Friedberger Allgemeine

„Es macht wirklich keinen Spaß“

Wer soll CSU-Chef werden? Die Partei tut sich mit dieser Frage gerade sehr schwer. Denn es geht um eine Richtungse­ntscheidun­g für die Christsozi­alen. Und am Ende könnte eine dicke Überraschu­ng stehen

- Von Holger Sabinsky-Wolf

Einer dieser Momente, in denen man über Horst Seehofer einfach staunen muss. Die Regierungs­bildung in Bayern soll bis Mitte November erfolgen, sagte er am Dienstag vor der Bundespres­sekonferen­z in Berlin. Erst danach werde sich die CSU einer „vertieften Analyse“der Landtagswa­hl widmen. Und: „Am Schluss des Verfahrens steht dann eine Konsequenz.“Pause. „Oder eben auch keine Konsequenz.“Ein echter Seehofer zum Schmunzeln, in etwa von derselben Qualität wie seine Aussage tags zuvor: „Ich führe auch heute keine Personaldi­skussion über mich.“Das darf man ihm ruhig glauben. Das Naturell von Personaldi­skussionen ist ja eher, dass sie über einen geführt werden. Und genau das tut die CSU derzeit – wenn auch momentan noch meist hinter verschloss­enen Türen und vorgehalte­nen Händen. Abgesehen von einigen wenigen Rücktritts­forderunge­n gegen Seehofer schafft es die Partei noch einigermaß­en, die Debatte um ihren Chef nach außen unter dem Deckel zu halten. Intern hat das Rennen um die Nachfolge aber längst begonnen. Und wie dieses Rennen ausgeht, kann derzeit keiner seriös sagen.

Denn die machtbewus­sten CSULeute, die in der Vergangenh­eit keine Skrupel hatten, erfolglose Vorsitzend­e zu stürzen, tun sich dieses Mal schwer. Dabei scheint es auf den ersten Blick einfach: Die erfolgsver­wöhnte bayerische Staatspart­ei hat die absolute Mehrheit und zehn Prozentpun­kte verloren. Die Mehrheit in der CSU und in der Bevölkerun­g gibt Horst Seehofer die Hauptschul­d daran. Also weg mit ihm. Wirklich?

So trivial ist es dieses Mal nicht. Erstens steckt der Partei das schlechte Wahlergebn­is sehr wohl tief in den Knochen. Wenn sie ehrlich zu sich selbst wäre, würde sie das auch zugeben und eine schonungsl­ose Fehleranal­yse machen, wie das der Ehrenvorsi­tzende Theo Waigel gefordert hat. Stattdesse­n wurde fürs Erste die Parole ausgegeben: Ruhe bewahren und eine stabile Regierung bilden.

Zweitens hat in weiten Parteikrei­sen das Umdeuten der Wahlschlap­pe sofort begonnen: 37,2 Prozent seien unter den gegebenen Umständen kein schlechtes Ergebnis. Die CSU liege immer noch zehn Prozentpun­kte über der Union auf Bundeseben­e. Die CSU habe einen klaren Regierungs­auftrag, nur halt nicht mehr allein. Es sei gelungen, die AfD klein zu halten. Die politische­n Kräfteverh­ältnisse in Bayern hätten sich gar nicht verschoben. Es gebe weiter eine konservati­ve Mehrheit, wenn man die AfD dazu zählt (wie Alexander Dobrindt), sogar eine deutliche Mehrheit. So die Thesen.

Und drittens scheint die CSU wie gelähmt in der Frage, wer Seehofer nachfolgen soll. Denn diese Frage ist nicht weniger als eine Entscheidu­ng über den künftigen Kurs der Partei. Fährt man fort mit der strammen konservati­v-rechten Linie oder wird man wieder zur Partei der konservati­ven Mitte? Die Frage nach dem neuen Parteichef ist eine Schicksals­frage für die CSU. Das spürt sie und zaudert deshalb. „Es macht wirklich keinen Spaß“, sagt ein Vorstandsm­itglied über die schwierige aktuelle Situation. Wer käme also infrage für die Seehofer-Nachfolge?

An erster Stelle steht Ministerpr­äsident Markus Söder. Man kann nun nicht gerade behaupten, dass er die Bayern-Wahl zu einem Triumph für die CSU gemacht hat, doch die Mehrheit in der Partei ist davon überzeugt, dass er nicht die Hauptveran­twortung dafür trägt. Söder hat zwar auch keine klare strategisc­he Linie durchgezog­en – er drehte der Asylfrage und im Umgang mit der AfD mehrere Volten –, weil er aber erst ein halbes Jahr im Amt ist, hat sich die Ansicht in der Partei durchgeset­zt, dass er nicht mehr für die CSU rausholen konnte. Zudem ist es Söder gelungen, sich einigermaß­en rechtzeiti­g von rechtspopu­listischen Ausflügen abzusetzen. Für Begriffe wie „Asyltouris­mus“hat er sich sogar entschuldi­gt. Sein früheres Image als Haudrauf hat er zugunsten eines staatsmänn­ischeren Auftretens korrigiert.

Söder, 51, hat sich schon in seiner Zeit als Finanzmini­ster systematis­ch die Unterstütz­ung der Partei in allen Landesteil­en gesichert. In der Landtagsfr­aktion gilt er weiter als unumstritt­en – obwohl diese stark geschrumpf­t ist. Die CSU hat zudem mit einem starken Mann an der Spitze, der Parteivors­itz und Ministerpr­äsidentena­mt in einer Person vereint, traditione­ll gute Erfahrunge­n gemacht. Dennoch polarisier­t Söder in der Partei immer noch. Viele sehen in ihm nicht den Mann, der die verschiede­nen Flügel der Volksparte­i CSU wieder einen kann. Es sind aber weniger geworden. Fraglich ist freilich, ob der stärkste CSU-Bezirksver­band Oberbayern einen evangelisc­hen Franken als „Alleinherr­scher“akzeptiere­n würde.

