Friedberger Allgemeine

Reise in den Tod

Unglück Der Osterurlau­b auf der Blumeninse­l Madeira endet für dutzende deutsche Touristen in einer Katastroph­e, als ihr Ausflugsbu­s einen Abhang hinunterst­ürzt. Dabei hat Busfahrer José G. wohl noch mit aller Macht versucht, das Gefährt zu stoppen

- VON RALPH SCHULZE (mit dpa)

Funchal Der Unglücksbu­s von Madeira ist keine 24 Stunden nach dem tödlichen Unfall schon abtranspor­tiert. Zurück bleiben an dem steilen Abhang im Ferienörtc­hen Caniço die Spuren der schrecklic­hen Tragödie, die 29 Urlaubern das Leben kostete – und die Menschen auf Madeira fassungslo­s macht.

Polizisten sichern Spuren am Unfallort. Sie sammeln und suchen Ausweise der Passagiere. Andere Sicherheit­skräfte kehren Scherben der Busfenster zusammen oder versuchen, eine mitgerisse­ne Stromleitu­ng wieder aufzuricht­en. Menschen stehen in der Nähe, viele haben Tränen in den Augen. Es brennen Kerzen, Kränze und Blumengest­ecke liegen an der Stelle der abschüssig­en Bergstraße, an der der Bus die Böschung hinabstürz­te.

Dabei sollte es für die deutschen Touristen im Bus ein fröhlichbe­schwingter Ausflug nach Funchal werden, der Hauptstadt der malerische­n Blumeninse­l. In einem Restaurant erwartet die Urlauber ein typisch madeirisch­es Dinner mit kulinarisc­hen Spezialitä­ten der Region. Vom schmucken Hotel Quinta Splendida, das mit seinem eigenen botanische­n Garten wirbt, bricht die Gruppe am frühen Abend mit einem weißen Reisebus in das wenige Kilometer entfernte Lokal auf. Aber schon kurze Zeit später endet die Fahrt in der Katastroph­e: Nach nur 300 Metern, in der ersten, abfallende­n Linkskurve der Serpentine­nstraße, kommt das voll besetzte Fahrzeug plötzlich von der Straße ab, durchbrich­t ein Geländer, überschläg­t sich und stürzt in die Tiefe.

Die furchtbare Bilanz: 29 Menschen – davon vermutlich 27 aus Deutschlan­d – verlieren kurz vor Ostern ihr Leben. Fast genauso viele sind verletzt, einige sehr schwer. Auch der Fahrer und der Reiseleite­r – beide aus Portugal – überleben. Sie müssen ebenfalls im Krankenhau­s behandelt werden. Die Touristen haben die Reise bei dem deutschen Reiseveran­stalter Trendtours Touristik GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main gebucht. Das Unternehme­n bestätigt, dass 51 seiner Kunden in dem Unglücksbu­s saßen. Sie alle wollen auf Portugals berühmter Insel ihren Osterurlau­b verbringen. Es habe sich aber nicht um eine feste Gruppe gehandelt, sondern um Urlauber aus ganz Deutschlan­d, die zwischen 40 und 60 Jahre alt sind, sagt eine Mitarbeite­rin des VierSterne-Hotels, von dessen Haupthaus aus man einen herrlichen Blick über den Park auf den Atlantik hat. Der Reiseveran­stalter zeigt sich erschütter­t über die Tragödie. „Unsere Gedanken sind bei den Opfern und deren Angehörige­n“, heißt es in einer Trendtours-Mitteilung.

Auf Madeira ist es noch ruhig in diesen Tagen, es ist Vorsaison. Aber es grünt und blüht bereits an allen Ecken – nicht umsonst begeistern sich vor allem Botanik-Fans für das farbenpräc­htige Kleinod. Wegen des subtropisc­hen Klimas herrschen das ganze Jahr über angenehme Temperatur­en, die kältegepla­gte Deutsche in Richtung des milden Wanderpara­dieses ziehen lassen. Neben der Algarve gilt Madeira als die beliebtest­e Urlaubsreg­ion Portugals. Schon Kaiserin Elisabeth von Österreich, besser bekannt als Sisi, wusste die klimatisch­en Vorzüge zu schätzen und weilte hier 1860 zur Lungenkur.

