Eine Goldgrube für Abzocker
Die Zahl der Betrugs- und Korruptionsfälle im Gesundheitswesen steigt dramatisch an. Viele Taten kommen nur durch Zufall ans Licht. Aber es drohen harte Strafen
München Viele Jahre lang hat ein Mann in München seiner Frau widerwillig dabei zugeschaut, wie sie gemeinsam mit einer Ärztin und einem Masseur systematisch ihre private Krankenversicherung abzockte. Dann hatte er von dem betrügerischen Treiben genug. Er marschierte zur Polizei und erstattete Anzeige. Über die tieferen Beweggründe des Ehemanns schweigt sich die Staatsanwaltschaft München I aus. Das Ergebnis ihrer Ermittlungen aber zeigt, dass oft schon ein einziger derartiger Hinweis ausreicht, um einen Betrügerring wie ein Kartenhaus zusammenbrechen zu lassen: Allein diese eine Zeugenaussage setzte ein Ermittlungsverfahren gegen 24 Patienten in Gang. Einige von ihnen mussten, obwohl sie nicht vorbestraft waren, sogar direkt ins Gefängnis.
„Der Abrechnungsring“, wie Staatsanwaltschaft und Kripo in München diesen Fallkomplex genannt haben, ging mit einer scheinbar sicheren Betrugsmasche zu Werke. Ärztin und Masseur stellten der Patientin Leistungen und Behandlungen in Rechnung, die nie erbracht worden waren. Die Patientin rechnete mit ihrer Krankenkasse ab und teilte sich den Erlös mit Ärztin und Masseur – je zur Hälfte und immer in bar.
Der Schaden, der allein in diesem Fallkomplex den privaten Krankenkassen und damit allen dort Versicherten entstanden ist, wird von der Staatsanwaltschaft auf 500000 Euro beziffert. Er liegt aber wohl eher bei 1,5 Millionen Euro, weil das „Geschäftsmodell“etwa 20 Jahre betrieben wurde, die Betrügereien aber, die länger als fünf Jahre zurücklagen, wegen Verjährung strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden konnten.
Und der Fall ist nur einer von vielen, die die Schwerpunktstaatsanwaltschaft München in Zusammenarbeit mit der Münchner Kripo in Südbayern bearbeitet. Nicht nur private, auch gesetzliche Krankenversicherungen werden betrogen. Hier funktionieren die Betrügereien auch ohne Mitwirkung der Patienten, die in der Regel gar nicht wissen, welche Leistungen ihr Arzt der Krankenversicherung in Rechnung stellt. Allein von Januar 2017 bis November 2018 stieg die Zahl der Ermittlungsverfahren von rund 80 auf 188 an. Darunter sind 117 Verfahren, die akademische Heilberufe betreffen. In 42 Verfahren wird wegen Betrügereien bei Pflegediensten ermittelt. In den übrigen Fällen geht es um Betrug bei physiotherapeutischen Leistungen, in Krankenhäusern und in Apotheken.
Die Staatsanwälte betonen zwar ausdrücklich, dass die weit überwiegende Mehrheit der Ärzte, Apotheker, Physiotherapeuten und Pflegedienste korrekt abrechnet. Dennoch sei das, was bekannt werde, vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Denn das System lade zum Betrug geradezu ein. „Wenn sie die Schwachstellen kennen, ist das eine Goldgrube“, sagt Oberstaatsanwalt Richard Findl. Und die Ermittlungen seien kompliziert und äußerst aufwendig. „Eine Sisyphus-Arbeit“, sagt der Münchner Kriminaloberrat Jürgen Miller. Zum Beleg präsentiert er ein Foto: über 100 Pappschachteln mit Unterlagen – sichergestellt bei einer einzigen Durchsuchung.