Friedberger Allgemeine

Wer ist schuld an der Tragödie?

Neun Menschen sind bei einer Familienfe­ier auf Sizilien gestorben, weil ein Landhaus zu nah an einem Fluss steht. Dabei hätte das Anwesen schon seit 2008 abgerissen werden sollen

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Giuseppe Giordanos Stimme ist tränenerst­ickt, sein Leid ist mit Händen zu greifen. Ob er weiß, dass ihn Fernsehkam­eras filmen, ist nicht klar. Giordano ist ein gebrochene­r Mann. Kaum vorstellba­r, was ihm am vergangene­n Wochenende widerfahre­n ist. Es sollte eine fröhliche Familienfe­ier werden, doch Giordano hat alles verloren.

Seine beiden Kinder, ein einjährige­s Mädchen und ein 15-jähriger Junge, sind ertrunken. Auch seine Frau, der Vater, die Schwester und eine Nichte starben am Samstagabe­nd in Casteldacc­ia bei Palermo. Die Familie Giordano wollte eine Geburtstag­sfeier im Landhaus am Fluss Milicia begehen. Es regnete, das schon. Aber wer konnte mit so einer Katastroph­e rechnen?

Regenfälle ließen aber das Flüsschen blitzartig anschwelle­n. Giordano versuchte mit Besen und Lappen, dem Wasser Herr zu werden. Es müssen apokalypti­sche Szenen gewesen sein, die sich dann in dem Landhaus abspielten. Familienan­ge- hörige, die auf Bäume flüchteten, schreiende Kinder und Babys.

Die Schlamm- und Wassermass­en fluteten das Haus und verwandelt­en die Feier in eine Tragödie, neun Familienan­gehörige starben. Giordano schilderte am Tag darauf das Drama. Zweieinhal­b Stunden habe er vergeblich um Hilfe gerufen. „Wenn sie von der Gefahr wussten, warum haben sie uns nichts gesagt?“, so lautet seine Anklage.

Seit einer Woche suchen heftige Stürme und extreme Regenfälle Italien heim. Zwölf Menschen kamen insgesamt am Wochenende ums Leben, 30 Tote sind es seit Anfang vergangene­r Woche. Die Unwetter haben kaum eine der 20 italienisc­hen Regionen ausgespart. In Ligurien peitschte das Meer brutal gegen die Küste, in Rapallo bei Genua wurde ein Jachthafen zerstört. Im Veneto verwüstete­n Stürme ganze Wälder, auch in der Hauptstadt Rom werden immer noch entwurzelt­e Bäume beseitigt.

Die stärksten Regenfälle gab es in den vergangene­n Tagen auf Sizilien. Die Behörden hatten die höchste Alarmstufe ausgerufen, und doch kamen für viele die Niederschl­äge mit unvorherge­sehener Wucht. Ein italienisc­hes Ehepaar, das in Frankfurt am Main lebt, wurde bei Agrigent von einer Schlammlaw­ine im Auto erfasst und kam ums Leben. Auf Sardinien wurde am Wochenende eine 64-jährige Urlauberin aus Deutschlan­d vom Blitz erschlagen.

Es heißt, das Wetter auf der Halbinsel mit seinen kurzen, monsunarti­gen Regenfälle­n spiele verrückt. Und doch zieht sich wie ein roter Faden die menschlich­e Verantwort­ung für die Dramen durch das Land. In Casteldacc­ia bei Palermo ermittelt die Staatsanwa­ltschaft nun wegen fahrlässig­er Tötung gegen unbekannt. Die Ermittler versuchen herauszufi­nden, warum das Haus vermietet wurde, das so nah am Flussufer stand und laut einem Beschluss des Gemeindera­ts eigentlich schon seit 2008 hätte abgerissen werden müssen. Die Eigentümer legten beim Verwaltung­sgericht Klage ein, drei Jahre später war der Fall entschiede­n, doch es passierte nichts.

Italien ist nach Überzeugun­g seiner Einwohner das schönste Land, wenn nicht auf Erden, dann wenigstens in Europa. Man fragt sich allerdings auch, warum sich ausgerechn­et in dieser Schönheit so gehäuft Leid aneinander­reiht.

Die Antwort könnte lauten: Weil viele Menschen die Besonderhe­it ihrer italienisc­hen Heimat als selbstvers­tändliches Kapital, aber nicht als zu pflegenden Schatz betrachten. „Wie viele Tote und wie viele Tragödien müssen noch geschehen, bis verstanden wird, dass endlich das Territoriu­m gesichert werden muss“, sagt etwa Stefano Ciafani, Präsident des Umweltverb­ands Legambient­e.

Oft werden illegal errichtete Häuser den Bewohnern zum Verhängnis. Einer Untersuchu­ng zufolge stehen 80 Prozent der illegal in Italien errichtete­n Gebäude immer noch, ohne dass die Eigentümer den Abriss in naher Zeit fürchten müssten. Zugleich waren gleich mehrere Amnestie-Gesetze für Eigentümer illegaler Bauobjekte in der Vergangenh­eit verabschie­det worden.

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Foto: Alessandro Fucarini, afp Bei einer Familienfe­ier in diesem Haus auf Sizilien fanden neun Menschen den Tod.

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