So schön! Und so krank?
Das Great Barrier Reef ist einmalig. Doch der Klimawandel setzt ihm zu. Wie das größte Korallenriff der Welt gerettet wird
Für den kurzen Flug muss die Propellermaschine nicht hoch hinaus. 800 Fuß reichen ihr. Niedrig genug, damit die Passagiere das Meer beobachten können, das schnell nach der Küste Queenslands von einem hellen Türkis in ein dunkles Blau wechselt. Wellen brechen übereinander, weiße Schaumkronen tanzen auf ihren Kämmen. Ein Spiel, das sich immer und immer wieder wiederholt. Der Zeitpunkt wäre gekommen, die Gedanken schweifen, von Schaumkrone zu Schaumkrone springen zu lassen, wären da nicht plötzlich ungewöhnlich große weiße Kronen auf dem Wasser, die selbst aus hunderten Meter Höhe noch gut zu erkennen wären: Buckelwale.
Rund 30 Tonnen wiegt ein erwachsener Meeressäuger. Die Tiere lieben es bei Wellengang, erst wie ein Torpedo aus dem Meereswasser heraus zu schießen und gleich darauf mit Karacho wieder ins schäumende Meer einzutauchen. Zu Tausenden haben die Buckelwale ihre Reviere in den antarktischen Gewässern verlassen und begeben sich auf die Reise an die Ostküste Australiens, wo sie sich paaren und ihre Jungen zur Welt bringen. Die 25 Minuten Flugzeit zu der kleinen Privatinsel Lady Elliot Island vergehen mit dem Zählen von Walen. Dort, wo sie sich gerade noch im dunklen Meereswasser tummeln, geht es kurze Zeit später wieder fließend in türkisblaues Wasser über, aus dem große gebogene Korallenriffs herausstechen. Die kleine Insel trennt eine Schneise, die so wirkt, als ob jemand mit dem Rasierer über das Grün gefahren wäre – die Landebahn. Wer nach der holprigen Landung hier aussteigt, lässt Alltag, Telefonnetz und Erreichbarkeit zurück, leiht sich neben der Rezeption schnell Neoprenanzug, Schnorchel, Flossen und Wasserschuhe und entdeckt eine vollkommen neue Welt: die Wasserwelt des Great Barrier Reefs.
Über zwei Millionen Touristen besuchen jährlich Australiens Bundesstaat Queensland, um sich das bekannteste Korallenriff der Welt anzusehen. Über das Great Barrier Reef, dass von der Unesco seit 1981 als Weltnaturerbe gelistet wird und sich auf einer Fläche fast so groß wie Japan erstreckt, wurde zuletzt viel geschrieben. Schlagzeilen, dass das Riff sterbe, gingen um die Welt und lösten Debatten um Klimawandel, Auswirkungen des Klimaphänomens El Niño und Wasserverschmutzung aus.
Von all dem ist auf Lady Elliot Island nichts zu spüren. Hier am Südzipfel des Great Barrier Reef ist die Meereswelt in Ordnung. Die Korallen lassen sich in der Lagune direkt vom Strand aus erkunden. Blaue Seesterne liegen im kniehohen Wasser, kleine Fische finden Schutz im Geflecht der teils wild verzweigten Korallen, wo auch ein Oktopus Unterschlupf findet. Hotelmitarbeiterin Lauren Ljiljak führt die Touristen durch das Niedrigwasser der Lagune und öffnet ihnen die Augen für die kleinen Lebewesen, die sonst gar nicht weiter auffallen würden. Krabben haben sich farblich so gut ihrer Umgebung angepasst, dass sie sich nicht von Korallen abheben. Eine krabbelt aus ihrer Deckung hervor und nimmt den Kampf mit einer viel größeren Seegurke auf, den sie dank ihrer Scheren ohne große Mühe gewinnen wird. „Alle Meerestiere leben in Konkurrenz zueinander und wollen den besten Platz“, erzählt die 31-Jährige.