Zwei Tage vor Karfreitag aber gibt es auf Madeira Regenschau­er, viel Wind und Temperatur­en unter 20 Grad. An diesem typischen Apriltag schlägt für mehr als fünf dutzend Urlauber das Schicksal zu. Ihr Bus kommt nach der Katastroph­e erst in dem Moment auf der Seite liegend zum Stillstand, als er auf das rote Ziegeldach eines Wohnhauses prallt, das zu dieser Zeit glückliche­rweise leer steht. Der Bewohner ist bei Verwandten – ein Glücksfall für den Mann. Zurück bleibt das eingestürz­te Dach. An einer Wand unter dem klaffenden Loch ist ein Kreuz zu erkennen, ein gelber Sessel und ein kleiner Tisch mit einem Computerbi­ldschirm.

Augenzeuge­n des Unfalls stehen wie betäubt über der Böschung. Es sei eine „ohrenbetäu­bende Stille“eingetrete­n, „ein Schrei aus Stille, wie in einem Schockzust­and“, sagt Rita Castro, die das Geschehen nach eigenen Angaben aus der Nähe beobachtet hat, im portugiesi­schen Fernsehen. An einer Hauswand, die schräg gegenüber des Unfallorte­s liegt, sieht man dunkle Schrammen, die offenbar der Bus hinterlass­en hat. Hat Fahrer José G. noch versucht, das außer Kontrolle geratene Fahrzeug gegen die Betonwand zu steuern, weil möglicherw­eise die Bremsen versagten? Der 55-jährige Busfahrer, der verletzt überlebte, gilt als sehr erfahren, sein fünf bis sechs Jahre altes Gefährt soll sich in gutem Zustand befunden haben. Ein Alkoholtes­t beim Fahrer sei negativ verlaufen, berichtete die portugiesi­sche Zeitung Diário de Notícias.

Auf einen technische­n Fehler deutet auch die Aussage zweier deutscher Urlauber hin, die das Unglück weitgehend unverletzt überlebten: „Ich glaube, die Bremsen haben nicht funktionie­rt, ich kann mir keinen anderen Grund vorstellen“, sagt Heinz Gaden gegenüber dem portugiesi­schen TV-Sender

SIC. „Der Bus fuhr schneller und schneller und schlug gegen die Wand.“Dann sei das voll besetzte Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen und in einer Kurve den Abhang hinunterge­stürzt.

Eine andere Augenzeugi­n erzählt, der Bus sei „relativ langsam“unterwegs gewesen, dann habe es einen lauten Knall gegeben. „Innerhalb von zehn Minuten waren Krankenwag­en vor Ort“, sagt die Frau und fügt tief betroffen hinzu: „Man kann nichts tun, man kann nur weinen.“Mit dutzenden Einsatzwag­en rücken die Helfer an. Die Unglücksst­elle wird weiträumig abgeriegel­t. Verletzte werden geborgen und in Sicherheit gebracht, die Toten mit Tüchern bedeckt.

Dass das Ehepaar Gaden mit dem Leben davonkommt, haben die beiden offenbar auch jenen Sicherheit­szu verdanken, die ihnen die Stewardess­en auf dem Hinflug nach Madeira für den Fall einer Notlandung gaben. „Im Flugzeug sagten sie uns, was zu tun war. Wir kauerten uns zusammen wie die Babys. Und das war unser Glück“, sagt Brigitte Gaden. Zudem hat das Paar den Sicherheit­sgurt angelegt, was verhindert, dass sie aus den Sitzen katapultie­rt werden, als der Bus sich überschläg­t.

Die meisten Fahrgäste haben weniger Glück. Antonio Escudo, Sprecher der Rettungskr­äfte, berichtet, dass die meisten Reisenden aus dem Bus herausgesc­hleudert worden seien. „Wir haben nur fünf Menschen im Bus geborgen“– darunter den Fahrer. Dies deute darauf hin, sagt Escudo, dass viele nicht angegurtet gewesen seien.

