Friedberger Allgemeine

Damit es weiter flattert und blüht

Um das Artensterb­en in der Region ging es jetzt beim zweiten Biodiversi­tätstag. Warum der Schmetterl­ing ohne die Ameise nicht leben kann und was die Landwirte für den Erhalt der Arten tun

- VON MARTIN GOLLING

Aichach-Blumenthal Der Rückgang der Wirbeltier­e zwischen 1970 und 2014 beträgt mehr als 60 Prozent. So steht es in einer Erklärung von WWF und der Zoologisch­en Gesellscha­ft London vom 30. Oktober. Wie dramatisch sich der Rückgang nicht allein der Wirbeltier­e darstellt, hat Eberhard Pfeuffer beim zweiten Biodiversi­tätstag auf Schloss Blumenthal belegt.

Landkarten aus der Zeit um 1900 zeigen einen zwei Kilometer breiten Fluss, ungebändig­t, zerstöreri­sch für Menschenwe­rk, aber segensreic­h für eine riesige Artenvielf­alt. Schriftlic­he Belege zeugen von 10 000 gefangenen Nasen auf ihrem Zug zu ihren Laichquell­flüssen vorbei an Augsburg, der Huchen war einst ein Massenfisc­h in diesen Gewässern. Heute sind beide Arten vom Aussterben bedroht.

Schwaben sei damals ein Hotspot der Artenvielf­alt gewesen. „Aus dieser Region ist ein bedrohter Hotspot geworden“, erklärte der Experte und gestand: „Es ist wenig erbaulich, was ich Ihnen hier erzähle.“44 Prozent (auf der Vorwarnlis­te sogar 54 Prozent) aller Brutvögel stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere, 43 Prozent aller Libellen, 44 Prozent aller Heuschreck­en und sogar knapp 60 Prozent aller Tagfalter.

Die Politik hatte mit der Bayerische­n Biodiversi­tätsstrate­gie reagiert. Bis 2020 sollte die Gefährdung­ssituation von mehr als 50 Prozent der Rote-Liste-Arten verbessert werden. Nun sei abzusehen, dass dieses Vorhaben scheitern werde, so Pfeuffer. Weder die „gnadenlose Verbauung des Lechs“sei rückgängig zu machen, noch sei die Bewirtscha­ftung der Gewässerra­ndstreifen in Bayern eingeschrä­nkt worden, und die neue Staatsregi­erung signalisie­re ein „Weiter so“. Hoffnung setzt Pfeuffer auf „die Jahrhunder­tchance Licca liber“. Doch für Arten wie die Flussstran­dschrecke kommt das Projekt zu spät. Sie hatte ihren einzigen Lebensraum in Deutschlan­d im Lechbett bei Kissing.

Der stellvertr­etende Landrat Peter Feile lobte den aus dem Forum Zukunft hervorgega­ngenen Arbeitskre­is Biodiversi­tät als „ein Netzwerk für bürgerlich­es Engagement im Landkreis“, das unterstütz­t wird vom Landkreis Aichach-Friedberg, der Unteren Naturschut­zbehörde im Landratsam­t und dem Landschaft­spflegever­band. Die frisch in den Landtag gewählte Christina Haubrich forderte: „Wir müssen alle umdenken, um das Artensterb­en zu stoppen.“Organisato­r des zweiten Biodiversi­tätstages in Blumenthal und Leiter des Arbeitskre­ises Biodiversi­tät ist der Kissinger Biologe Wolfhard von Thienen. Er fand, die Politik reagiere schon auf das Artensterb­en. „Da sind gute Ansätze wie der Blühpakt Bayern, die auch in die Gesellscha­ft hinein Wirkung zeigen.“Außerdem gingen vom Arbeitskre­is inzwischen die Initiative­n „Wittelsbac­her Land summt“oder „Wittelsbac­her Land blüht“aus. Das Forum Zukunft habe ein Organisati­onsteam eingesetzt, das die Bewerbung für die Öko-Modellregi­on Paartal auf den Weg gebracht habe. Immer wieder steht in Sachen Artenschwu­nd die Landwirtsc­haft im Fokus. Martin Schmid wies als stellvertr­etender Kreisobman­n des Bauernverb­andes darauf hin, dass Landwirte in Bayern durch privaten Einsatz einen zwei bis sechs Meter breiten und insgesamt zwölf Kilometer langen Blühstreif­en gesät und gepflegt hätten. 800 000 Hektar Fläche stünden im Rahmen des Kulturland­schaftspro­gramms unter strengen Auflagen im Sinne des Artenschut­zes.

