Friedberger Allgemeine

Andrea Nahles hat viele überrascht

Ein Jahr ist die Parteivors­itzende im Amt. Sie erhielt viele Tritte vors Schienbein, bewies aber Steherqual­itäten. Dennoch fällt der Blick in die nahe Zukunft eher düster aus

- Carsten Hoffmann, dpa

Berlin Der SPD-Vorsitz ist nichts für verletzlic­he Gemüter: Nach vorn argumentie­ren und nach hinten gegen Angriffe der Genossen sichern, während sich die Partei womöglich gerade selbst ein Bein stellt. Andrea Nahles hat das gewusst, als sie am Ostermonta­g vor einem Jahr in Wiesbaden mit einem kräftigen Dämpfer und nur 66,3 Prozent Zustimmung an die Spitze gewählt wurde. Sie wolle den Zusammenha­lt in der Partei stärken, sagte sie zum Abschluss des Sonderpart­eitags. „Das ist noch ausbaufähi­g“, so Nahles. „Und dafür werde ich arbeiten, dafür werde ich auch rackern.“

So ist es gekommen. Nahles, 48, hat Steherqual­itäten bewiesen und ein Auf und Ab der Kritik ertragen. Mit kaum noch 14 Prozent Zustimmung in Umfragen musste sie im Dezember vergangene­n Jahres ein Allzeittie­f in der Wählerguns­t erleben. Nun hat sie aber das Ruder herumgeris­sen und arbeitet sich mit der Partei – derzeit in Umfragen bei bis zu 18 Prozent – immerhin wieder an das allerdings schlechte Ergebnis der letzten Bundestags­wahl heran.

„Sacharbeit“ist ihr Motto in der Großen Koalition, mit deren Fortsetzun­g und Erfolg inzwischen auch ihr eigenes politische­s Schicksal verknüpft zu sein scheint. Eine Bühne für die „Sacharbeit“an sozialen Reformen ist die Fraktionsw­and der SPD im Bundestag. Dort preist sie vor den Farben der Partei und laufenden Kameras die Vorzüge der Gesetzesvo­rhaben an, die die SPD vorantreib­t.

Zeitweise schien Nahles arg angezählt. Im Februar musste sie Zweifel von SPD-Altkanzler Gerhard Schröder an ihrer Eignung für eine Kanzlerkan­didatur zurückweis­en, ohne dass sie den Anspruch überhaupt angemeldet hatte. Schröder warf Nahles im Spiegel vor, sich „Amateurfeh­ler“zu leisten und Wirtschaft­skompetenz vermissen zu lassen. Bei seiner Kritik am Zustand der SPD brachte er zudem „Schlampigk­eit auch im Kleidungss­til“ins Spiel, auf die SPD-Wähler besonders empfindlic­h reagierten.

Schröder plädierte dafür, angesichts der schweren Krise stärker auf den früheren Außenminis­ter und Parteichef Sigmar Gabriel zu setzen, der nun aber – auch nach eigenen Sticheleie­n gegen Nahles – weiter am Rande steht. Nach der Europawahl Ende Mai könnte die Personalde­batte aufflammen, womöglich auch erst nach den Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g (September) und Thüringen (Oktober). Im September ist auch Halbzeit der Legislatur­periode: Die SPD will dann im Herbst über den Verbleib in der Großen Koalition entscheide­n.

Nahles bekennt sich zur Fortsetzun­g der Regierung mit der Union.

Ex-Kanzler vermisst Wirtschaft­skompetenz

Die Chefin sieht neues Selbstbewu­sstsein

Sie sprach zuletzt sogar von einer „sehr guten Bilanz“. „Und so könnte es meiner Meinung nach auch weitergehe­n“, so die SPD-Chefin. Sie nannte Verbesseru­ngen für Kitas und Rentner. Und eine ganze Reihe von Projekten stünden noch an. Die aktuelle SPD-Führung will mithilfe einer „Sozialstaa­tsreform 2025“die Agenda von Schröder korrigiere­n. So will die Partei die Hartz-IV-Reform überwinden und Arbeitslos­en mehr Geld zahlen. Für die Partei war diese Kurskorrek­tur Balsam.

„Vor einem Jahr war die SPD eine tief verunsiche­rte Partei. Jetzt haben wir eine andere Gemütslage an der Basis“, sagte Nahles jüngst den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. „Die Frage, wofür wir eigentlich stehen, ist mit neuem Selbstbewu­sstsein aufgeladen.“

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Foto: Michael Kappeler, dpa SPD-Chefin Andrea Nahles sieht ihre Partei im Aufwind. Aber die kommenden Wahlen könnten die nächsten Dämpfer bringen.

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