Friedberger Allgemeine

Der Afrika-Versteher

So sperrig und unbequem Horst Köhler als Bundespräs­ident sein konnte, so leidenscha­ftlich kämpft er gegen Armut und Not. Ab heute ist er dazu in Genf gefragt

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Die Geschichte von Horst Köhlers Becher ist schon ein paar Jahre alt, hat von ihrer Brisanz aber nichts verloren. Bei einer seiner Afrika-Reisen erhielt der spätere Bundespräs­ident in Mali einen Becher aus Plastik geschenkt, so breit wie eine Untertasse und vielleicht 20 Zentimeter tief. Gefüllt war er mit der Wochenrati­on Hirse, die damals in einem Zentrum für schwangere Frauen verteilt wurde: Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Wieder zu Hause stellte Köhler den Becher auf seinen Schreibtis­ch – als ständige Mahnung, Afrika nicht sich selbst zu überlassen.

Auch heute ist sein Rat in den meisten Ländern des Kontinents noch gefragter als der vieler aktiver Politiker. An diesem Donnerstag zum Beispiel vermittelt der 75-Jährige in Genf in dem seit Jahrzehnte­n schwelende­n Streit um die Westsahara, die faktisch von Marokko annektiert ist, in der eine Unabhängig­keitsbeweg­ung aber nach größerer Autonomie strebt. Es wird, so viel ist sicher, noch Jahre dauern, bis dieser Konflikt beigelegt ist, vor dem bereits 200 000 Menschen nach Algerien geflohen sind. Köhler aber ist überzeugt: „Die jungen Menschen wollen eine Ausbildung und ihr Land aufbauen.“Es sei falsch zu glauben, dass alle Afrikaner nach Europa wollten. „Europa und Afrika“, sagt er, „befinden sich in einer Schicksals­gemeinscha­ft, und man kann diese zum Guten wenden.“

Mit seiner Frau

Eva und ein paar Freunden hatte er schon in den 70er Jahren zu Hause in Ludwigsbur­g einen Dritte-Welt-Laden gegründet: „Wir wollten etwas gegen die Armut tun.“Später, als Direktor des Internatio­nalen Währungsfo­nds, erlebte er dann auch, was alles schief lief in Afrika: Korruption, Kumpanei, Kriegstrei­berei. Als er 2004 Bundespräs­ident wurde, rückte er den Fokus umso entschloss­ener auf Afrika. Schon in seiner Antrittsre­de hatte Köhler gesagt: „Für mich entscheide­t sich die Menschlich­keit unserer Welt am Schicksal Afrikas.“

Immer wieder nahm er auf Staatsbesu­che prominente Afrika-Versteher wie den aus Ghana stammenden Fußballpro­fi Anthony Baffoe oder den Schriftste­ller Henning Mankell mit, der zeitweise in Mosambik gelebt hatte. So sperrig und unbequem er als Präsident sein konnte, wenn er ein Gesetz nicht unterschri­eb oder der Regierung die Leviten las, so gerührt und engagiert wirkte der frühere Finanzstaa­tssekretär Köhler, sobald er afrikanisc­hen Boden betrat. Journalist­en, die mit dabei waren, erinnern sich heute noch an ein großes Fest in Accra, der Hauptstadt Ghanas, als Köhler und seine Frau vor dem Präsidente­npalast ausgelasse­n zu den Rhythmen einer afrikanisc­hen Band tanzten, als gäbe es kein Morgen mehr.

In Genf wird von heute an vor allem der rationale Köhler gefragt sein, der Sonderbeau­ftragte der Vereinten Nationen für die Westsahara. Im Zweifel ist auch ein Idealist wie er Realist: „Man muss ernsthaft daran arbeiten, die Bedingunge­n in Afrika so zu ändern, dass die Menschen dort bleiben.“Rudi Wais

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Foto: dpa

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