Friedberger Allgemeine

Köhlmeier scheitert an der Liebe

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Hm. Jetzt steht da „scheitert“in der Überschrif­t. Aber ein so begnadeter Erzähler wie dieser Michael Köhlmeier, der in der Kürze (zuletzt „Zwei Herren am Strand“und „Das Mädchen mit dem Fingerhut“) wie in der Länge („Abendland“und „Die Abenteuer des Joel Spazierer“) brilliert, der auch alte Märchen und Episoden aus der Bibel so wunderbar in eigene Worte zu kleiden vermag: Kann der wirklich scheitern?

In „Bruder und Schwester Lenobel“geht der 68-jährige Österreich­er die Mittelstre­cke und folgt einem Geschwiste­rpaar in deren Liebesverw­icklungen samt Identitäts­krisen. Zu Beginn dem soliden Bruder und in Wien lebenden Psychoanal­ytiker, der plötzlich aus seiner Ehe verschwind­et; später der vagabundie­renden Schwester, die gerade als Kulturmana­gerin in Irland lebt und mindestens zwei unverbindl­iche Beziehunge­n pflegt. Zwei Spezialeff­ekte kommen hinzu: Mit Sebastian Lukasser als Vertrautem beider Lenobels rückt Köhlmeier eine Hauptfigur aus „Abendland“wieder in den Fokus; und jedem Kapitel ist ein düsteres Märchen vorangeste­llt. Wie zu erwarten steht viel Kluges in diesem Buch. Bei Verwicklun­gen um die jüdische Herkunft der Geschwiste­r trifft Köhlmeier den richtigen Ton. Sprache, Charaktere und Einzelszen­en stimmen. Bloß gibt es nichts, was all die versammelt­en Dramen als mehr erscheinen ließe als bloße Theatralik. Also warum sollte man dem folgen? Es ist also ein gut erzähltes, aber kein gutes Buch.

Wolfgang Schütz

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