Kleine Passagen voller Überraschungen
Fernab der Haupteinkaufsstraßen gibt es in der Augsburger Innenstadt etliche inhabergeführte Geschäfte. Die meisten Betreiber leben hier von Stammkunden. Doch das Geschäftsleben im Abseits ist nicht immer einfach
Meist werden sie nur genutzt: Fußgänger gehen hindurch, um etwa von der Annastraße zum Rathausplatz zu gelangen oder von der Philippine-Welserin die kurze Maxstraße. Dabei sind die kleinen Passagen und Gassen in der Innenstadt mehr als Abkürzungen. Hier gibt es einiges zu entdecken – vor allem inhabergeführte Läden. Doch das Geschäftsleben im Abseits ist nicht immer einfach.
„Wenn sie eine andere Schuhgröße brauchen, geben sie mir Bescheid“, sagt Isabell Peuker auf Englisch zu einer Kundin. Die Inhaberin des Geschäftes „Torobella“, das spanische Schuhmode anbietet, ist Touristen gewöhnt. Ihr Laden liegt in einer Passage, die die Annastraße mit der Steingasse verbindet. Im Volksmund heißt sie „AttingerPassage“nach einem ehemaligen Geschäft. „Touristen finden mich leichter als Augsburger. Sie haben mehr Zeit, in die Gassen zu schauen.“Peuker lacht und berichtet von einer Augsburgerin, die neulich überrascht ihren Laden betrat. „Sie sagte, sie gehe seit zwei Jahren auf dem Weg zur Arbeit täglich durch die Passage, aber ich sei ihr bislang nie aufgefallen.“
André Köhn, Chef des Schwäbischen Handelsverbandes, bedauert, dass Läden im Abseits oft ein Schattendasein führen. Der Experte sieht hier großes Potenzial. „Im Stadtmarketing sollte man die Gassen mehr in den Fokus rücken“, wünscht er sich. Die Innenstadt habe lange Haupteinkaufslagen. Da seien Durchgänge wichtige Verbindungen. „Selbst bei Google gehen manche leider auf der Karte unter.“Dabei gebe es viele Geheimtipps, sagt Köhn. Wie etwa das „Toccata“in der Welser-Passage.
Die Passage verbindet die kurze Maxstraße mit der Philippine-Welser-Straße. Hier gibt es zwei Cafés sowie einen Sammler-Laden mit allerhand Skulpturen und Statuen. Und eben das „Toccata“. Mutter Helga Czerwenka und Tochter Angelika führen hier seit 13 Jahren den 36 Quadratmeter großen Musikfachhandel. Sie verkaufen klassische CD und Noten. Früher arbeitete die 70-jährige Czerwenka im Musikhaus Durner am Rathausplatz. Als dieses vor rund 17 Jahren schloss, eröffnete sie ihr eigenes Geschäft in der Welserpassage. „Viele Kunden kenne ich deshalb schon seit 30 Jah- ren.“Sie und ihre Tochter leben von Stammkunden. „Zu uns kommen die Domsingknaben, Musiklehrer, Pfarreien und Musikschulen. Doch die Laufkundschaft ist hier gleich Null.“Die Passage sei für viele nur ein Durchgang. Vielleicht, weil sie nicht sonderlich gepflegt sei, meinen beide. Der Privateigentümer, sagen die Czerwenkas, kümmere sich nicht. Was allein das Erscheinungsbild anbelangt, ist die parallel führende Maxpassage sicherlich die attraktivere.
Mit ihrem Ursprung im Jahr 1894 gilt sie als eine der ältesten Passagen Augsburgs. Vor neun Jahren wurde sie wieder modernisiert. Graues Pflaster, große Schaufensterfronten der Geschäfte für Bettwäsche, Da- menmode, Porzellan und Reformhauswaren sowie ein Glasdach machen den Durchgang modern und einladend. Ysabel Gfrörer vom Kaffee-, Tee- und Süßwarenladen „Augustin Exclusive“ist froh, dass sich die Eigentümergemeinschaft um die Passage kümmert.
Seit Anfang der 80er-Jahre gibt es das Augustin. „Mit der Annastraße, wo fast nur noch Ketten sind, kann man uns hier drin nicht vergleichen“, sagt Gfrörer. Stolz schwingt in ihrer Stimme mit. Es hat fast ein bisschen was von David gegen Goliath. Auch das Augustin lebt von seiner Stammklientel. „Wir sind zwar mitten in der Stadt, aber trotzdem abgeschieden“, fasst es Gfrörer zusammen. Ina Gantenbein kann ein Lied davon singen. Vor sieben Jahren hat sie das Dessous-Geschäft „Kokett“im Durchgang zwischen Rathausplatz und Annastraße von ihrer Mutter übernommen. Augsburger nennen den Weg „HummelPassage“. Die Großmutter hatte den Unterwäscheladen 1946 gegründet. „Meine Oma erlebte hier noch gute Zeiten“, sagt Gantenbein offen. Jetzt, aufgrund des großen Angebots und des Internethandels sei das Geschäft ungleich schwerer geworden. Hinzu käme die verborgene Lage. Die Geschäftsfrau würde gerne ihren Standort wechseln. Doch finanziell ist das für sie kaum zu stemmen, wenn sie sich die Ladenmieten in den Fußgängerzonen ansieht.
Für das leer stehende Geschäft in der Annastraße, wo einst die Unterwäschekette Hunkemöller zu finden war, hat sich Gantenbein interessiert. „Aber da werden Mieten abgerufen, die muss man sich erst einmal verdienen“, sagt sie. „10 000 Euro warm im Monat. Da müsste ich ja Diamanten auf die BHs kleben.“Die Geschäftsinhaberin bringt auf den Punkt, was einige Händler in den Durchgängen und Passagen aussprechen. Auch sie hätten gerne prominentere Lagen. Wie Isabell Peuker vom Schuhgeschäft „Torobella“. Die Annastraße liegt von ihrer „Attinger-Passage“nur wenige Meter ums Eck entfernt. „Aber schon kostet dort die Miete um das Vier- bis Fünffache.“
Wer mit seinem Geschäftsleben im Abseits hingegen richtig zufrieden ist, ist die Gastronomin des Cafés „Cosmos-Heart“. Seit 18 Jahren bietet die 42-jährige Aruna Pohland in dem kleinen Café im Durchgang von der Steingasse zur Karlstraße selbst gemachte Kuchen, einen Mittagstisch und Getränke an. „Wir haben keine 1a-Lage, sind hier aber glücklich.“Die ruhige Lage passt in Pohlands Konzept. Ihre Gäste sollen den Alltag draußen lassen. Die Stammgäste habe sie sich mit ihren beiden Angestellten mit Herz und Seele erarbeitet. »Kommentar