Wahrheit, nichts als Wahrheit
Harald Lesch rettet die Wissenschaft aus der Vertrauenskrise
Eine hochpräzise Augenvermessung mit dem Laserstrahl, eine superschnelle Datenleitung – wenn Wissenschaft unser Leben erleichtert, wollen wir gern an ihre Nützlichkeit glauben. Aber wenn Forscher einen radikalen Wandel unseres Lebensstils fordern, um die Erderwärmung zu bremsen, dann geraten sie rasch in den Verdacht, ideologiegeleitet zu sein. Kommt die Forschung aus ihrer Vertrauenskrise wieder heraus? Danach fragte der Münchner Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist Prof. Harald Lesch am Montagabend zum Auftakt der Vortragsreihe „Wissenschaft und Wahrheit“im knallvollen Uni-Hörsaal II.
Solange Ursache und Wirkung in einem direkten Zusammenhang zu stehen scheinen und experimentell überprüft werden kann, ob die Annahme des Forschers richtig oder falsch ist, werden wissenschaftliche Ergebnisse in der Öffentlichkeit akzeptiert. Auch wenn der Beweis für eine Theorie erst Jahrzehnte später erbracht wird, noch dazu von fachfremden Personen, wie Harald Lesch verschmitzt erzählte. So haben zwei Radiotechniker 1964 das kosmische Hintergrundrauschen – die bleibende Erinnerung an den Urknall – mit enormer Präzision nachgewiesen, einfach weil sie sich über Störgeräusche beim Radioempfang ärgerten, und sogar noch den Taubendreck auf der Antenne untersuchten.
Aber so einfach wie in der „Idealwissenschaft Physik“ist es nicht überall, empirisch die Wahrheit herauszufinden. Sobald die Systeme komplexer werden und auf sich selbst einwirken oder etwas mit dem menschlichen Selbst zu tun haben, kann man sich der Wahrheit allenfalls immer weiter annähern. Ins Spiel kommt dann das Risiko. „Wissenschaft
Algorithmen können keine neuen Probleme erkennen
sollte die dunkelsten Ecken unserer Handlungsfähigkeit ausleuchten“, forderte Lesch.
Wollen das alle wissen? „Hier liegt die Forschung im Clinch mit denen, die Geld mit ihren Ergebnissen verdienen“, sagte Lesch. Kritische Einrede stößt dann auf Misstrauen. Wissenschaft erschüttert den zukunftsfrohen Glauben an die Algorithmen, die uns mit ihren Rechner-Modellierungen schon sicher durch alle Gefahren lotsen werden. Harald Lesch urteilte nüchtern: „Algorithmen haben keine Möglichkeit, neue Probleme zu erkennen. Sie können nicht aus ihrem System heraus.“Mögen sie uns auch mit ihrem hohen Grad an Stimmigkeit verblüffen.
Grundlagenforschung, die sich in unbekanntes Terrain wagt, verlangt Freiheit. Ihre Grenzen haben Politik und Recht zu setzen („sie selbst tut es nicht“). Und sie muss umgeben werden von Moral und Ethik, warb Lesch für eine idealistische Sicht auf Wissenschaft. Schwer durchzuhalten sei sie allerdings bei immer stärkerer Beschleunigung, die den Forschern allenfalls Zeitverträge gönnt. „Langzeitstudien sind aber nicht in sechs Monaten zu erstellen“, wandte Lesch ein. „Unsere Handlungsoptionen als Wissenschaftler werden mehr und mehr sabotiert.“
Ist schon alles verloren? Harald Lesch machte seiner überwiegend jungen Zuhörerschaft Mut, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen und in einer skeptischen Öffentlichkeit darüber zu reden, welche Liebe zur Wahrheit sie antreibt. „Sie sind die Einzigen, die das tun können!“