Droht bald ein neues Wettrüsten?
Russland und USA rütteln am Verbot neuer Mittelstreckenraketen
Brüssel Die Außenminister der Nato waren am Dienstag noch nicht einmal in Brüssel angekommen, da setzte Moskau bereits ein Zeichen der Entspannung. Russland habe die Blockade ukrainischer Häfen beendet, bestätigte die Regierung in Kiew. In der Vorwoche waren in der Nähe der Krim russische Militäreinheiten und ukrainische Schiffe aneinandergeraten, woraufhin Moskau die Zufahrt zum Asowschen Meer gesperrt hatte. Doch Brüssel wittert ein Katz-und-Maus-Spiel: „Wir werden die Versuche Russlands, die Lage in der Region zu destabilisieren, offen ansprechen“, sagte NatoGeneralsekretär Jens Stoltenberg. „Und wir sind besorgt über die Entwicklung neuer Mittelstreckenwaffen durch Moskau. Die derzeitige Situation ist unhaltbar.“
Das Bündnis ist verärgert – und stellt sich demonstrativ hinter USPräsident Donald Trump. Der hatte angekündigt, den INF-Vertrag über landgestützte Mittelstreckenraketen aufzukündigen. Das Abkommen von 1987 verbietet Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern. Moskau bestreitet, dass es an derartigen Waffensystemen arbeitet, die Allianz führt dagegen das neue System SSC-8 an.
Die USA setzen Russland nun ein Ultimatum von 60 Tagen, um sich wieder an den INF-Vertrag zu halten. Wenn Russland darauf nicht reagiert, wollen die USA das Abkommen aufkündigen. Sie hätten in der Vergangenheit „maximale Geduld“gezeigt, sagte US-Außenminister Mike Pompeo am Dienstag nach Beratungen mit den Kollegen der anderen Nato-Staaten in Brüssel. Wenn Russland den Vertrag allerdings weiter verletze, ergebe es für die USA keinen Sinn mehr, im Vertrag zu bleiben. Das geplante Vorgehen gilt als Kompromiss unter den Nato-Partnern. Die Bundesregierung verfolgt im Rahmen der Nato einen eher weichen Kurs. Zu groß sind die Ängste vor einem neuen atomaren Wettrüsten auf europäischen Boden.
Wenn Moskau innerhalb der Frist kein Bekenntnis zur bestehenden Abrüstung ablege, wolle man reagieren, hieß es nun in Brüssel. Im Gespräch scheint eine eher moderate Antwort zu sein. „Die Nato wird nicht eins zu eins das machen, was Russland macht“, sagte Stoltenberg. War das eine Absage an ein eigenes Raketenabwehrprogramm oder neue Atomraketen in Europa? Experten sprechen davon, dass die Allianz alles vermeiden müsse, um eine scharfe Gangart zu wählen, weil sie sich damit selbst überfordern würde. Denn die Modernisierung der bestehenden Abwehrsysteme dürfte rund fünf Jahre dauern und etliche Milliarden verschlingen, die die Europäer nicht haben – von den politischen Folgen ganz abgesehen.
Viele erinnern sich noch an die Massendemonstrationen der siebziger Jahre, als die westlichen Staaten von einer Welle des Widerstands gegen die Stationierung der USamerikanischen Mittelstreckenraketen Pershing II überrollt wurden.