Zwischen Kaiserbild und roter Fahne
Der Augsburger Arbeiter- und Soldatenrat verteidigt im November 1918 seine Macht gegen bürgerliche Angriffe. Auf einer Versammlung im Ludwigsbau kommt es zu tumultartigen Szenen. Eine Zeitungsredaktion wird gestürmt
Augsburg, Ende November 1918: Besucher des Bezirkskommissariats Lechhausen beschweren sich über ein Bild des abgesetzten Kaisers Wilhelm II. in der Amtsstube. Auf Anfrage des Bezirkskommissärs bei der Stadtverwaltung rät diese, dem Bild „einen Platz anzuweisen, an dem es den Augen des Publikums entzogen ist. Kurz darauf meldet das Bezirkskommissariat Vollzug: „Das Bild ist umgehängt!“
Diese Episode steht beispielhaft für die Situation nach dem Umsturz vom 8. November 1918: Während der Arbeiter- und Soldatenrat im Augsburger Rathaus seine Arbeit aufnimmt, gibt es immer wieder Versuche, dessen Macht einzuschränken oder gar zur Monarchie zurückzukehren.
Unmittelbar nach der Revolution herrscht zunächst eine Art „Doppelherrschaft“: Die vorrevolutionären Gremien der Stadt, also die Stadtregierung, der Magistratsrat und das Gemeindekollegium tagen weiter, allerdings zunächst unter „Überwachung“durch den Arbeiter-
Brückenbauer zwischen alten und neuen Machthabern
und Soldatenrat: Als diese Gremien gegen diese Überwachung protestieren, weist Ernst Niekisch, der Vorsitzende des Augsburger Arbeiterund Soldatenrats, den Protest zunächst kategorisch zurück, doch wenige Tage später wird die „Überwachung“der Gremien aufgehoben. Doch können diese Gremien ohnehin nicht gegen den ASR arbeiten, da Mitglieder des ASR gewählte Mitglieder dieser Gremien waren, allen voran Karl Wernthaler und der SPD-Ortsvorsitzende Georg Simon, die so immer mehr zu „Brückenbauern“zwischen alten Gewalten und neuen Machthabern wird.
Gefahr droht den neuen Machthabern jedoch vonseiten der Offiziere, diese hatten zwar kurz nach dem Umsturz ihr schriftliches Ehrenwort gegeben, nichts gegen den Arbeiterund Soldatenrat zu unternehmen und an der Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin vor allem in den Kasernen mitzuwirken, doch kommt es bereits eine Woche später zu einer geheimen Offiziersversammlung, die auf den schärfsten Protest des Arbeiter- und Soldatenrats stößt. Anfang Dezember kommt es sogar zu einem „Offiziersstreik“, der sich vordergründig nicht direkt gegen den Arbeiterund Soldatenrat richtet, sondern der Forderung nach Beibehaltung der Bezüge Nachdruck verleihen soll, eine Forderung, die schließlich auch vom Arbeiter- und Soldatenrat unterstützt wird, gleichzeitig werden die Offiziere aber ultimativ aufgefordert, ihren Dienst wieder aufzunehmen.
Ab Dezember kehren immer mehr Augsburger Truppenteile in ihre Kasernen zurück. Zum Empfang der Truppen wird am Bahnhof eine Art Ehrenpforte errichtet und auch das Rathaus wird entsprechend geschmückt. Bei der Frage, wer die heimkehrenden Truppen als Erstes begrüßen darf, beharrt der Arbeiterund Soldatenrat darauf, als „Inhaber der tatsächlichen Macht“das erste Wort zu haben, so wie „unter dem alten System den Vertretern des Monarchen der Vorrang bereitwilligst eingeräumt wurde“.
Auch der Versuch, die rote Fahne vom Rathaus zu entfernen, scheitert am entschiedenen Widerstand des Arbeiter- und Soldatenrats, der aber neben der roten Fahne auch Fahnen in den Augsburger Stadtfarben sowie die bayerische Fahne und auch die demokratische schwarz-rot-goldene Fahne hissen lässt. Die Schwäbische Volkszeitung stellt aber befriedigt fest: „Die rote Fahne flattert lustiger als je vom Augsburger Rathaus.“
Zum eigentlichen Gegenspieler des Arbeiter- und Soldatenrats ent- wickelt sich – nicht nur in der Fahnenfrage – die katholische Zentrumspartei, die sich in Bayern nun Bayerische Volkspartei nennt, und die ihr nahestehende Neue Augsburger Zeitung.
Vor allem Justiz- und Magistratsrat Reisert lässt keine Gelegenheit aus, gegen den Arbeiter- und Soldatenrat und die ihn tragende Sozialdemokratie zu wettern: Der Arbeiterund Soldatenrat sei nur ein Provisorium, er wirft der Sozialdemokratie vor, privates Eigentum abschaffen zu wollen, vor allem wolle die Sozialdemokratie die Religion abschaffen und sei so eine Gefahr für die christliche Familie. Als Reisert diese Vorwürfe auf einer BVP-Versammlung im Ludwigsbau Anfang Dezember unter dem Beifall seiner Anhänger vorbringt, protestieren anwesende junge Sozialdemokraten lautstark und versuchen das Podium zu stürmen, dabei kommt es zu tumultartigen Szenen, sodass die Versammlung abgebrochen werden muss und die Anwesenden fluchtartig den Saal verlassen. Reisert sieht in der „verabredeten Sprengung der Versammlung“eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, doch der Arbeiterund Soldatenrat und damit die führenden Sozialdemokraten streiten jegliche Beteiligung an der Sprengung ab und werfen Reisert ihrerseits vor, durch seine aufreizenden Ausführungen schuld am Tumult gewesen zu sein, daher drohen sie ihm bei „neuerlichem hetzerischem Auftreten mit ernsthaften Maßnahmen“.
So schaukelt sich der Konflikt zwischen Sozialdemokraten und der katholisch-konservativen BVP gerade auch im nun einsetzenden Wahlkampf für die Wahlen zur bayerischen und zur deutschen Nationalversammlung immer mehr hoch, bis am 9. Januar 1919 Anhänger der Sozialdemokratie die Redaktionsräume und die Druckerei der Neuen Augsburger Zeitung stürmen, um Flugblätter und Plakate auf die Straße zu werfen.
Die SPD-Führung und der Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrats Niekisch distanzieren sich zwar umgehend von den Ausschreitungen: „Mit solchen Gewaltmitteln arbeitet man nur der Reaktion in die Hände und liefert Wasser auf die Mühle der bürgerlichen Parteien.“Dennoch verschärft sich das politische Klima in Augsburg.
OGesucht werden Fotografien aus der Zeit von 1918/19. Möglichst gescannte Fotos bitte einsenden an: info@geschichtsagentur-augsburg.de Der Augsburger Historiker Reinhold Forster will mit der Geschichtsagentur Augsburg historisches Wissen vermitteln.
Weiter geht es am Samstag, 5. Januar, um den Wahlkampf und um die Entstehung einer Protestbewegung der Arbeitslosen.
● Augsburg am Vorabend der Revolution (3. November)
● Die rote Fahne über Augsburg (8. November)