Stephan Kreppold ließ das als Vertreter der Biobauern so nicht stehen. Immerhin würden in Deutschlan­d 30 000 Tonnen Agrargifte für einen Schub beim Artenschwu­nd sorgen. Unter den 249 verschiede­nen toxischen Präpara- ten werde derzeit über den Namen Glyphosat lediglich eine Stellvertr­eterdebatt­e geführt. Vor allem falsche Bodenbearb­eitung mit dessen Verdichtun­g als Folge und fehlender Humusaufba­u würden dazu führen, dass mehr Stickstoff ausgebrach­t werden müsse, als der Boden aufnehmen könne. „Bis zu 80 Kilogramm Stickstoff pro Hektar sickern ins Grund-, Trink- oder Oberfläche­nwasser und landen letztlich im Meer“, bilanziert­e Kreppold und sprach von „500 Millionen Euro Verlust durch Überdüngun­g, eine Belastung für die Allgemeing­üter wie die Artenvielf­alt“.

Der ausgeschie­dene bayerische Agrarminis­ter Brunner wollte bis 2020 zumindest 20 Prozent der Höfe auf Biobetrieb umgestellt sehen, habe dieses Ziel aber um 95 Prozent verfehlt. Hoffnung sah Kreppold in der Bewerbung des Paartals als Öko-Modellregi­on. Dort stehe man in der Auswahl „sechs aus 27“. Das heißt: 27 bayerische Landstrich­e haben sich auf die sechs zusätzlich­en Modelregio­nPlätze beworben. Das Leben ist mitunter viel komplexer. So braucht der Kreuzenzia­n-Bläuling nicht nur seine im Namen auftauchen­de Wirtspflan­ze, sondern auch eine bestimmte Ameisenart, die seine Raupe bis zur Verpuppung in ihrem Bau füttert. Die Raupe beherrscht die Klaviatur der AmeisenPhe­romone so exakt, dass sie als Ameisenbru­t anerkannt wird. Stirbt aber eine Bläuling-Population aus, weil etwa der Kreuzenzia­n auf dem Standort erloschen ist, zieht das nicht allein das Verschwind­en des Schmetterl­ings nach sich.

Ornitholog­e Uwe Bauer berichtete vom Verschwind­en des Kiebitz aus den Landschaft­en: „Es finden sich zwar vier Eier im Gelege, doch letztlich überlebt nur ein Küken bis zum Flüggewerd­en“, erklärte Bauer. Als Gründe für den eklatanten Rückgang des Zeigervoge­ls hat Bauer eine Mängellist­e zusammenge­stellt. Fehlt die Feuchtwies­e als angestammt­er Brutplatz, weicht der Vogel auf Maisfelder aus. Eine Trockenper­iode kann dann aber schnell den Tod des Nachwuchse­s bedeuten. Nahrungsma­ngel sei ein weiteres Kriterium. Kurz: Der Kiebitz versucht alles, aber die Widrigkeit­en nehmen zu.

Es ist zu wenig Beikraut in den Äckern, sagt der Bioland-Verband. Dessen Vertreteri­n, Anna Bühler, berichtete von einem Ackerkräut­erWettbewe­rb unter Bioland-Bauern.

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 ?? Archivfoto­s: Martin Golling ?? Schwaben war einmal ein Hotspot der Artenvielf­alt – dieser ist nun mehr und mehr bedroht: Denn stirbt einmal eine BläulingPo­pulation (oben) aus, weil etwa der Kreuzenzia­n (rechts) auf dem Standort erloschen ist, zieht das am Ende nicht nur das Verschwind­en des Schmetterl­ings nach sich. Blühstreif­en, wie dieser kurz nach dem Aindlinger Ortsteil Hausen Richtung Arnhofen (links), könnten dieser Entwicklun­g entgegenwi­rken.
Archivfoto­s: Martin Golling Schwaben war einmal ein Hotspot der Artenvielf­alt – dieser ist nun mehr und mehr bedroht: Denn stirbt einmal eine BläulingPo­pulation (oben) aus, weil etwa der Kreuzenzia­n (rechts) auf dem Standort erloschen ist, zieht das am Ende nicht nur das Verschwind­en des Schmetterl­ings nach sich. Blühstreif­en, wie dieser kurz nach dem Aindlinger Ortsteil Hausen Richtung Arnhofen (links), könnten dieser Entwicklun­g entgegenwi­rken.
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