Was Sloterdijk Tag für Tag so denkt
Am 7. Mai 2013 im südfranzösischen Grignan schreibt Peter Sloterdijk in sein „Heft 119“: „Ein Tag wie dieser eignet sich nicht für stärkere Behauptungen.“Wie oft könnte unsereins das wohl in sein Tagebuch schreiben? Aber halt, nein, der deutsche Philosophie-Star schreibt ja auch: „Ich führe kein Tagebuch, ich mache Notizen, täglich oder nicht. Ich mißtraue Autoren von Tagebüchern, sobald sie ihre inneren und äußeren Zustände in ganzen Sätzen darstellen, als ob ihnen nie der Zweifel an der Abbildungstauglichkeit von Sätzen begegnet wäre. Ich habe noch nie etwas erlebt, was wirklich einem ganzen Satz
entsprach …“Gut, Notizen also. Nach dem Erfolg mit den ersten Veröffentlichungen aus seinen Heften als „Zeilen und Tage (2008– 2011)“im Jahr 2012 geht es nun weiter, direkt anschließend bis ins Jahr 2013. Diesmal wusste er während der Notizen also, dass sie wohl veröffentlicht werden. Ob es einen Unterschied macht? Noch ein Schub mehr ins Originelle? Sloterdijk schreibt: „An der Rampe denkt man
ohnehin immer am ehrlichsten.“Sehr oft ist er dabei unterwegs, mal Saadiyat Island in Abu Dhabi, mal Menzenschwand im Schwarzwald, mal Kalifornien, mal Aix-en-Provence, sonst halt Karlsruhe oder München, Wien oder Berlin. Breiviks Amoklauf und die durchwachsenen Kritiken der Oper „Babylon“, die auf seinem Libretto basiert, beschäftigen Sloterdijk. Er berichtet von Rennradfahrten (Alpe d’Huez!), vom Fortschritt am Buch „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“. Er wird viel Kulturpessimismus und Politikverdruss los: „Die neue Gesellschaft: Asoziale oben, Asoziale unten, Verwirrte in der ausgedünnten Mitte.“Er wird 65: „Leben ab sechzig? Das klingt so, wie wenn jemand sagt, er habe noch Resturlaub.“
Vor allem lesenswert aber ist, wozu er eben doch nahezu täglich in der Lage ist: starke Behauptungen. „Wo die Depression zum kollektiven Schicksal wird, bietet sich die Manie als Korrektiv an. Das Geheimnis der Massenkultur besteht darin, dass sie Manien auf den Markt wirft, die jeder sich leisten kann. Daher die okkulte Koalition der Amerikosphäre mit der Muslimosphäre. Beide offerieren ihren Anhängern die Möglichkeit, Größenphantasien von der Stange zu kaufen.“Ach ja, und amüsant ist natürlich, wenn er mal wieder eindrischt auf Habermas oder Feministinnen oder Linke… – oder Religion: Religiöse Überlieferung. Sie lebt davon, daß die Kühlkette der Illusionen nie unterbrochen wird. Ist das Produkt einmal aufgetaut, zersetzt sich sein Inhalt …“Zuverlässig eine Schau, dieser Philosoph.