Seegurken haben eine wichtige Funktion. Sie sind die Staubsauger des Meeres und produzieren sauberen Sand. Lauren Ljiljak greift in das flache Wasser der Lagune und holt eine Seegurke hervor, die nicht einmal ihre Handfläche bedeckt. Außerhalb der Lagune sind die Stachelhäuter größer. Im tieferen Wasser eröffnen sich für Schnorchler und Taucher wieder neue Welten. Wer hier abtaucht, taucht mitten in das Unterwasserleben ein, das so vielseitig wie überraschend ist. Plötzlich steckt der Schnorchler inmitten eines Fischschwarms, der eine Sekunde wie ein Standbild verharrt. In der nächsten stieben hunderte Fische in alle Himmelsrichtungen auseinander, um im übernächsten Moment wieder einen Schwarm zu bilden.
Korallen türmen sich in den unterschiedlichsten Formen und Farben vor einem auf. Mantarochen kommen aus dem Nichts und gleiten mit einer Spannbreite von fünf Metern unter einem hinweg, um am Ende der Sichtweite wieder im blauen Nichts zu verschwinden. Schildkröten schwimmen gemütlich umher, blicken mal nach rechts und mal nach links, wie ein Brustschwimmer, dem es nach einem Schwätzchen ist. Diese heile Unterwasserwelt ist höchst fragil. Steigen die Wassertemperaturen nur um wenige Grad an, droht das System zu zerbrechen.
Riff hier am südlichsten Punkt ist gesund. Es sieht zwar tot aus, weil die Korallen in der Gegend vor allem die Farben Gelb, Braun oder Grün haben. Das kommt von der Art der Algen, die mit den Korallen in einer Symbiose leben“, erklärt Lauren Ljiljak.
Doch das ist nicht überall so. Bei erhöhten Wassertemperaturen werden die Algen giftig, die Korallen stoßen sie ab und und verlieren ihre Farbe. Sie bleichen aus. 2016 schritt die Korallenbleiche rasant voran, Wissenschaftler schlugen Alarm. Autor und Umweltaktivist Rowan Jacobsen schrieb damals den viel zitierten Nachruf „Das Great Barrier Reef in Australien ist nach langer Krankheit 2016 verstorben. Es war 25 Millionen Jahre alt“. Die Botschaft ging um die Welt und handelte ihm Ärger mit der Marineparkbehörde ein. Diese wollte sich keine Untätigkeit vorwerfen lassen, da die Regierung viel Geld in Schutzmaßnahmen steckt. Zahlreiche private Aktivisten und Organisationen haben sich die Rettung des größten Korallenriffs ebenfalls auf die Fahnen geschrieben. So wie Stewart Christie, der Touristen auf Fitzroy Island zu einer besonderen Tour mitnimmt. Die kleine Inselgruppe ist mit einer Fähre in nur 45 Minuten vom knapp 30 Kilometer ent„Das fernten Cairns aus erreichbar. Die Stadt Cairns ist auf dem Festland für viele Touristen im Norden Queenslands das Tor zum Great Barrier Reef. Von hier aus starten zahlreiche Touren. Wer eine Inselwelt in schönster Postkarten-Idylle erleben will, fährt nach Fitzroy Island, wandert durch die tropische Insel, bewundert Clownfische im vom Strand aus erreichbaren Riff oder besucht den preisgekrönten Strand Nudey Beach.
Stewart Christie zeigt den Schnorchlern keine bunten Korallenriffs. Er bringt sie zu meterhohen Eisengittern, die auf dem Meeresgrund fest verankert sind. Bäume nennt er diese Gestelle, die nahe der Hauptinsel liegen und die wie Weihnachtsbäume anmuten, da an ihren Ästen Fäden angebracht sind, an denen etwas hängt. Freilich sind das keine Kugeln. Es sind Korallen, die hier monatelang wachsen und sich entwickeln können. Im vergangenen Dezember haben er und seine Mitstreiter 24 gesunde Korallen in einem Gebiet eingesammelt, das stark von der Massenbleiche betroffen war. Die Korallen wurde in 246 Stücke geschnitten und an den Bäumen angebracht.
