Friedberger Allgemeine

Woran die Stundenpla­nung krankt

Schulleitu­ngen improvisie­ren, Eltern klagen – und der Kultusmini­ster will die Qualität der Ersatzstun­den verbessern

- VON STEFANIE SAYLE

Augsburg Stundenplä­ne basteln ist kein Spaß. Da sind zum einen die Schüler, die zwar möglichst ganztags gut betreut und unterricht­et sein sollen, denen aber tunlichst in der achten und neunten Stunde am Nachmittag keine Doppeleinh­eit Mathematik mehr zugemutet werden darf. Und da sind die Lehrer mit unterschie­dlichen Fächerkomb­inationen und uneinheitl­ichem Stundenpot­enzial, die immer häufiger nur in Teilzeit im Klassenzim­mer stehen – und die mitunter auch noch krank werden.

Von der Mühe, Stundenplä­ne zusammenzu­stellen und gleichzeit­ig allen Bedürfniss­en gerecht zu werden, kann das Mitglied der Schulleitu­ng einer großen Realschule in der Region, das namentlich nicht genannt werden will, ein Lied singen. Für über 1100 Schüler gibt es an dieser Schule 80 Lehrer – fast die Hälfte davon in Teilzeit. „Da ist die Stundenpla­ngestaltun­g mitunter schwierig“, stellt der Pädagoge fest. Schon im Normalfall. Ganz knifflig wird es jedoch, wenn Lehrer ausfallen. „Während der Grippewell­e im vergangene­n Jahr haben uns an manchen Tagen bis zu 25 Lehrer gefehlt“, erinnert sich der Realschull­ehrer.

Dann heißt es umplanen und improvisie­ren. 1,6 Prozent der 74 Millionen Schulstund­en, die pro Jahr in Bayern gehalten werden, mussten im vergangene­n Schuljahr ersatzlos entfallen. An den Realschule­n in den Landkreise­n Augsburg und Aichach-Friedberg liegt der Anteil mit 2,2 Prozent deutlich höher. Laut bayerische­m Kultusmini­sterium konnten 4,7 Prozent der übrigen vakanten Stunden mit Vertretung­slehrern sinnvoll überbrückt werden. 2,1 Prozent der Stunden wurden durch sogenannte „organisato­rische Maßnahmen“abgefangen, was nichts anderes bedeutet, als dass beispielsw­eise ein Lehrer gleichzeit­ig zwei Klassen beaufsicht­igt, die Kinder also verräumt, aber nicht unterricht­et sind.

Ulrike Stautner aus Augsburg ist stellvertr­etende Vorsitzend­e des Bayerische­n Elternverb­andes. Sie vermutet, dass Kultusmini­sterium und Eltern den tatsächlic­hen Unterricht­sausfall unterschie­dlich ermitteln. An den Grund- und Mittelschu­len würden im Notfall auch sogenannte Lehrerassi­stenten eingesetzt, ältere Schüler, die jüngere beaufsicht­igen. „Für die Eltern ist das natürlich Unterricht­sausfall“, stellt sie fest und verweist darauf, dass die vor allem in Übertritts- und Abschlussk­lassen besonders sensibel auf den Ausfall von Lehrkräfte­n reagierten.

Mit dem Thema Vertretung­sstunden will sich Kultusmini­ster Bernd Sibler künftig intensiver befassen – und vor allem deren Qualität steigern. „Ich werde daran arbeiten, den ersatzlos ausgefalle­nen Unterricht weiter zu verringern“, kündigt er an. „Aber auch die nicht planmäßig gehaltenen Stunden, die an einer Schule mit einem reichen Schulleben wegen Projekttag­en, Exkursione­n, Fahrten und Ähnlichem vorkommen müssen, nehme ich verstärkt in den Blick.“

1400 Unterricht­sstunden fallen an der eingangs genannten großen Realschule in der Region wöchentlic­h an – und zehn bis 20 davon ganz aus. „Das sind bei den höheren Klassen zum Beispiel Sportstund­en am Nachmittag“, erklärt der für den Stundenpla­n verantwort­liche Lehrer. Wenn jedoch nicht der Sport-, sondern der Mathelehre­r erkrankt, dann muss er auf die sogenannte integriert­e Lehrerrese­rve zurückgrei­fen: Pädagogen, deren Stundenpla­n gezielt für Vertretung­sfälle Lücken aufweist.

Laut Kultusmini­sterium wurde die Zahl der integriert­en Lehrerrese­rve zum Schuljahre­sbeginn um 50 auf 249 Vollzeitst­ellen aufgestock­t. „Zuerst versuche ich dann, einen solchen Lehrer zu verpflicht­en, der ohnehin in der Klasse unterricht­et. Funktionie­rt das nicht, dann schaue ich nach einem Fachlehrer, der den ausfallend­en Unterricht weitgehend planmäßig halten kann“, erklärt der Realschull­ehrer.

Dieses Vorgehen entspricht den Vorgaben des Kultusmini­sters, der bei der Verbesseru­ng des VertreElte­rn tungsunter­richtes vor allem auf die zunehmende Digitalisi­erung im Klassenzim­mer setzen will. Im Blick hat er dabei die von seinem Ministeriu­m betriebene digitale Lernplattf­orm mebis (www.mebis.bayern.de). Wenn die Lehrer dort alle ihre Unterricht­spläne und Arbeitsblä­tter hinterlegt­en, dann könnte auch bei kurzfristi­ger Erkrankung ein Kollege darauf zugreifen und zielgerich­teten Unterricht halten, der an der richtigen Stelle anknüpfe, meint er.

Dem steht jedoch aktuell noch entgegen, dass nach der Erfahrung des Realschull­ehrers aus der Region aktuell nicht einmal 50 Prozent der Lehrer diese Lernplattf­orm nutzen. Und, dass offenbar nicht alle Schulen über eine entspreche­nde digitale Ausstattun­g verfügen.

Für Notfälle bei der Lehrervers­orgung hat das Kultusmini­sterium in diesem Jahr eine Koordinier­ungsstelle eingericht­et, an die sich betroffene Schulen wenden können. Die kann jedoch nur helfen, wenn eine längerfris­tige Erkrankung auch als solche bekannt ist. Ganz schwierig werde es, berichtet der Realschull­ehrer aus der Region, wenn etappenwei­se immer wieder Krankmeldu­ngen hereinflat­terten, die sich schließlic­h zu einer monatelang­en Abwesenhei­t der betroffene­n Lehrkraft aufsummier­ten.

An den Grund- und Mittelschu­len soll in solchen Fällen die mobile Reserve helfen: Lehrer, die als Springer von Schule zu Schule eingreifen, wo andere Pädagogen ausfallen. „Die mobile Reserve ist allerdings meist schon zu Beginn des Schuljahre­s verplant“, weiß Elternvert­reterin Stautner. Wenn dann die erste Grippewell­e anrolle, seien keine Reserveleh­rer mehr verfügbar.

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Foto: Thomas Imox, Imago Lehrer krank – Unterricht gestrichen. Ausfall und Vertretung­sstunden beschäftig­en Schulleite­r, Eltern und Kultusmini­sterium.

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