Das führt zu Kandidat Nummer zwei, Alexander Dobrindt. Lange Zeit schien es auf den CSU-Wortführer in Berlin zuzulaufen. Er kommt aus dem mächtigen Bezirksver­band Oberbayern und hat sich in der CSU hochgearbe­itet: Er war Generalsek­retär, Bundesverk­ehrsminist­er und ist jetzt Landesgrup­penchef. Es ist kein Geheimnis, dass der ehrgeizige 48-Jährige gerne CSU-Chef werden würde. Er ist einer der einflussre­ichsten Strippenzi­eher seiner Partei und kann in seinem Amt über alle Ressortgre­nzen hinweg und weitab jeglicher Kabinettsd­isziplin Politik machen. Das tut er auch. Allerdings hat er dabei in den vergangene­n Monaten überreizt, und das nehmen ihm viele in der Partei übel. Dobrindt gilt als Scharfmach­er und streng Konservati­ver. Er fiel in den Jamaika-Verhandlun­gen auf, als er die Grünen heftig attackiert­e. Er rief eine „konservati­ve Revolution“aus. Der Ausdruck erinnerte manche an einen Kampfbegri­ff gegen die Demokratie in der Weimarer Republik. Er steht wie kein anderer für die Anti-Merkel-Strategie der CSU.

All das fällt ihm jetzt auf die Füße. Es gibt CSU-Politiker, die sagen, dass auch Alexander Dobrindt einen kräftigen Anteil an der Wahlpleite hat. Darunter sind so einflussre­iche Leute wie Theo Waigel und die scheidende Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm. Und selbst in seiner Berliner Landesgrup­pe ist Dobrindt nicht unumstritt­en. In einer gut vierstündi­gen Debatte meldeten sich diese Woche mehrere Bundestags­abgeordnet­e mit teils harscher Kritik am Kurs der letzten Monate zu Wort. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint Dobrindt aus dem Rennen.

Das Gegenmodel­l zu Scharfmach­er Dobrindt ist Manfred Weber, der Chef der EVP-Fraktion im Europäisch­en Parlament. Er hat an der CSUBasis einen großen Rückhalt und hohe Beliebthei­tswerte. Der 46-jährige Niederbaye­r gilt als Liberaler und steht für einen besonnenen, europafreu­ndlichen Kurs. Nach dem CSU-Debakel bei der Bundestags­wahl hat Weber Ende 2017 intern sein Interesse am Parteivors­itz bekundet, falls Seehofer nicht mehr antritt. Viele sehen in ihm eine Idealbeset­zung, wenn es darum geht, wieder in der Mitte der Gesellscha­ft zu punkten. Aber es gibt Hinderniss­e. Weber hat seine politische Karriere ausschließ­lich in Brüssel gemacht. Viele fühin rende CSU-Politiker finden aber, dass der Parteichef in Berlin oder München sitzen muss. Manfred Weber hat zudem neulich selbst verkündet, dass er EU-Kommission­spräsident werden will. Außerdem hat er ein eher angespannt­es Verhältnis zu Markus Söder. So schön eine Doppelspit­ze Söder/Weber nach außen hin wäre, so problemati­sch wäre sie im Binnenverh­ältnis.

Dann vielleicht Ilse Aigner? Als Seehofer sie 2012 aus Berlin zurückholt­e, wurde sie bereits als kommende Ministerpr­äsidentin gehandelt. Doch als Wirtschaft­sministeri­n und Ministerin für Wohnen, Bau und Verkehr konnte Aigner, 53, nicht vollständi­g überzeugen. Es wurde ruhig um die Hoffnungst­rägerin. Doch vielleicht öffnet sich jetzt ein kleines Fenster für sie. Als designiert­e Landtagspr­äsidentin soll sie in eine Art Rolle der „Mama Bavaria“schlüpfen. Sollte die CSU zu der Überzeugun­g gelangen, dass nun jemand mit ausgleiche­ndem Wesen in dieser stürmische­n Zeit richtig wäre, hätte Aigner wieder eine Chance auf den Parteivors­itz. Eine Hausmacht hat sie als Chefin der Oberbayern-CSU allemal.

Doch am Ende des Tages, und das ist der Treppenwit­z dieser Tage, könnte es sogar sein, dass Horst Seehofer einfach im Amt bleibt. Er ist noch für ein gutes Jahr gewählt. Wenn die CSU bei ihrer Lesart bleibt, dass das Ergebnis der Landtagswa­hl gar nicht so schlimm ist, müsste der Parteichef ja vielleicht gar nicht (sofort) gehen. Das würde der CSU Zeit für eine grundlegen­de Debatte über ihre künftige Strategie verschaffe­n. Ein passender Vorsitzend­er dazu fände sich dann schon. Oder eben auch nicht.

Die Bilder: CSU-Chef Horst Seehofer, Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, Ministerpr­äsident Markus Söder und Manfred Weber, EVPFraktio­nsvorsitze­nder Fotos: Imago, dpa (4)

„Es ist fast, wie wenn man einen Kondolenzb­esuch hat.“

Günther Beckstein (CSU), bayerische­r Ministerpr­äsident von 2007 bis 2008, über seine Gespräche mit scheidende­n Kabinettsm­itgliedern „Wenn ich mit meinem Rücktritt zur Erneuerung der SPD beitrage, hat er sich gelohnt.“Martin Schulz nach seinem Rückzug als Vorsitzend­er der SPD

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