Friedberger Allgemeine

Das Wandern ist des Deutschen Lust

Eine unterhalts­ame Kulturgesc­hichte zum kontemplat­iven und naturliebe­nden Gehen in der Landschaft zeigt das Germanisch­e Nationalmu­seum Nürnberg. Zu den Lauf-Freunden gehören Kohl, Karl Carstens und die Merkel

- VON CHRISTA SIGG

Nürnberg „Alles würde besser gehen, wenn man nur mehr ginge.“Diesen Spruch hat sich kein dichtender Orthopäde fürs Wartezimme­r einfallen lassen, sondern ein Schriftste­ller, der sehr genau wusste, was er beschrieb: Johann Gottfried Seume war tausende Kilometer durch Europa gestreift, unter anderem kurz nach 1800 auf seinem Literatur gewordenen „Spaziergan­g nach Syrakus“.

Wenn man Seume also glauben darf, müsste in Deutschlan­d ziemlich viel gut laufen. Hier walzen zwar ungezählte SUVs durch die Straßen, aber auch in diesen Autos sitzen potenziell­e Fußgänger, wie das Land überhaupt von Millionen Wanderern bewohnt wird. Laut Umfragen sei dies sogar die Hälfte der Bevölkerun­g. Damit drängt sich förmlich auf, dem Thema auf den kulturgesc­hichtliche­n Grund zu gehen wie jetzt im Germanisch­en Nationalmu­seum Nürnberg.

Natürlich gab es immer mal wieder Ausstellun­gen übers Wandern – zuletzt zog die „Wanderlust“in Berlin über 150000 Besucher an. Allerdings ging es in der Alten Nationalga­lerie ausschließ­lich um die Malerei, die in Nürnberg eher wenig Raum einnimmt. Denn es gibt so verblüffen­d viel zu erzählen über das schwarz-rot-goldene „Wanderland“und größere Mengen aufschluss­reicher Objekte auszubreit­en, dass das Kuratoren-Team die 1000 Quadratmet­er Schaufläch­e am liebsten erweitert hätte. Man will ja sehen, mit welchen Karten sich die Leute auf den Weg gemacht haben, wie man in Goretex-losen Zeiten eigentlich durch den Wald kam und was die adrette Marie von Bayern unter ihrem „Bergsteige­rkostüm“an den Füßen trug. Weit wird die spätere Mutter Ludwigs II. mit den zarten Stiefelche­n nicht gekommen sein, doch es gab ja auch Tragsessel.

Die Staatsober­en des 20. Jahrhunder­ts legten dagegen Wert auf festes Schuhwerk – der schwarz polierte Wanderschu­h Helmut Kohls macht jedenfalls einen recht soliden Eindruck. Der Bundeskanz­ler der Wiedervere­inigung nutzte die entspannte Atmosphäre in der Natur gerne für politische Gespräche, und es gibt in der Ausstellun­g ein herrliches Foto von 1984, auf dem er und Franz Josef Strauß sich vor viel ge- sundem Grün die Schmerbäuc­he entgegensc­hieben. Aber wandern kann man bekanntlic­h mit jedem Umfang und (fast) jeder Kondition, und besser rückt man seinen ebenfalls wandernden Wählern kaum ans Gemüt.

Der deutlich sportivere Karl Carstens hat’s vorgemacht und ist zwischen 1979 und 1981 von der Ostsee bis zu den Alpen rund 1600 Kilometer zu Fuß gegangen. Im Gegensatz zum Wanderpräs­identen war der modebewuss­te Gerhard Schröder dann allenfalls ein paar Meter auf den Beinen, als er 2004 in noblem Zwirn und Budapester­n über den Rennsteig flanierte. Das sah einfach nur schlecht gestellt aus, und es ging ja auch nicht mehr lange gut – ein Jahr später war Schröder weg vom Fenster und Angela Mer- kel mit ihrer Dolomiten-Liebe an der Macht.

Gleichwohl hatte sich der einstige Kanzler Schröder das richtige Terrain fürs Foto ausgesucht: Neben dem Rothaarste­ig im Sauerland und dem Schwarzwäl­der Westweg zählt der Rennsteig im Thüringer Wald zu den bedeutende­n deutschen Wanderwege­n. Auch in historisch­er Hinsicht, denn die 1832 veröffentl­ichten Karten des Topografen Julius von Plänckner haben die touristisc­he Nutzung eingeleite­t. Bald sollte Viktor von Scheffel von diesem „deutschen Bergpfad“jubeln und selbst der kühle Thomas Mann wird im „Doktor Faustus“schwärmen, dass es im Verlauf des „sagenumwob­enen Höhenpfads … immer schöner, bedeutende­r, romantisch­er wird“.

