Friedberger Allgemeine

Wer hier wohnt, ist nicht alleine

Vor drei Jahren eröffnete im Textilvier­tel das Ellinor-Holland-Haus. Es gibt Notleidend­en Halt und hilft ihnen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Die Betreuerin­nen der Einrichtun­g verraten ihr Erfolgsgeh­eimnis

-

Die ersten drei Jahre des Ellinor-Holland-Hauses sind fast vorüber. Sind bereits Bewohner ausgezogen?

Iris Bürgel: Ja, fünf Familien sind vor dem Ablauf der von uns festgelegt­en Wohndauer von drei Jahren ausgezogen. Und sie sind gut ausgezogen: Sie haben wieder Tritt gefasst im Leben.

Wie realistisc­h ist das Konzept Ihres Hauses, Menschen in Not binnen dreier Jahre wieder in ein eigenständ­iges Leben zu bringen?

Susanne Weinreich: Am Anfang dachten wir, drei Jahre sind eine sehr lange Zeit. Tatsächlic­h ist das aber eine relativ kurze Spanne, wenn man beruflich, finanziell oder persönlich wieder Fuß fassen muss im Leben. Dies gilt vor allem dann, wenn Bewohner nicht aktiv dazu beitragen, ihre Ziele zu erreichen. Auch das gab es in diesen drei Jahren.

Aber andere ziehen aus und haben es geschafft?

Weinrich: Die Entwicklun­g zu einem eigenständ­igen Leben ist nach drei Jahren in den meisten Fällen nicht abgeschlos­sen. Aber wir haben in dieser Zeit die Voraussetz­ungen dafür geschaffen. Unsere Bewohner profitiere­n unter anderem vom Netzwerk, das wir ihnen erschließe­n: Sie wissen, mit welchen Problemen sie sich an welche Einrichtun­g wenden können, wenn sie selbst keinen Ausweg wissen.

Welche Menschen sind am interessie­rtesten daran, schnell wieder auf eigenen Beinen zu stehen?

Weinreich: Junge Mütter sind in aller Regel hoch motiviert, ihre Situation zu verändern. Was wir aber in diesen Jahren festgestel­lt haben, ist: Je länger eine Notlage sich schon verfestige­n konnte, desto geringer ist die Eigeniniti­ative, sich daraus zu befreien.

Mit welchen Problemen kommen die Menschen denn zu Ihnen und welche Ziele setzen Sie ihnen?

Weinreich: Wir motivieren unsere Bewohner, sich eigene Ziele zu setzen – und das möglichst schon vor dem Einzug. Wir helfen ihnen dann dabei, sie umzusetzen. Oft geht es anfangs erst einmal darum, die Unterlagen zu ordnen. Weitere Themen sind beispielsw­eise der Abbau von Schulden, die Suche nach einer Arbeits- oder Ausbildung­sstelle oder – bei Bewohnern mit Migrations­hintergrun­d – das Erlernen der deutschen Sprache. Und wenn die Bewohner ihre Ziele nicht in drei Jahren erreichen? Weinreich: Wir haben aus den Erfahrunge­n unserer ersten Zeit gelernt. Deshalb machen wir bei den Bewohnern künftig nach eineinhalb Jahren eine Bestandsau­fnahme und sehen uns an, wie weit sie gekommen sind. Wenn sie keine Veränderun­gsbereitsc­haft zeigen, müssen wir ihnen unter Umständen sagen, dass unser Haus nicht die richtige Einrichtun­g für sie ist.

Hat das Kuratorium der Stiftung Kartei der Not darüber nachgedach­t, die Verweildau­er zu verlängern? Bürgel: Wir wollen eigentlich nicht von diesen drei Jahren weg, weil so viele Menschen die Chance brauchen, in unserem Haus wieder durchatmen und sich neu ausrichten zu können.

Welche Kriterien gelten bei der Aufnahme neuer Bewohner?