Seither werden sie regelmäßig von seinen Mitarbeitern und von ihm mit Zahnbürsten gereinigt und begutachtet – Koralle für Koralle wird in dem, wie er es nennt, „Korallen-Kindergarten“dokumentiert. Aus einem gesunden Stück Koralle will er 1000 Stücke reproduzieren. „Es gab so viele Nachrichten, dass das Riff stirbt. Aber es stirbt nicht. Man kann so viel machen, um es am Leben zu halten. Die Korallenaufzuchtstation ist solch ein Weg“, sagt er. Die ersten 100 Korallenstücke wurden erfolgreich in bestehende Riffs verpflanzt. Das soll erst der Anfang sein. Geschäftsführer Stewart Christie und sein Team der Reef Restoration Foundation will in den kommenden drei Jahren 25 000 Korallenstücke verpflanzen.
Die Organisation Rainforest and Research Centre führt gemeinsam mit der Marineparkbehörde detaillierte Untersuchungen der Bleichwerte an den wichtigsten Tauchplätzen rund um Cairns durch. Sie betonen, dass das Ausbleichen der Korallen in mehreren Stufen stattfindet – es gehe von einem milden „Sonnenbrand“bis hin zum Korallensterben. „Wichtig ist, dass sich betroffene Korallen wieder regenerieren können“, sagt Doug Baird vom Reiseveranstalter Quicksilver Group. Er habe eine weitgehende Erholung an den regelmäßig besuchten Standorten festgestellt. „Das gibt Hoffnung. Das Massenbleichen war eine Katastrophe. In diesem Ausmaß gab es das noch nie“, sagt er. Er habe festgestellt, dass alle Riffs, die die Massenbleiche überlebt haben, sich erholt hätten und auch wieder wachsen würden.
Dem Mitarbeiter des TourenAnbieters sind in den vergangenen 20 Jahren viele Veränderungen aufgefallen, unter denen auch die Tierwelt zu leiden hat. „Ich habe Schildkröten gesehen, denen ein Strohhalm in der Nase steckte“, sagt er. Wenn die Tiere Glück haben und gefunden werden, kommen sie in das Cairns Turtle Rehabilitation Centre, das auf Fitzroy Island stationiert ist. Die Schildkröten-Klinik wurde im Jahr 2000 gegründet. 450 Tiere sind seither dort behandelt worden.
Es gibt verschiedene Ursachen, warum sie in die Einrichtung gebracht werden, erklärt Meeresbiologin Jen Moloney: „Viele verheddern sich in Fischnetzen. Dabei können ihnen Arme oder Beine abgerissen werden. Andere essen Plastikabfälle, die eine Blockade in ihrem Verdauungstrakt auslösen.“So erging es Margarethe, die etwa 100 Jahre
Buckelwale tauchen mit Karacho ins Wasser Von Miriam Zissler
25 000 Korallenstücke sollen in das Riff verpflanzt werden
alt ist und seit vier Jahren in der Klinik lebt. „Sie hat eine Plastiktüte gegessen“, erzählt Jen Moloney. Sie rubbelt den Panzer der älteren Schildkröten-Dame. Das mag sie. Genauso wie die kleinen Salatstücke, die die Meeresbiologin ihr mundgerecht abreißt und vor ihrem Kopf ins Wasser wirft. „Sie ist eine richtige Diva“, stellt sie lachend fest. Bald wird sie von Margarethe Abschied nehmen. Die Schildkröte kann ausgewildert werden.
Jen Moloney will dabei sein, wenn Klinikmitarbeiter mit dem Boot ins Korallenmeer hinausfahren und das Tier ins Wasser lassen. „Die Schildkröten bilden persönliche Beziehungen zu uns Mitarbeitern. Sie können sich Gesichter merken und jeder hat seinen Lieblingspfleger.“Sie ist der Liebling von Margarethe und will ihr Lebewohl sagen, wenn es für die Schildkröte zurück in die aufregende Unterwasserwelt des Great Barrier Reef geht. Sie könne bis zu 150 Jahre alt werden, weiß ihre Pflegerin. Ihr bleiben noch viele Jahre im größten Riff der Welt.