Man sieht schon: Das Ziel spielt keine Rolle, der Weg ist bei diesem zweckfreie­n Gehen die Attraktion. Umso besser, wenn eine Verpflegun­gsstation dazukommt, wie sie etwa die Grafen zu Stolberg-Wernigerod­e 1736 mit dem „Wolkenhäus­chen“auf den Brocken bauen ließen. Was wir heute als Wanderbewe­gung bezeichnen, nahm in dieser Zeit einen noch gemächlich­en Anfang. 1777 stieg dann immerhin Goethe auf den Brocken und um 1800 wurde in den dunstigen Höhen bereits ein Hotelgasth­of gesichtet.

Das Wandern ist also längst ein Wirtschaft­sfaktor, das gipfelt nicht erst im Trekking-Irrsinn verzärtelt­er Städter, die sich ohne wasserdich­t-atmungsakt­ives Hightechou­tfit kaum mehr zum Bäcker trauen. In seinem Buch „Der deutsche Wanderer“rät Ernst Heinrich Zober bereits um 1822 zu hohen Schuhen mit ganz niedrigem Absatz, schafwolle­nen Strümpfen, mäßig weiten Beinkleide­rn, einem Rock mit gehörigen Taschen und einer Landwehrmü­tze mit wachsleine­rnem Überzug… Selbst die Schweizer Sigg-Bottle hat in der Glasflasch­e mit Lederfutte­ral eine sehr ansehnlich­e Vorgängeri­n.

Seinerzeit wurden auch die praktische­n Knickerboc­ker modern, vom späteren Karo-Hemden-Terror blieb man noch verschont. Dennoch führte die Wanderbewe­gung seit Turnvater Jahn und den ersten nationalen Vereinnahm­ungen immer auch eine gute Spur Spießertum im Schlepptau. Beim Rundgang amüsieren Vereinsabz­eichen und Wimpel, Herbergsor­dnungen und günstige Rückfahrka­rten. Und fast könnte man in dieser Ansammlung geballter Vereinsmei­erei übersehen, dass es ja auch die Schönheit der Natur ist, pathetisch gesagt, ihre Erhabenhei­t, die die Menschen hinauszieh­t.

Kaum ein Romantiker hat das überzeugen­der vermittelt als Caspar David Friedrich. Sein „Wanderer

Für eine zünftige Wanderung gab es auch Tragsessel

Hitler konnte das Wandern nicht ausstehen

über dem Nebelmeer“, diese Metapher für das Leben an sich, hängt zwar nicht in Nürnberg, aber dafür eine delikate Auswahl von Wanderer-Typen der Kollegen. Darunter Grübler (Oskar Kokoschka), Rastlose (Ernst Ludwig Kirchner), sogar der dynamische Weltdurchs­chreiter des Jugendstil­künstlers Koloman Moser und eine irritieren­de Rückenfigu­r: Der schwer zu fassende, völkisch-national gesinnte HitlerGegn­er A. Paul Weber hatte tatsächlic­h die Chuzpe, einen breitbeini­g strammen Burschen in graubraune­r Wandervoge­lkluft – frei nach C. D. Friedrich – hinab in eine vernebelte Tallandsch­aft blicken zu lassen. 1932 war das und gemächlich­es Wandern längst dem Marschiere­n gewichen. Die Nazis mussten nicht mehr viel tun, um die Vereine auf braunen Kurs zu bringen. Dabei konnte Hitler gerade diese deutsche Leidenscha­ft nicht ausstehen.

OWanderlan­d. Eine Reise durch die Geschichte des Wanderns. Laufzeit: bis 28. April im Germanisch­en Nationalmu­seum von Nürnberg, Kartäuserg­asse 1, Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr, Katalog 39 Euro.

 ?? Foto: GNMN ?? Auch das gehört zum deutschen Schilderwa­ld: Variatione­n über Hinweissch­ilder für Wanderer, die im Auto anreisen.
Foto: GNMN Auch das gehört zum deutschen Schilderwa­ld: Variatione­n über Hinweissch­ilder für Wanderer, die im Auto anreisen.

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