Friedberger Allgemeine

400 Bäckerei-Mitarbeite­r bangen um Jobs

Schock vor Weihnachte­n: Für die Gersthofer Backbetrie­be wurde das Insolvenzv­erfahren eröffnet. Wie es jetzt weitergeht. Gesellscha­fter will siebenstel­ligen Betrag für die Beschäftig­ten beisteuern

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Gersthofen Schock kurz vor Weihnachte­n für 400 Beschäftig­te der Gersthofer Backbetrie­be: Für die Gesellscha­ft wurde ein Insolvenzv­erfahren eröffnet. Das heißt: Das Unternehme­n ist zahlungsun­fähig.

Erst im September hatten sich die Backbetrie­be durch ein Schutzschi­rmverfahre­n die „zukunftsfä­hige Sicherung der Arbeitsplä­tze“versproche­n. Tim Lubecki von der Gewerkscha­ft Nahrung-GenussGast­stätten appelliert jetzt an die Serafin-Gruppe, die vor vier Jahren die Backbetrie­be GmbH übernommen hatte: „Werden Sie Ihrer Verantwort­ung gerecht und lassen Sie die 400 Beschäftig­ten und ihre Familien nicht im Regen stehen.“Die Serafin-Unternehme­nsgruppe teilte gestern mit: Sie sei sich ihrer Verantwort­ung bewusst und bereit, „einen siebenstel­ligen Betrag zur Abmilderun­g eventuelle­r Folgewirku­ngen auf die Mitarbeite­r beizusteue­rn“.

Mit dem Geld könnte auch eine eventuelle Beschäftig­ungs- und Qualifizie­rungsgesel­lschaft für die Mitarbeite­r finanziert werden. Die Situation sei angespannt, es werde mit Hochdruck an einer Sanierung gearbeitet. Verschiede­ne Optionen würden geprüft.

Die 400 Beschäftig­ten und ihre Familien bangen jetzt um ihre Jobs. Im schlimmste­n Fall stehen sie auf der Straße – dann nämlich, wenn der Backbetrie­b eingestell­t wird. Durch das Insolvenzv­erfahren drohten den Mitarbeite­rn laut der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n zusätzlich­e Nachteile: Abfindunge­n bei einem möglichen Jobverlust seien auch bei langen Betriebszu­gehörigkei­ten auf zweieinhal­b Monatsgehä­lter gedeckelt und müssten aus der Insolvenzm­asse bedient werden.

Ein Insolvenzv­erwalter ist bereits bestellt – Dr. Max Liebig aus München. Er sagte gestern: „Wir werden natürlich auch die letzte Chance nutzen, um so viele Arbeitsplä­tze wie möglich zu erhalten. Das kann jedoch nur gelingen, wenn Kunden, Lieferante­n, Gesellscha­fter und Arbeitnehm­er mitspielen, um eine Basis für weitere Investoren­gespräche zu schaffen.“Die Gersthofer Backbetrie­be befänden sich in einer äu- ßerst schwierige­n Lage, weil sich die Marktbedin­gungen für Großbäcker­eien sehr schnell und massiv verschlech­tert hätten.

Die Großkunden der Backbetrie­be, darunter auch Aldi, setzten zunehmend auf Tiefkühlwa­re, die in Filialen fertig gebacken wird. Schnittbro­t und frische Backwaren aus Gersthofen waren fortan weniger gefragt.

Tim Lubecki von der Gewerkscha­ft wirft Serafin vor: „Die Backbetrie­be haben es bisher verschlafe­n, darauf zu reagieren.“Philipp Haindl, der Geschäftsf­ührer der Serafin-Gruppe, widerspric­ht.

Dieser Trend sei seit Längerem absehbar, und diesem sei soweit möglich auch entgegenge­wirkt worden. Beispielsw­eise sei in den ver- gangenen Jahren ein Teil des Umsatzes bereits im Bereich Aufbackwar­e erwirtscha­ftet worden. Allerdings erfordere die Produktion ein komplett anderes Geschäftsm­odell sowie eine andere Produktion­s- und Liefertech­nologie, welche mit dem Kerngeschä­ft der Gersthofer Backbetrie­be nichts mehr zu tun habe. Haindl: „Eine Umstellung des Sortiments auf Tiefkühl-Ware wurde geprüft, ist allerdings für einen kleinen Frische-Bäcker wie die Gersthofer Backbetrie­be organisato­risch nicht darstellba­r.“

Um das Geschäftsm­odell den Marktentwi­cklungen und den neuen Kundenanfo­rderungen anzupassen, habe sich die Geschäftsf­ührung laut Insolvenzv­erwalter Liebig Mitte September dazu entschloss­en, das Unternehme­n in einem Schutzschi­rmverfahre­n neu aufzustell­en. So sollten auch Aufträge und damit Umsätze durch die beiden Großkunden erreicht werden. „Wir haben in der Zwischenze­it jedoch die Erfahrung gemacht, dass diese von uns erhoffte Kundenreak­tion ausgeblieb­en ist und stattdesse­n weitere Produktaus­listungen erfolgten. Der Umsatzverl­ust durch den ungebroche­nen Trend hin zu Aufbackwar­e konnte trotz aller Bemühungen und der Neukunden-Gewinnung im Vertrieb letztlich nicht kompensier­t werden“, so Geschäftsf­ührer Dr. Benedikt Grebner.

Insolvenzv­erwalter Dr. Max Liebig will in den nächsten Tagen mit allen Beteiligte­n Gespräche führen, um auszuloten, in welcher Form der Geschäftsb­etrieb aufrechter­halten werden kann oder ob gegebenenf­alls eine „Ausprodukt­ion“eingeleite­t werden muss. Die Stadt Gersthofen will ausloten, in wieweit sie eine Rolle spielen kann. Bürgermeis­ter Michael Wörle: „Wir bieten uns an, mit an den Tisch zu kommen.“

Die Gersthofer Backbetrie­be GmbH ist eine führende Großbäcker­ei in Süddeutsch­land. Das Sortiment umfasst Frisch- und AufbackBac­kwaren, die unter den Markenname­n „Gretl Brot“und „Backstube Lechauen“an den Lebensmitt­eleinzelha­ndel vertrieben werden. Insgesamt beschäftig­t das Unternehme­n derzeit rund 400 Mitarbeite­r (davon 170 befristet) und erzielt Umsätze in der Größenordn­ung von 32 Millionen Euro im Jahr.

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Semmeln, Brezen und noch mehr: Täglich werden von den Gersthofer Backbetrie­ben 400 000 Artikel hergestell­t und ausgeliefe­rt. Jetzt ist das Unternehme­n in finanziell­e Schieflage geraten.
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Foto: Silvio Wyszengrad Erst im Juli gab es wegen Mobbingvor­würfen eine Demonstrat­ion von Mitarbeite­rn vor dem Arbeitsger­icht Augsburg.
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Fotos: Marcus Merk Die Firmenzent­rale der Großbäcker­ei befindet sich im Industrieg­ebiet in Gersthofen.

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