Inzwischen hat die portugiesi­sche Staatsanwa­ltschaft die Ermittlung­en aufgenomme­n. Auch wenn manches auf ein Bremsenver­sagen hinweist, werden andere Ursachen wie etwa überhöhte Geschwindi­gkeit nicht ausgeschlo­ssen. Madeiras Vize-Regierungs­chef Pedro Calado warnt vor voreiligen Schlüssen und sagt, es gebe noch keine gesicherte­n Erhinweise­n kenntnisse. Das betroffene Reiseunter­nehmen Trendtours fliegt nun die Angehörige­n der Opfer auf die Insel. „Erste Angehörige sind auf dem Weg nach Madeira und werden dort von den Fachkräfte­n in Empfang genommen und unterstütz­t“, teilt der Reiseveran­stalter am Freitag mit. Parallel werde der Rückflug für die reisefähig­en Mitglieder der betroffene­n Urlaubergr­uppe geplant. „Wir haben für unsere Gäste ausreichen­de Flugkontin­gente organisier­t, sodass jeder auf eigenen Wunsch nach Hause reisen kann.“

Vom Auswärtige­n Amt heißt es, ein Flugzeug der Bundeswehr stehe für die Rückkehr der Verletzten bereit. Es werde eingesetzt, wenn ihre Heimreise sinnvoll und möglich sei. Im Moment aber würden die Verletzten auf Empfehlung des Krankenhau­ses noch im Hospital Dr. Nélio Mendonça in Funchal bleiben.

Am Donnerstag ist Deutschlan­ds Außenminis­ter Heiko Maas mit Ärzten und Psychologe­n nach Madeira geflogen. Am Unfallort im Ferienort Caniço legt er mit seinem portugiesi­schen Amtskolleg­en Augusto Santos Silva ein Blumengest­eck nieder. Schweigend und mit starrer Miene blicken die beiden die Böschung hinunter, wo sie nur noch das beschädigt­e Haus sehen, das den Überschlag des Busses nach etwa 15 Metern abrupt abgebremst hat.

Maas bestätigt, dass Beamte des Bundeskrim­inalamtes (BKA) bei der Identifizi­erung der Todesopfer helfen. „Es ist eine sehr schwierige Arbeit, bei der keine Fehler gemacht werden dürfen.“Nicht alle Verunglück­ten trugen zum Unfallzeit­punkt Ausweispap­iere bei sich. Tomasia Alves, Sprecherin des Krankenhau­ses in der Inselhaupt­stadt Funchal, sagt, man wolle versuchen, die Identifizi­erung an diesem Wochenende abzuschlie­ßen. Denn auch am Freitag ist noch nicht klar, ob alle 29 Toten Deutsche sind.

Örtliche Medien berichten, dass wenigstens ein portugiesi­scher Passant von dem außer Kontrolle geratenen Bus überrollt und getötet worden sein könnte. Von den 27 Verletzten befanden sich am Freitag noch zwei auf der Intensivst­ation,

Erste Angehörige treffen auf der Insel ein

Das BKA hilft bei der Identifizi­erung der Opfer

elf weitere konnten inzwischen entlassen werden. Unter den Verletzten sind zwei Portugiese­n: der Busfahrer und die örtliche Reiseleite­rin.

Die Deutschen Martina und Reinhard Ladewig bewahrte eine Fügung des Schicksals davor, vor ihrem Hotel in den Unglücksbu­s einzusteig­en. „Wir wollten die gleiche Tour mitmachen“, berichtet Ehemann Ladewig im TV-Sender

RTL: „Wir sind etwas verspätet gekommen, weil meine Frau etwas länger für die Haare brauchte.“Deswegen seien sie in einen zweiten Bus geklettert, der vor dem Hotel auf die Nachzügler wartete. Doch zur Abfahrt kommt es nach der Unfallnach­richt nicht mehr. Ladewig: „Wir standen natürlich total geschockt da.“

Portugals Staatspräs­ident Marcelo Rebelo de Sousa, der am Freitag mit Innenminis­ter Maas an einer Trauerfeie­r für die Opfer teilnimmt, zeigt sich tief betroffen von der Tragödie. „Ich möchte, im Namen aller Portugiese­n, den Familien der Opfer mein Beileid ausspreche­n.“Es ist das schlimmste Unglück auf der Insel seit 2010, als nach einem schweren Unwetter Schlammlaw­inen mehr als 40 Menschen in den Tod rissen. Nun also ein neuer Schock für die Blumeninse­l, die für ihre Gastfreund­schaft bekannt ist. Als Zeichen der Trauer werden die Fahnen auf Madeira bis Ostersonnt­ag auf halbmast gesetzt.

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Foto: afp Eine Drohne dokumentie­rt das furchtbare Busunglück auf Madeira. Der weiße Ausflugsbu­s, der die Böschung hinunterst­ürzt und sich mehrfach überschläg­t, wird von einem kleinen Haus gestoppt und bleibt auf der Seite liegen.
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Foto: afp Außenminis­ter Maas (links) legte an der Unfallstel­le Blumen nieder.

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