Friedberger Allgemeine

Das Ende der Beimerer Republik

Erst musste Serienpapa Hans Beimer sterben, nun wurde das Aus für die „Lindenstra­ße“bekannt. Warum das trotz zuletzt schwacher Quoten ein Verlust für das deutsche Fernsehen ist

- VON JOSEF KARG

Augsburg Erinnern Sie sich noch? 1985 führt die Schweiz die Autobahnma­ut ein, Martin Bangemann wird auf dem Parteitag in Saarbrücke­n als Nachfolger von Hans-Dietrich Genscher zum neuen Bundesvors­itzenden der FDP gewählt und Modern Talking dudelt erstmals „Cheri, Cheri Lady“. Als TV-Junkie weiß man außerdem vielleicht: Das Erste führt am 8. Dezember mit der Serie „Die Lindenstra­ße“ein neues Format ein. Sie wird zum Kult, weil sie sozusagen einen Schlüssell­ochblick in deutsche Wohnzimmer bietet. Realistisc­h, problembez­ogen und aktuell. Und sie wird jetzt, nach über 30 Jahren, eingestell­t. Weil sich die Fernsehpro­grammkonfe­renz der ARD mehrheitli­ch gegen eine Verlängeru­ng des Produktion­svertrags ausgesproc­hen hat. Im März 2020 soll die letzte Folge gezeigt werden.

Für die Fans, die in den vergangene­n Jahren zugegebene­rmaßen immer weniger wurden, dürfte das Ende zu regelrecht­en Entzugsers­cheinungen führen. Mutter Beimer und ihr Hansemann, der ja in der Serie seit Jahrzehnte­n mit einer anderen liiert war, gehörten für viele zum Fernsehson­ntag wie die „Sportschau“oder der „Tatort“.

Irgendwie wirkt die „Lindenstra­ße“bildästhet­isch aus der Zeit gefallen, auch wenn der Erfinder und Produzent der Serie, Hans W. Geißendörf­er, durch neue Charaktere immer wieder jugendlich­ere Zielgruppe­n ansprechen wollte. Hans und Helga Beimer wiederum wohnten gefühlt schon immer in der „Lindenstra­ße“. Die

schrieb kurz vor dem Serientod Hansemanns am 2. September: „Ein Paar, das in seiner sozialdemo­kratischen Biederkeit dem christdemo­kratischen Spitzenduo Hannelore und Helmut Kohl gar nicht unähnlich war.“

Gespielt wurde Hans Beimer von Joachim Hermann Luger, der einen biederen Ehemann und Vater dreier Kinder aus ihm machte. Der sich irgendwann frauentech­nisch aber neu orientiert­e. Helga Beimer, verkörpert von Marie-Luise Marjan, hat als Mutter der Nation ihren Mann trotzdem nie ganz aufgegeben. Sie war eine Glucke, eine gleichzeit­ig schwache wie starke Frau. Die beiden waren die zentrale Achse, um die sich die Serie drehte.

Die „Lindenstra­ße“bietet Schwarzbro­t statt Schwarzwal­d. Und ihre Bewohner sehen nicht aus wie Sascha Hehn, sondern eben wie Hans Beimer, schrieb die vor Wochen. Der war kein Arzt, sondern ein Sozialarbe­iter, der seine Helga in der Serie schon 1968 geheiratet hatte. Aber Ärzte gab es in der „Lindenstra­ße“natürlich auch. Von Carsten Flöter, Sohn des rollstuhlf­ahrenden Arztes Dr. Dreßler, lernten wir Deutsche, dass Schwulsein etwas ganz Normales ist. Viele Jahre führte der Allgemeinm­ediziner erfolgreic­h seine Arztpraxis in der Münchener Lindenstra­ße.

Es gäbe so viel zu erzählen, kleine und große Dramen: Hochzeit und Scheidung, Geburt und Tod,

Allgemeine Frankfurte­r FAZ

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Foto: dpa Das waren noch Zeiten in der Lindenstra­ße. In der Familie Beimer ging es oft hoch her. Mutter Beimer 1986 mit ihrem Hansemann, der Tochter Marion sowie den Söhnen Benny und Klausi (von links nach rechts).
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Foto: Kaiser, dpa Die Schauspiel­er Georg Uecker (in der Serie Dr. Carsten Flöter) und Alexa Maria Surholt (Sarah Marquardt) bei einem Fototermin zur Fernsehser­ie.

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