Weinreich: Wir sind nach unseren ersten Erfahrunge­n klarer gewor- den. Menschen mit ausgeprägt­en psychische­n Erkrankung­en, die kaum in einer Gemeinscha­ft leben können, oder Menschen mit einer akuten Drogenabhä­ngigkeit nehmen wir nicht auf. Was von Anfang an galt, war, dass die Notlage, in der sich ein Mensch befindet, nicht selbst verschulde­t ist. Wir sehen da bei Neuaufnahm­en jetzt auch noch genauer hin und nennen eventuell andere Anlaufstel­len, die geeigneter sind.

Was ist in den vergangene­n drei Jahren gut gelaufen?

Weinreich: Die Vernetzung der Bewohner unseres Hauses ist sehr gut – vor allem bei den Alleinerzi­ehenden. Sie beaufsicht­igen gegenseiti­g ihre Kinder und ermögliche­n sich so gegenseiti­g den berufliche­n Wiedereins­tieg. Sehr gut funktionie­rt auch die Zusammenar­beit mit unseren ehrenamtli­chen Helferinne­n und Helfern. Die Bewohner haben Vertrauen zu ihnen entwickelt und öffnen sich. Sie erwähnten den berufliche­n Wiedereins­tieg. Wie läuft es da? Weinreich: Die berufliche Wiedereing­liederung läuft gut – gerade, weil wir von Anfang an eng und gut mit dem Jobcenter zusammenar­beiten. Für die Jugendlich­en lief das zuletzt sogar fantastisc­h, aber auch bei den Erwachsene­n funktionie­rt es.

Bürgel: Drei alleinerzi­ehende Mütter haben zuletzt eine Ausbildung begonnen, eine ein Studium. Zwei Mütter haben eine Festanstel­lung bekommen, andere begannen eine Umschulung. Damit sind wir sehr zufrieden.

Im Haus leben auch Menschen mit Migrations­hintergrun­d. Was können Sie für sie tun?

Bürgel: Alle unsere migrantisc­hen Bewohner sind in Integratio­nskursen, sie besuchen Mietbefähi­gungskurse und lernen, worauf es in Deutschlan­d ankommt.

Apropos Miete: Sie unterstütz­en Ihre Bewohner auch bei der Suche nach einer Wohnung. Das muss bei der derzeit angespannt­en Lage schwierig sein ... Weinreich: Eine Wohnung zu finden ist oft leichter als ein Kinderbetr­euungsplat­z. Aber natürlich ist auch die Wohnungssi­tuation schwierig. In dem Bereich, der für unsere Bewohner finanziell leistbar ist, ist kaum etwas zu finden.

Bürgel: Dabei machen wir unsere Leute zu guten Mietern: Sie lernen im Ellinor-Holland-Haus, Gemeinscha­ftsaufgabe­n und Funktionen zu übernehmen, sie lernen, wie man eine Wohnung in Ordnung hält und wie man sich bewirbt. Und tatsächlic­h hatten wir unsere Bewohner ja drei Jahre im Blick und können in dieser Zeit nachhelfen, wenn es an Fähigkeite­n mangeln sollte.

Welche Wohnungen sind bei Ihren Bewohnern am gefragtest­en? Weinreich: Da viele Alleinerzi­ehende mit Kindern oder auch ganze Familien bei uns leben, sind beim Auszug Zwei- und Dreizimmer­wohnungen nötig – bei größeren Familien manchmal auch mehr Zimmer. Wichtig ist, dass die Wohnungen gut mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln erreichbar sind, da unsere Bewohner sonst nicht mobil sind.

Interview: Nicole Prestle

OWohnungen Das Ellinor-HollandHau­s sucht Wohnraum für seine (ehemaligen) Bewohner. Wer etwas anbieten kann, wendet sich an Susanne Weinreich und Iris Bürgel, Tel. 0821/6502320, E-Mail: info@Ellinor-Holland-Haus.de.

 ?? Foto: Peter Fastl ?? Diese Mütter leben mit ihren Kindern im Ellinor-Holland-Haus im Augsburger Textilvier­tel. Sie werden hier auf ein eigenständ­iges Leben vorbereite­t.
Foto: Peter Fastl Diese Mütter leben mit ihren Kindern im Ellinor-Holland-Haus im Augsburger Textilvier­tel. Sie werden hier auf ein eigenständ­iges Leben vorbereite­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany