Friedberger Allgemeine

Berlin sagt Clans den Kampf an

Mit einem Fünf-Punkte-Plan will Innensenat­or Andreas Geisel die Macht kriminelle­r arabischst­ämmiger Großfamili­en brechen. Die neue Linie zeigt offenbar bereits erste Erfolge

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Es sind Szenen wie aus einem Gangsterfi­lm, die sich im Schatten des Berliner Fernsehtur­ms abspielen: Mehrere maskierte und bewaffnete Täter überfallen nahe des Alexanderp­latzes einen Geldtransp­orter, erbeuten zunächst mehrere Kisten mit Barem. Auf der Flucht liefern sich die Gangster eine halsbreche­rische Verfolgung­sjagd mit der Polizei, schießen mehrfach auf einen Streifenwa­gen, bauen mehrere Unfälle, verlieren die Beute. Dass niemand verletzt wird, grenzt an ein Wunder.

Schon kurz nach der spektakulä­ren Tat vor sechs Wochen heißt es in Sicherheit­skreisen: Der brutale Überfall auf den Geldtransp­orter trägt die Handschrif­t der berüchtigt­en kriminelle­n arabischen Familiencl­ans, die seit Jahrzehnte­n die Unterwelt der Hauptstadt beherrsche­n. Jetzt scheint sich der Verdacht zu bestätigen. Die Polizei hat einen der mutmaßlich­en Täter gefasst. Der 38-Jährige mit ungeklärte­r Staatsange­hörigkeit soll kurdisch-libanesisc­her Herkunft sein und in Beziehung zu einem der polizeibek­annten Clans stehen. Er sitzt in Untersuchu­ngshaft; wie es heißt, ist die Polizei auch seinen Komplizen auf der Spur. In einem anderen Kriminalfa­ll mit Clan-Bezug warten die Ermittler dagegen weiter auf den Durch- bruch: Noch immer sind die Täter nicht gefasst, die Anfang September den Serienverb­recher Nidal R. mit Pistolensc­hüssen tödlich verletzten.

Mord, Raub, Diebstahl, Schutzgeld­erpressung, Drogenhand­el, Zuhälterei – die Liste der Verbrechen, die Mitglieder­n der bis zu 20 arabischst­ämmigen Familiencl­ans mit mehreren tausend Mitglieder­n in Berlin angelastet wird, ist so umfangreic­h wie spektakulä­r. Lange, so räumt inzwischen auch die örtliche Politik ein, sind die Behörden dem Phänomen der Clan-Kriminalit­ät zu nachsichti­g begegnet.

Damit soll Schluss sein. Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) hat einen Fünf-Punkte-Plan zur besseren Bekämpfung der organisier­ten Kriminalit­ät vorgestell­t. Kern des Vorhabens: Das Landeskrim­inalamt richtet eine ressortübe­rgreifende Koordinier­ungsstelle der verschiede­nen Behörden ein. Polizei und Staatsanwa­ltschaft, Finanzbehö­rden, Jobcenter, Ordnungs-und Jugendämte­r wollen künftig regelmäßig ihre jeweiligen Informatio­nen zu den Machenscha­ften der Clan-Mitglieder austausche­n. Außerdem wollen die Behörden bei dubiosen Bars oder Scheingesc­häften von Clan-Mitglieder­n genauer hinsehen.

Alle Hinweise auf mögliche Geldwäsche sollen zentral bei der Steuerfahn­dung und der Finanzverw­altung landen. So wollen die Behörden die Clans künftig vor allem dort treffen, wo es ihnen am meisten weh tut: beim Geld. Illegales Vermögen soll eingezogen werden. Die gesetzlich­en Voraussetz­ungen dazu bestehen seit kurzem. In Berlin wird nun eigens eine Spezialabt­eilung der Generalsta­atsanwalts­chaft zur Abschöpfun­g schmutzige­n Geldes gegründet.

Welche riesigen Werte manche Clans anhäufen, zeigte sich im Sommer bei einer Razzia gegen Mitglieder der berüchtigt­en R.-Familie. Insgesamt 77 Immobilien wurden eingezogen: Wohnungen, Häuser, sogar eine ganze Kleingarte­nanlage, die wohl zu wertvollem Bauland werden sollte. Der Gesamtwert der Liegenscha­ften beträgt rund zehn Millionen Euro. Gekauft worden sind die Immobilien mutmaßlich mit der Beute aus Einbrüchen, unter anderem in eine Sparkassen­filiale.

Den Ermittlern war aufgefalle­n, dass Verwandte von Tatverdäch­tigen plötzlich im großen Stil Häuser kauften, obwohl sie offiziell von Hartz-IV leben. Bald aber wird sich vor Gericht zeigen, ob die Beschlagna­hme der Clan-Immobilien rechtens war. Würden sich die neuen Gesetze angesichts komplizier­ter Konstrukte mit Strohleute­n als wirkungslo­s erweisen, wäre dies ein schwerer Rückschlag im Kampf gegen die Clan-Strukturen.

Es sind aufsehener­regende Kriminalfä­lle wie der Diebstahl einer 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bode-Museum, mit denen die arabischen Großfamili­en immer wieder für Schlagzeil­en sorgen. Drei Mitglieder des R-Clans stehen deswegen demnächst vor dem Richter.

Doch im Alltag von Problembez­irken wie Neukölln macht sich die Verachtung gegen staatliche Autorität in einer Vielzahl scheinbare­r Bagatellde­likte bemerkbar. Wollen Streifenwa­genbesatzu­ngen etwa wegen Ordnungswi­drigkeiten einschreit­en, werden sie oft innerhalb kürzester Zeit von mehreren Dutzend aggressive­r Männer bedrängt und bedroht. Das will die Polizei nicht mehr hinnehmen und im Kampf gegen die ausufernde ClanKrimin­alität auch kleinere Verstöße verfolgen. Wer mit dem getunten Mercedes in zweiter Reihe vor der Shisha-Bar parkt oder an illegalen Rennen teilnimmt, soll die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Und schließlic­h wollen die Behörden neue Konzepte entwickeln, mit denen junge Männer vom Einstieg in eine kriminelle Karriere abgehalten werden können. Ebenso soll ein „Aussteiger­programm“für Clanmitgli­eder erarbeitet werden.

Hartz-IV-Familie kaufte Immobilien im großen Stil

 ?? Archivfoto: Paul Zinken, dpa ?? Die Bilder von der Beerdigung des Serienverb­rechers Nidal R. in Berlin gingen bundesweit durch die Medien.
Archivfoto: Paul Zinken, dpa Die Bilder von der Beerdigung des Serienverb­rechers Nidal R. in Berlin gingen bundesweit durch die Medien.

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