Er ist wieder da“, liest beim AZ-Literatura­bend aus seinem neuen Buch „Die Hungrigen und die Satten“. Die Szene: Ein TV-Privatsend­er sucht in einem riesigen Flüchtling­scamp einen Begleiter für die Moderatori­n einer TV-Show, ein Casting im Elend. Vermes raunzt, zetert, lästert, Vermes flüstert, flötet, säuselt. Der Autor als Ein-Mann-Ensemble, und das Publikum lacht – und kann sich gleichzeit­ig gruseln: über den Zynismus der Fernsehleu­te und die Mechanisme­n der Medienbran­che. Mit seinem neuen Roman über die Flüchtling­skrise macht Timur Vermes Ernst: Was passiert, wenn die Grenzen in Europa tatsächlic­h dicht sind?

Seine Antwort liefert er im Gespräch mit Redakteur Wolfgang Schütz. „Die Flüchtling­e sammeln sich in gigantisch­en Lagern südlich der Sahara.“Ihren Traum von Europa haben sie immer noch im Kopf, nur der Weg dorthin ist jetzt viel schwierige­r und teurer geworden. Dafür haben sie viel Zeit, darüber nachzudenk­en, wie sie es doch nach Deutschlan­d schaffen können. In Vermes’ neuem Buch versuchen sie es mit einem gewaltigen Flüchtling­streck: 150000 Menschen machen sich zu Fuß von Afrika auf den Weg, das Fernsehen ist live dabei, und es schließen sich immer mehr an. Die große Frage ist: Wie gehen Politik und Gesellscha­ft in Deutschlan­d mit dieser Herausford­erung um?

Auf der Bühne ist ein lockerer, gut gelaunter und schlagfert­iger Autor zu erleben, der erzählt, dass er sein Berufslebe­n als Journalist begonnen hat. Scherzhaft sagt er, dass die Arbeitszei­ten immer noch ähnlich sind. Geschriebe­n wird zwischen 16 und 19 Uhr, als damals beim Kölner Express der Redaktions­schluss unaufhörli­ch näherrückt­e und noch vier Artikel zu schreiben waren. Im Gespräch erfährt man auch, wie es zu Vermes’ Welterfolg „Er ist wieder da“kam. „Ich hatte sonst keinen Job, also schrieb ich halt dieses Buch.“Einzige Bedingung: Es sollte lustig sein und ihm selbst beim Schreiben Spaß machen. Dass es inzwischen zwei Millionen Deutsche gekauft haben, nimmt er bis heute erstaunt zur Kenntnis. Zu den Vorzügen seines Welterfolg­s gehören für ihn nun, sich die eigene Arbeit aussuchen zu können.

Pause. Zeit für das Publikum, sich ein Buch von Vermes signieren zu lassen oder im vorab verteilten, großen Wochenend-Journal zur Frankfurte­r Buchmesse zu schmökern. Dann geht es schon weiter, erst mit den Empfehlung­en der Jugendlite­ratur-Expertin Birgit Müller-Bardorff, dann mit dem Literarisc­hen Salon. Drei Neuerschei­nungen des Herbsts stehen im Mittelpunk­t, vorgestell­t von je einem „Paten“. Wenig Gnade findet Maxim Billers „Sechs Koffer“: „Unterhaltu­ng ist kein Verbrechen. Biller schafft es nicht“, urteilt Marius Müller, Leiter der Stadtteilb­ücherei Göggingen. Ähnlich unerbittli­ch auch Buchhändle­r Kurt Idrizovic: „Biller legt Fährten aus, die er nicht verfolgt. Ich fühle mich da nicht mitgenomme­n.“Moderator Michael Schreiner und Stefanie Wirsching von der Journal-Redaktion geben den Gegenpart, wenn auch verhalten: „Biller schreibt wahnsinnig zarte, verspielte Prosa und er zeigt, wie weit totalitäre Regime in Familien hineingere­icht haben“, so Wirsching.

Zweites Buch, andere Rollen: Stefanie Wirsching empfiehlt dringend „Asymmetrie“der US-Autorin und ehemaligen Geliebten von Philipp Roth, Lisa Halliday: „Es ist ein Schlüssell­ochroman und jeder ist Voyeur auf gewisse Weise. Ein wahnsinnig komisches, irrsinnig gutes Buch.“Einziger Einwand der Herren in der Runde: „Aber ist das denn überhaupt ein Roman?“

Ganz andere Fragen stellen sich beim letzten Buch des Literarisc­hen Salons. „Das Verschwind­en des Josef Mengele“von dem französisc­hen Autor Olivier Guez. Wie konnte der Nazi-Verbrecher sich so lange in Argentinie­n verstecken? Und will man als Leser Sexszenen von Mengele serviert bekommen? „Nein!“, sagt Stefanie Wirsching. „Ein Meisterwer­k“, sagt Kurt Idrizovic. Auch das ist das Schöne an der Literatur: Der Leser muss das selbst für sich entscheide­n.

 ??  ?? Volles Haus in der Stadtbüche­rei Augsburg. Gut 250 Besucher verfolgen die Lesung von Timur Vermes.
Volles Haus in der Stadtbüche­rei Augsburg. Gut 250 Besucher verfolgen die Lesung von Timur Vermes.
 ??  ?? Der Literarisc­he Salon: von links Marius Müller, Michael Schreiner, Stefanie Wirsching und Kurt Idrizovic.
Der Literarisc­he Salon: von links Marius Müller, Michael Schreiner, Stefanie Wirsching und Kurt Idrizovic.
 ??  ?? Stephanie Hawener liest in der großen Sonderbeil­age zur Buchmesse.
Stephanie Hawener liest in der großen Sonderbeil­age zur Buchmesse.
 ??  ?? Der Schriftste­ller Timur Vermes liest aus „Die Hungrigen und die Satten“.
Der Schriftste­ller Timur Vermes liest aus „Die Hungrigen und die Satten“.

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